Freundschaft ist zunächst die Fortsetzung der Familie mit eigenen Mitteln. Aus vorgegebenen Beziehungen werden eigene Entscheidungen für oder gegen andere Menschen. In unseren Freundeskreisen geben wir unseren Werten und Haltungen eine soziale Gestalt. Das Persönliche und Emotionale wird hier politisch. Wir nutzen Möglichkeiten, die uns von vornherein gegeben sind, und seltener solche, die wir aktiv suchen und ergreifen.
Erschienen im fluter Freundschaft
Auch auf der Bühne der großen Politik gibt es sehr verschiedene Formen der Freundschaft – sei es, dass Entfeindungen das Ziel generationenübergreifender Friedensprozesse werden, sei es, dass Freundschaft ein anderer Name für Fügsamkeit im Bündnis mit einer Übermacht ist.
In autoritären Gesellschaften werden aus Freundeskreisen immer wieder Plattformen des Dissidentischen, sie bilden rare Zonen der Freiheit und des riskanten Engagements. In den westlichen Konkurrenzgesellschaften sind viele Freundschaften eher Erlebniszonen auf der Jagd nach dem kleinen, feinen Unterschied. Aber auch hier können Freundeskreise dazu dienen, Vertrauen zu wagen, Solidarität und Hingabe zu erfahren und zu gestalten.
Freundschaft kann auch einengen. Dann werden die Grenzen meiner Freundeskreise die Grenzen meiner Welt. Dabei sind Ausgrenzungen, Herabwürdigungen bis hin zu offenen und gewaltsamen Feindschaften ein probates Mittel der inneren Mobilisierung dieser Gemeinschaften. Das ist einer der Resonanzräume für Populismus und autoritäre Regimes.
„Freundschaften sind ein Mittel gegen die inzwischen allgegenwärtigen autoritären und identitären Versuchungen“
Den Entwurf eines eigenen, selbstbestimmten Lebens dagegenzusetzen, neue soziale Beziehungen zu suchen, Kritik auch an Freundinnen und Freunden zu üben kann befreiend wirken. Diese Offenheit macht weitere eigene Entwicklungen möglich, jenseits von Glaubensgrenzen und fixen Ideologien. Freundschaften sind deshalb oft auch ein Mittel gegen die inzwischen allgegenwärtige autoritäre und identitäre Versuchung.
Was wir aus Freundschaften machen, sagt einiges über unser Verständnis, unsere Aneignung sozialer Verhältnisse aus. Entscheidende Fragen werden dabei aktiviert: Auf wen kann ich mich verlassen, selbst wenn alle sich abwenden, wer vertraut mir warum, und wem will ich, wie weit will ich vertrauen? Was macht und hält uns stark? Aber auch die eigenen Interessen werden erprobt – wer nützt mir, wem nutze ich, was soll als Nutzen gelten: der soziale Aufstieg, eine bessere Ökonomie und/oder die gemeinsame Erkundung von Sinn, Wahrheit, Achtung? Wie werden die radikalen Medien Macht, Ruhm, Geld in Freundschaften verarbeitet, ausgelebt oder aber auch überwunden? Sollen und können Freundschaften überhaupt von den Zwängen dieser Kräfte frei gehalten werden? Oder werden sie letztlich immer wieder zur emotional erweiterten Reproduktion der herrschenden Verhältnisse?
Die allgegenwärtigen digitalen Medien schärfen diese Fragen noch und geben dem „sozialen Kapital“ völlig neue Verwertungszyklen. Wenn Waren Freunde werden, wir Daten daten, die Informationen über unsere persönlichen Beziehungen zu Wertanlagen globaler Konzerne geraten, ist die „Schöne neue Welt“ schon da. Sie ist aber weder neu noch schön. Auch darüber lohnt es sich mit Freunden zu streiten.