Sie rasen mit Vollgas durch ihre Pubertät. Das Auto ist geklaut, das Bier auch, der Bass ist voll aufgedreht, und ihre Zukunft ist noch riesig: Dani, Mark, Rico, Pitbull und Paul heißen die Protagonisten in Andreas Dresens neuem Film „Als wir träumten“, zur Schule gehen sie noch – wenn sie gehen. Aufgewachsen sind die fünf in der DDR, die nun, ungefähr 1993 spielt der Film, nicht mehr existiert.

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cms-image-000044769.jpg (Foto: Rommel Film/Pandora Film/Peter Hartwig)
(Foto: Rommel Film/Pandora Film/Peter Hartwig)

Die Pubertät ist ja ohnehin ein permanenter Ausnahmezustand, ein Sich-selbst-Erfinden durch die Abgrenzung von der zementierten Welt der Älteren. Doch wo dieser Gegenpol fehlt, weil sich gerade sowieso alle neu definieren müssen, wo es keine Vorbilder und Autoritäten mehr gibt, da dreht man frei, da herrscht Anarchie. Eine explosive Mischung mit viel schöpferischer Kraft: Die Leipziger Jungsclique baut in einer leer stehenden Fabrik einen mustergültigen illegalen Technoclub auf. Eine explosive Mischung mit noch mehr destruktiver Kraft: Dani, Paul und Co. klauen, sie pöbeln, prügeln, hauen Autos kaputt und irgendwann auch ihre Leben.

Nun ist es ein wenig gewagt, wenn ein 51-jähriger Regisseur (Dresen) und ein 83-jähriger Drehbuchautor (Wolfgang Kohlhaase) einen Film über die Pubertät inszenieren. Doch es funktioniert. Abgesehen von einigen rührseligen Stellen zu Beginn und Ende des Films macht „Als wir träumten“ viel Spaß beim Zusehen, der Film ist schnell, unmittelbar, ein langer Rausch, in den man sich gern hineinwirft. Das verdankt er auch seinen tollen Darstellern, neue, unverbrauchte Gesichter sind das, von denen besonders Julius Nitschkoff als gefallenes Boxtalent Rico im Gedächtnis bleibt.

Und das liegt natürlich auch daran, dass die Buchvorlage einer geschrieben hat, der damals mit dabei war in Leipzig: Clemens Meyer, Jahrgang 1977, wurde von der Kritik 2006 für seinen teilautobiografischen Debütroman hoch gelobt. „Ausladend und schnell, brutal und sehnsüchtig“, schrieb die „Frankfurter Rundschau“, „So viel beschädigtes Leben war lange nicht mehr in der deutschen Gegenwartsliteratur“, stand in der „taz“. Im Film hat Meyer eine Gastrolle, ironischerweise als Polizist.

Eine weitere Gastrolle hat die DDR, wir sehen sie in Rückblenden, die fünf Rebellen sind noch Kinder mit pausbäckigen Gesichtern, die alberne Sicherheitsübungen in der Schule machen müssen und sich gegenseitig ihrer Freundschaft versichern. Putzig und warm sieht sie aus, die DDR, wie so oft im deutschen Kino, auch wenn gar nicht alles putzig und warm ist. Rico verbrennt sein rotes Pionierhalstuch, und Dani muss sich von ihm distanzieren. Er selbst ist ein wenig verliebt in die Musterpionierin aus seiner Klasse, deren Eltern dann aber irgendwann in den Westen rübermachen. Schon als Kind zerplatzen Träume.

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cms-image-000044767.jpg (Foto: Rommel Film/Pandora Film/Peter Hartwig)
(Foto: Rommel Film/Pandora Film/Peter Hartwig)

Ein Ostfilm ist „Als wir träumten“ aber nicht. Die DDR ist hier ein Umstand, wie das Wetter oder die Schwerkraft, aber nicht das Wesentliche. Daran ändern auch die Skinheads nichts, die Dani und Rico immer wieder zusetzen – es sind die wohl unpolitischsten Glatzen, die es im deutschen Film je gab; wer sich für diesen Teil der Nachwendegeschichte interessiert, sollte sich im Kino lieber den neulich gestarteten „Wir sind jung. Wir sind stark“ anschauen.

Je heller eine Flamme ist, desto schneller ist sie ausgebrannt, und so kippt der Film nach und nach. Die Kämpfe sind verloren, auch das schöne Mädchen hat die Stadt verlassen. „Sie spielen unser Lied“, sagt Mark zu Dani kurz vor Schluss, als die beiden von ferne eine Polizeisirene hören. Ganz zum Schluss ist dann einer von den fünfen tot, einer muss ins Gefängnis, einer ist Dealer, einer will jetzt Pornos machen. Die Zukunft ist da längst Vergangenheit.

Michael Brake ist Kulturredakteur bei fluter.de und freier Journalist.