Hinter der Schokolade räkelt sich eine dunkelhäutige Schönheit. Bis auf einen offenen Mantel und die Schoki, die das Nötigste verdeckt, ist sie praktisch nackt. Eine blonde Frau versteckt ihre Brüste derweil hinter einer überlebensgroßen Erdbeere, eine andere sitzt im kurzen Kleid in einer riesigen Vanilleblüte. Wo man so für Produkte wirbt? In deutschen Kühlregalen. Genauer gesagt: auf den Etiketten von Müllermilch-Getränken, der Weihnachts-Edition natürlich. Die Nackte trägt ja eine Mütze. Oder einen offenen Weihnachtsmannmantel.
Als im November 2015 Bilder der sexistischen Verpackungen im Internet veröffentlicht wurden, kam die Empörung prompt. Unter dem Hashtag #ichkaufdasnicht äußerten
(Ex-) Kunden auf Twitter ihr Unverständnis. Die Molkerei Alois Müller aber verstand die Aufregung nicht: Weder Rassismus noch Sexismus sei die Absicht gewesen, hieß es in einer Erklärung. Und überhaupt – es gebe doch viel schlimmere, nacktere Werbung!
Sexismus und Geschlechterklischees in der Werbung sind tatsächlich auch im 21. Jahrhundert noch weit verbreitet. Verglichen etwa mit einer Idee des Bürgermeisters von Triberg ist die Gestaltung der Müllermilch-Flaschen geradezu prüde. Der knapp 5.000 Einwohner große Ort im Schwarzwald warb in diesem Jahr mit der Zeichnung einer nackten Frau und dem Spruch „steile Berge, feuchte Täler“ für seine touristischen Vorzüge. Aus dem Schambereich der Frau wuchsen auf dem Bild Nadelbäume. Die Werbung mit den steilen Bergen und den tiefen Tälern zierte eine Parkhauswand hinter extra ausgewiesenen Männerparkplätzen und rief derartige Proteststürme hervor, dass der Gemeinderat beschloss, die Wand wieder weiß übermalen zu lassen.
Eine Meisterleistung des angewandten Mariobarthismus
Der Internetblumenhandel Bloomy Days bewarb seine Sträuße zum Valentinstag mit dem Satz „Je schöner die Blumen, desto schöner das Dankeschön“. Neben dem Slogan prangte eine aufspringende Blütenknospe. Außen grün, innen fleischrosa, ähnelte sie einer leicht geöffneten Vagina. Und für die, die es noch nicht verstanden hatten, wünschte Bloomy Days nicht etwa einen angenehmen, sondern einen „erfolgreichen“ Valentinstag. Frauen bekommen Blumen, Männer dafür Sex: Für diese Meisterleistung des angewandten Mariobarthismus wählte die Organisation Terre des Femmes den Internetblumenhandel unter die Finalisten für den „Zornigen Kaktus“ 2015. Mit dieser Auszeichnung würdigt – oder besser gesagt: entwürdigt – die Frauenrechtsorgani-sation einmal im Jahr besonders frauenfeindliche Werbung.
Auch wenn es nicht immer auf so plumpe Weise geschieht: Viele Branchen leben davon, einen Unterschied zwischen Männer- und Frauendingen zu machen. Autos etwa waren lange Zeit für Männer gebaut und beworben worden: Die Fahrzeuge in den Werbespots fuhren rasant um enge Bergkurven, am Steuer immer nur Männer. Dann entdeckten die Autohersteller die Frauen als neue Klientel. Der sogenannte Zweitwagen neben der dicken Familienkutsche wurde auf sie zugeschnitten: kleine, weniger PS-starke Fahrzeuge, oft in den Farben Pink oder Lila zu haben.
Dabei unterscheiden sich die Antworten nicht stark voneinander, wenn man Frauen und Männer nach ihren Lieblingsautos fragt. Doris Kortus-Schultes, Direktorin des Kompetenzzentrums Frau und Auto an der Hochschule Niederrhein, fordert deshalb, sich vom Bild des Frauenautos zu lösen: Frauen kaufen Autos tatsächlich nach anderen Gesichtspunkten als Männer, aber am Ende wählen beide eben oft die gleichen. Autowerbung, so Kortus-Schultes, sollte besser auf Frauen zugeschnitten werden: Vor allem Sparsamkeit, gutes Design und die praktische Nutzbarkeit gehören zu den Prioritäten weiblicher Autokäufer.
Der Auflösung traditioneller Geschlechterrollen folgen nun entsprechende Verkaufskonzepte: Das britische Kaufhaus Selfridges hob im Frühjahr 2015 in manchen Filialen die Grenze zwischen den Damen- und Herrenmodeabteilungen auf und präsentierte eigens angefertigte Unisex-Kleidung sowie geschlechtsneutrale Looks weiterer Labels. Diese „Agender-Kampagne“ war nur ein sechs Wochen dauerndes Experiment, doch will man laut Aussage des Unternehmens prüfen, wie es weitergehen könnte. Manche Modedesigner bieten längst ähnliche Kollektionen an: Gucci zeigte vor Kurzem Schluppen-Shirts für Männer, & Other Stories, eine Marke der H&M Group, bewarb seine „Capsule“-Kollektion mit Transgender-Models.
Grundsätzlich aber verkaufen Kleiderläden mehr, wenn es Mode für Männer und für Frauen gibt. Studierende am Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung der TU Berlin untersuchten vor einigen Monaten mehr als 500 Sprüche auf T-Shirts für Jungen und Mädchen. Ergebnis: Zu den häufigsten Wörtern auf Mädchen-T-Shirts gehörten „sweet“, „cute“ und „lovely“, bei den Jungen fanden sich vor allem Adjektive wie „cool“, „strong“ und „wild“ als Aufdruck. „Princess“ hier, „King“ da – bei den Substantiven bestanden nicht nur geschlecht-liche, sondern auch hierarchische Unterschiede. Der Otto-Versand verkaufte vor zwei Jahren ein T-Shirt für Mädchen mit der Aufschrift „In Mathe bin ich Deko“, selbstverständlich mit Herzchen neben „Deko“.
Der amerikanische Psychologe Claude Steele fand mit Kollegen in den 1990er-Jahren heraus, wie wirksam solche Klischees sein können – und wie schädlich. Steele zeigte, dass der „Stereotype Threat“ bei Mitgliedern stigmatisierter Gruppen in Testsituationen zu signifikanten Leistungseinbußen führen kann. Beispielsweise wurden Studentinnen Mathematiktests vorgelegt und ihnen gesagt, dass es in bisherigen Prüfungen große Unterschiede zwischen den Geschlechtern gegeben habe. Und siehe da: Die Frauen schnitten in der Matheprüfung schlechter ab als Männer. In einer Kontrollgruppe wurde nichts über Geschlechterunterschiede gesagt. Dort erreichten die weiblichen Probanden ebenso gute Ergebnisse wie die männlichen. Sie waren eben nicht deko.
Die Organisation Pinkstinks, 2008 in London gegründet, setzt sich mit Kampagnen nicht nur gegen diskriminierende Werbung ein. Sondern auch gegen – aus ihrer Sicht – überkommene Geschlechterrollen. Die Farbe Pink gilt ihr als Symbol für die Rolle der dauerlächelnden, dem Mann dienenden, süßen Frau. Pink als Farbe für Mädchen ist ohnehin eine ziemlich junge Erfindung. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts war rosafarbene Kleidung für Jungen durchaus normal: Rosa galt als die weniger martialische Schwester von Rot. Und Rot stand für Aggression, also für Männlichkeit.
Kein Rosa mehr, kein Blau, auch keine nach Geschlecht getrennte Abteilungen
Dass Pink auch Kunden in den USA stinkt, musste die Warenhauskette Target erfahren. Eine Mutter aus Ohio hatte in deren Spielwarenabteilung ein rosa Schild mit der Aufschrift „Baukästen, Unterabteilung: Mädchenbaukästen“ entdeckt und es auf Twitter gestellt. Ihr negativer Kommentar dazu wurde einige Tausend Mal retweeted. Die Kette reagierte prompt mit einem Versuch in einigen ihrer Läden: kein Rosa mehr, kein Blau, auch keine nach Geschlecht getrennten Abteilungen, wo es keinen Sinn mache.
Kleinen Mädchen einzureden, dass sie von Geschlechts wegen „sweet“ und „lovely“ zu sein haben und eigene Baukästen brauchen, ist schon ziemlich schlicht. Glücklicherweise erkennen erwachsene Frauen leichter, wenn man ihnen so dumm kommt. Der Burda-Verlag kam im Jahr 2000 auf die Idee, eine Art Lifestyle-Nachrichtenmagazin für Frauen auf den Markt zu bringen. „Vivian“ wurde in einer Auflage von mehreren Hunderttausend Exemplaren gedruckt. Man wolle „für Frauen Politik anders aufbereiten“, verkündete die Chefredakteurin, ehemals Leiterin eines Modemagazins, in einem Interview. Schließlich hätten Frauen „einen anderen Zugang“.
Wer so etwas behauptet, gesteht immer auch ein: Das, was wir bisher verkaufen, ist eigentlich für Männer gemacht – oder zumindest nicht geschlechtsneutral. Den „anderen Zugang“ zur Politik wollten letztlich zu wenig Frauen haben. Nach nur drei Monaten wurde das Frauennachrichtenmagazin eingestellt.