In »Jurassic Park« spricht Jeff Goldblum als Wissenschaftler Ian Malcolm angesichts des »harmlosen« Vergnügungsparks voller angeblich unfruchtbarer Dinosaurier irgendwann den wohl besten Satz seiner Karriere: »Das Leben«, stellt er skeptisch fest, »findet immer einen Weg.« Tatsächlich sind die ganz realen, eigentlich längst ausgestorbenen Proto-Echsen nicht vollständig vom Angesicht der Erde verschwunden. Vor knapp drei Jahren erst gelang es Spezialisten der medizinischen Fakultät in Harvard, mithilfe von Proteinen aus einem 68 Millionen Jahre alten Oberschenkelknochen eines Tyrannosaurus Rex dessen nächsten heute lebenden Verwandten zu ermitteln – das gemeine Haushuhn.

Das Leben findet eben immer einen Weg, auch wenn am Ende nur ein Hühnchen dabei herauskommt. Und das beste Beispiel dafür ist der Mensch selbst, dieses Glückskind der Evolution. Im Erdmittelalter, als die schweren Schritte der Saurier den Boden erschütterten, lebte unser entferntester Vorgänger noch als verschüchterter, hamsterartiger Kleinsäuger unter der Erde – und zwar schon mehrere Ewigkeiten lang, bevor wir uns kürzlich in der afrikanischen Savanne von den Bäumen bequemten und aufrichteten, um einen besseren Überblick im brusthohen Gräsermeer zu haben. Das Leben findet zwar immer einen Weg, trödelt dabei aber oft furchtbar. Wenn man denn die 35.000 Jahre, die der moderne Mensch nun schon auf Erden wandelt, als Trödeln empfinden will.

Manchmal aber geht alles so schnell, dass man regelrecht zuschauen kann. Dabei sind evolutive Anpassungen dort am häufigsten, wo simpel konstruierte Tiere sich besonders rasch vermehren. Genetiker schwören deshalb auf die Fruchtfliege. Ein aktuelles Beispiel allerdings ist der ganz besonders gefräßige asiatische Marienkäfer – eine Art, die in unseren Breiten nie heimisch war, sich in den letzten Jahren aber zu einer regelrechten Plage entwickelt hat. Äußerlich von einheimischen Sieben- Punkt-Arten nur durch seine bis zu 19 schwarzen Punkte und ein M auf seinem Halsschild zu unterscheiden, wurde »Harmonia axyridis«, so der wissenschaftliche Name, in den Achtzigerjahren als »Nützling« aus China nach Belgien und Frankreich importiert – wo er, als freundliche Alternative zur chemischen Keule, in Gewächshäusern Blattläuse und andere Schädlinge vertilgen sollte. Sorgen, dass die Art sich eines Tages in Europa verbreiten konnte, machte man sich damals keine. Irgendwie ist es ihm aber gelungen, durch ein offenes Fenster derWelt der Gewächshäuser zu entkommen. Seitdem breitet sich der Käfer überfallartig in Europa aus. Angeblich soll er neuerdings sogar in der Lage sein, zu beißen. Dass »Harmonia axyridis« inzwischen von seinem flugunfähigen Kollegen »Coccibelle« abgelöst wurde, wird seinen Siegeszug in freier Wildbahn nicht aufhalten. Sorgen, dass auch »Coccibelle« eine ähnliche Karriere hinlegen könnte, macht sich derzeit niemand.

Eine andere Kreatur, die überfallartig ausgeschwärmt ist und der heute nicht nur ihr eigener Genpool sowie der ganze Planet, sondern auch Teile des Sonnensystems zu Füßen liegen, das ist der Mensch. Dieses aggressivste Raubtier aller Zeiten hat die Bedingungen seiner eigenen Aufzucht inzwischen zivilisatorisch so weit optimiert, dass keine großen Entwicklungen mehr zu erwarten sind. Mag sein, dass Frauen im Jahr 2020 durchschnittlich einen Zentimeter kleiner sein und einen niedrigeren Cholesterinspiegel haben werden. Flügel dürften ihnen so schnell keine mehr wachsen, dazu ist die Population von sechs Milliarden Exemplaren einfach zu groß und träge. Zwar hatte Charles Darwin in »Die Entstehung der Arten« erstmals die Wichtigkeit von Werden und Vergehenfür das Ausdifferenzieren alles Lebendigen erkannt. Was aber die treibende Kraft dahinter sein sollte, der Sinn des Ganzen, blieb weiterhin im Dunkeln. Dort nahmen dann Philosophen die Frage auf oder formulierten sie, wie Martin Heidegger, neu: »Warum istüberhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts?«

Wird der Mensch seine Entwicklung selber steuern?

So ist noch immer ungeklärt, wie die ersten Eiweißbausteine entstanden sein könnten – und warum. Seit neuester Zeit wird vermutet, diese komplexen organischen Moleküle könnten unter dem Einfluss von ultraviolettem Licht aus anorganischen Bausteinen entstanden sein. Und zwar im Weltall, von wo sie mit Kometen – immerhin die ältesten Reste jenes Sternenstaubs, aus dem alle Materie besteht – auf die Erde gelangt sein könnten, diese gigantische Petrischale mit ihren idealen Bedingungen zur Weiterentwicklung von Angelegtem. Mehr zu dieser Theorie werden wir wohl 2014 erfahren, wenn die »Rosetta«-Mission der Europäischen Raumfahrtagentur (ESA) den Kometen 67P/Tschurjumow-Gerasimenko näher erforschen wird – unter anderem darauf, ob die Theorie der stellaren Herkunft des Lebens plausibel sein könnte.

Denn tatsächlich ist das Leben als solches vor allem eines, nämlich fast schon grotesk unwahrscheinlich. Eine schön rührende Antwort glaubte 1907 der französische Philosoph Henri Bergson gefunden zu haben, als er in allem Lebenden eine schöpferische Kraft vermutete, den »élan vital«, also den »Lebensschwung«. Demnach mache sich das Leben die Energie anorganischer Materie zunutze, wobei das Anorganische an sich immer Verfall repräsentiere, das Organische dagegen immer den Aufschwung, das Werden. Viel schlauer ist man da heute auch nicht. Im Gegenteil: Bergson gilt inzwischen als wichtiger gedanklicher Vorreiter des »biologischen Jahrhunderts«, in das wir mit unserer Nano-, Informations- und Biotechnologie gegenwärtig einschwenken.

Was wird sein? Wie geht’s weiter, wenn wir uns doch von den Zwängen der natürlichen Auslese befreit haben? Hier gehen die Meinungen meilenweit auseinander. Pessimisten sehen uns wahlweise als Opfer unserer eigenen »unnatürlichen Selektion« auf einem ruinierten Planeten vegetieren – oder als Haustiere jener künstlichen Intelligenzen, deren Entwicklung wir gerade selbst angestoßen haben. Optimisten sehen uns – oder unsere robotischen Schützlinge – noch immer unverdrossen ins Weltall aufbrechen. So oder so wird entscheidend sein, ob unser auch schon 30.000 Jahre altes Gehirn imstande ist, sich auf die exponentiell beschleunigte Wissensproduktion einzustellen. Unsere zukünftige Entwicklung hängt also einfach davon ab, ob wir sie in ihrer Singularität überhaupt noch begreifen und damit gestalten können – oder ob wir diese Macht an unsere Werkzeuge abgeben, die uns jetzt schon über den Kopf wachsen.

Optimistische Transhumanisten wie Ronald Bailey beispielsweise gehen davon aus, dass der Mensch demnächst mit einem eigenmächtigen Schritt über sich selbst hinausgehen wird. Der Mensch tritt in eine postdarwinistische Phase ein, wo er seine künftige Entwicklung selbst steuern kann – wohin auch immer. Eine der abenteuerlichsten Prognosen besteht darin, dass wir unseren hinfälligen Körper gewissermaßen abstreifen und den Kern unseres Seins – das Bewusstsein – eines fernen Tages auf digitale Speicher laden werden. Das Leben findet eben immer einen Weg. Die Frage ist nur: Wäre das dann noch ein Leben?