Gibt es eigentlich noch Hippies? Das Bild weltfremder Langhaariger in Batikhemden taugt gerade fast noch zur – meist freundlichen – Karikatur. Doch die Realität von Robert (Tom Schilling), Schüler an einem westdeutschen Internat in den 80er-Jahren, ist eine ganz andere: Die Hippies sind an der Macht! Lehrer und Mitschüler nerven mit aggressiver Friedfertigkeit, das ganze verdammte Land stinkt nach Haschisch und hohlen Phrasen. Hi Freaks, grüßt der Lehrer und funktioniert den Klassenausflug gleich um zur Protestdemo. Es ist nicht auszuhalten.
Jedenfalls nicht für Robert, der keine Revolution will, sondern das geile Leben. Weil aber das eine ohne das andere nicht geht, wird der Lehrer skalpiert, das eigene Haar zum Irokesen geschnitten und eine Reise nach West-Berlin zum Aufbruch in die große Freiheit. In Berlin nämlich, weiß Robert, „tragen die Frauen Strapse“. Sex und Drogen so viel er will, den wirklich echten Punk – das gibt es nur dort, in der damals noch schwer erreichbaren Mauerstadt jenseits des Stacheldrahts. Glaubt Robert. Und ob man es selber glaubt oder nicht, der ganze Traum wird wahr.
Nun sind Begriffe wie Realität und Fiktion, Traum und Alptraum bei Oskar Roehler seit jeher relativ. Der deutsche Regisseur mit Hang zur Groteske („Quellen des Lebens“) greift in „Tod den Hippies!! Es lebe der Punk“ einmal mehr auf die eigene Biografie zurück, denn Robert ist unverkennbar sein junges Alter ego. Doch begann die Punk-Karriere des kleinen Oskar wirklich in einem Sexshop, also fast wie bei den Punk-Idolen Johnny Rotten („Never Trust a Hippy“) und Vivienne Westwood damals 1976 in London? Und was machen wir aus dem Amoklauf, mit dem Robert die Schule hinter sich lässt?
Es wird schnell klar, wie Roehlers schamlos narzisstisches Erinnerungsbild funktioniert: Er zeigt nicht, wie krass es damals war, sondern wie es sich anfühlte. Also noch krasser. Robert hat wilden Sex mit Prostituierten, die er noch nicht einmal bezahlen muss; mit dem Saubermachen von Peep-Show-Kabinen verdient er sich ein paar Mark. Punk, das ist für Roehler keine Mode, sondern Synonym für ein Leben jenseits der Konventionen.
War seine radikale Bildsprache schon immer originell, wirkt sie hier als Umsetzung der Punk-Philosophie vielleicht erstmals angemessen. Verzerrende Weitwinkelaufnahmen, ein paar eingestreute Schwarz-weiß-Szenen, betont stumpfe Dialoge und bizarre Schauspieleinlagen lassen das West-Berlin der 80er-Jahre hier wirklich als berauschenden Ort der Apokalypse erscheinen. Bei allem Unheimlichen überwiegen im Film jedoch die komischen Seiten. Als arrogant näselnder Blixa Bargeld hat Alexander Scheer einen mehr als großartigen Auftritt. Frederick Lau spielt den verpickelten Jungnazi Gries, Roberts einziger Freund aus Internatszeiten; die beiden treffen sich in der schwulen SM-Szene wieder. Und wer bezahlt für ihr tolles Lotterleben am Rande des Kollaps, den vielen Alk, die Zigaretten, die Drogen? Auf dem Sozialamt kann es Robert kaum fassen: der westdeutsche Steuerzahler!
„Tod den Hippies!! Es lebe der Punk“ ist ein wohltuend böser Film, dessen radikal-subjektiver Ansatz tatsächlich funktioniert und natürlich auch dazu dient, die Übertreibungen ein wenig abzumildern. Indem Roehler die Hippies karikiert, karikiert er immer auch sich selbst. Den wiederholten Verweis auf die verrückte Familienbiografie und seinen ausgeprägten Mutterkomplex („Die Unberührbare“) hätte es da gar nicht gebraucht.
Und bei aller Künstlichkeit gelingt dem Film jene erzählerische Unmittelbarkeit, die dem deutschen Kino lange abhanden gekommen ist. Die Erzählung blockiert nicht, wie in vielen handelsüblichen Biopics, die Action – sie ist die Action. Nostalgie ist unvermeidbar, wenn einer auf die eigene Jugend blickt, aber mit dieser Definition von Punk als direkter Aktion im Hier und Jetzt kommt Roehler dem Ideal so nah, wie es eben geht.
Was er damit sagen will? Wahrscheinlich, dass er immer noch so drauf ist. Der alte Gegensatz von Punks und Hippies mag sich für alle Welt aufgelöst haben, für Oskar Roehler ist die Geschichte nicht zu Ende und der Punk nicht tot. Solange kein Revival daraus wird, geht das völlig in Ordnung.
Vom Nachberlingehen
Weg von den Hippielehrern, rein in den Punk – in West-Berlin. Roehler verfilmt Roehler, wohltuend böse
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