cms-image-000045039.jpg

cms-image-000045039.jpg (Foto: Mira Film)
(Foto: Mira Film)

In der chinesischen Provinz Gansu leben kaum Menschen, kilometerweit erstrecken sich ödes Land, Steinhügel und Gestrüpp. Nur die vielen Löcher fallen auf. Rund 20 davon hat Ju Wang, ein kleiner Mann mit blauem Basecap, tief in den Boden gebohrt. Seit Jahren nimmt der Chinese Gesteinsproben in der Region. Auf die Art will er herausfinden, ob und wo er sein Projekt verwirklichen kann: eine Höhle für die Ewigkeit. 500 Meter unter der Erde soll sie liegen und das beherbergen, was wir kommenden Generationen hinterlassen: 350.000 Tonnen radioaktiven Müll – so viel hat die Menschheit bisher produziert. Ju Wang ist Experte für atomare Endlagerung und hofft, hier, in Gansu, den sichersten Ort der Welt schaffen zu können.

Der Dokumentarfilm „Die Reise zum sichersten Ort der Erde“ ist eine Spurensuche. Finden will Regisseur Edgar Hagen dabei jenen Punkt auf der Landkarte, an dem unser Atommüll lagern kann. Für 100.000 Jahre – so lange strahlen Teile des gefährlichen Mülls nämlich, manche sogar noch deutlich länger. „Ich muss ihn mit meinen Augen sehen, diesen Ort“, sagt Hagen aus dem Off und reist von China aus zu weiteren Endlagerprojekten in der ganzen Welt. Die Vereinigten Staaten, Australien, England, Japan, Deutschland, Skandinavien und die Schweiz zählen zu seinen Reisezielen. Überall erklären ihm Wissenschaftler wie Ju Wang ihre Vision der möglichen Endlagerung. Und in der Regel auch die Gründe ihres Scheiterns: technische Probleme, staatliche Interventionen, bürokratische Hürden und fehlender Rückhalt in der Bevölkerung.

In Großbritannien spricht Hagen mit dem ehemaligen Betreiber des Atomkraftwerks Calder Hall. „Ich habe mir nie Gedanken über die Entsorgung gemacht“, gesteht der. „Mein Job war es schließlich, das AKW am Laufen zu halten, und das habe ich getan.“ Seit Jahrzehnten lagert der Müll nun schon in den Wassertanks des Werks. In Schweden erklärt der Bürgermeister der Stadt Östhammar, die sich freiwillig als Endlagerstandort gemeldet hat, fatalistisch: „Einer muss es ja machen.“

In New Mexico wurde in den 80er-Jahren ein unterirdisches Lager für militärisch-nukleare Abfälle gebaut. „Wir wissen aber nicht, was hier in 100 Jahren sein wird. In der Gegend gibt es viel Öl, vielleicht bohrt jemand danach“, sagt der Projektverantwortliche Wendell Weart. Und als Hagen mit Ju Wang auf Kamelen durch die chinesische Wüste reitet, hat dieser eine ernüchternde Erklärung für seinen Forscherdrang: „Na, um noch mehr AKWs zu bauen.“ 18 neue Reaktoren sollen bis 2020 in China entstehen.

cms-image-000045040.jpg

cms-image-000045040.jpg (Foto: Mira Film)
(Foto: Mira Film)

Hagens ständiger Begleiter auf dieser Reise des Scheiterns ist Charles McCombie. Der schottische Kernphysiker und Endlagerexperte stellt ihm Kollegen vor und ordnet alle Infos für den Zuschauer ein. Die Reise zum sichersten Ort ist eigentlich McCombies Reise: Sein halbes Leben lang arbeitet der 68-Jährige, der aussieht wie Sigmund Freud und spricht wie Slavoj Žižek, schon an weltweiten Entsorgungsprojekten. Bisher erfolglos. Beschrieben wird zum Beispiel sein erstes Vorhaben in der Schweiz, bei dem er die theoretischen Bedingungen für ein sicheres Endlager erarbeitete: etwa Graphitwände und ein geeigneter Grundwasserverlauf. Allerdings fand er keine passende reale Örtlichkeit, weil ihn die Regierung nur fünf Jahre suchen ließ. „Und auch Ju Wang kann in einigen Jahren feststellen, dass sein Ort nicht der richtige ist, dann muss er ganz von vorne beginnen“, erklärt McCombie resigniert.

Der sicherste Ort existiert nicht, wird vielleicht nie existieren. Das lässt sich schon zu Filmbeginn von McCombies Gesicht ablesen. Für die Menschheit, den Planeten und so weiter ist das natürlich furchtbar schlimm. Aber nicht für den Film. Dokumentationen brauchen kein Happy End. Doch auch ein negatives Ende, auch das Missglücken der Reise will verstanden werden. Dafür nimmt sich Hagen als Fragensteller aber zu sehr zurück, und auch McCombie bleibt insgesamt zu blass, um den Film und das Thema zu tragen. Letztlich gelingt Hagen deshalb nur ein grober Überblick über die Endlagerfrage. Woran auch der rasante Wechsel der Schauplätze schuld ist. Im Fünf-Minuten-Takt werden die „sicheren“ Orte abgehakt: Hier ist das Projekt, der will es umsetzen, und aus diesem Grund klappt es nicht. Offen lässt Hagen hingegen, was passieren würde, wenn der Ort niemals gefunden wird.

Natürlich ist Hagens Film nicht der erste, der sich mit dem Thema Atommüll beschäftigt. Und der Vergleich macht die Schwächen von „Die Reise zum sichersten Ort der Erde“ noch deutlicher: Der Regisseur Michael Madsen etwa besucht in seiner Doku „Into Eternity“ (2010) nur einen der vermeintlich sicheren Orte, die Tiefenlagerstätte Onkalo im Südwesten Finnlands. Unterlegt mit Musik von „Kraftwerk“, gleitet seine Kamera durch die unterirdischen Gänge des Endlagers. Die Langsamkeit des Films und die Konzentration auf einen Schauplatz macht es möglich, jene Fragen zu stellen, die Hagen auslässt: Was, wenn die Strahlung an die Erdoberfläche gelangt? Wie viel Zeit bleibt noch, um eine Lösung zu finden? Und wie kann man zukünftige Generationen vor dem bewahren, was da unten lauert?

Und auch die wichtigste Frage bleibt in Hagens Film bis zuletzt unbeantwortet: Wie könnte der sicherste Ort der Erde eigentlich aussehen? Dabei findet sich im Film das ideale Mittel, um diese Frage zu beantworten. Zwischen den Länderepisoden zeichnen düstere Trickfilmbilder die Wege des Atommülls nach: Ein Transportschiff mit nuklearer Fracht fährt durch die Nacht. Allerdings bleiben diese Animationen relativ funktionslos, schließen sie doch an Filmaufnahmen des tatsächlichen Transportschiffes an. Der sichere Ort selbst hätte stattdessen rekonstruiert werden können. Wie stellt sich zum Beispiel Ju Wang seine Höhle vor? Eine vertane Chance. Was bleibt, ist deshalb Ratlosigkeit – in Bezug auf den Atommüll und diesen Film.

Aus dem Fenster ihres Jugendzimmers sah Christine Stöckel das AKW der Nachbarstadt. Möglich, dass sie deshalb lieber drinnen blieb und Filme schaute