Die Frage nach dem Sinn des Lebens ist uralt, älter als die Philosophie. Vermutlich ist sie eine der vermessensten und kompliziertesten Fragen, die man sich denken kann. Denn worauf genau sie abzielt, hängt ja nicht zuletzt von dem oder der Fragenden ab, und auch von der Gesellschaft, in der er oder sie lebt. Also lässt sich diese "Frage aller Fragen" in sehr viele verschiedene Fragen ausdifferenzieren. Wo aber so viele Fragen auftauchen, gibt es noch mehr mögliche Antworten. Und damit schrumpft die Aussicht auf eine einzige, umfassende und zeitlos befriedigende Antwort erheblich.

Es ist sogar fraglich, ob sich die Frage nach dem Sinn des Lebens sinnvoll stellen lässt. Philosophisch betrachtet handelt es sich eventuell um eine unmögliche Frage, eine so genannte Scheinfrage. Zumindest gibt es insbesondere für Philosophen/innen Klärungsbedarf: Ist der Begriff "Sinn" teleologisch gemeint – im Sinne eines ganz bestimmten Zwecks oder Zieles, den das Leben als Ganzes bereithalten könnte? Diese Fragerichtung dürfte religiösen Menschen näher sein als Atheisten/innen. Oder ist der Begriff "Sinn" rein sprachlich zu verstehen – als Bedeutung einer Aussage? Und was genau meint der Begriff "Leben"? Die Existenz des Menschen oder das biologische Phänomen?

Einwände und Komplikationen dieser und anderer Art sollten Nicht-Philosophen/innen freilich kaum davon abhalten, nach klaren, möglichst einfachen Antworten zu suchen, vor allem in Momenten großen Unglücks, starker Bedrängnis oder anhaltender Ratlosigkeit. Da fragt man dann durchaus: Was soll das alles? Wo liegt der Sinn des Ganzen? Warum leide ich? Warum passiert – ausgerechnet – mir das?
 
Sigmund Freud, der Begründer der klassischen Psychoanalyse, notierte einmal, dass, wer die Frage nach dem Sinn des Lebens stelle, krank sei. Diese Einschätzung ist vielleicht etwas übertrieben. Sie zielt aber exakt auf jenen existentiell geprägten Ernst, der in der Frage nach dem Sinn des Lebens häufig steckt oder der, negativ formuliert, der überwältigenden Sinnlosigkeit des Lebens Ausdruck zu verleihen sucht. In der unter dem Einfluss des Zweiten Weltkrieges stehenden Philosophie und Prosa des Existentialismus von Jean-Paul Sartre oder Albert Camus wird dieser starke Anschein von Sinnlosigkeit nicht selten ins Absurde gewendet. Wodurch sich der Eindruck der Sinnlosigkeit zusätzlich verstärkt.

Seien Sie nett zu Ihren Nachbarn!

Absurd komisch geht es in Douglas Adams' Roman "Per Anhalter durch die Galaxis" zu: Siebeneinhalb Millionen Jahre braucht der Supercomputer Deep Thought für die letztgültige Antwort auf die Frage nach dem Universum. Die Antwort lautet "42", nützt aber niemandem, da keiner mehr weiß, wie die Frage hieß. Also baut man einen noch leistungsfähigeren Computer, um die ursprüngliche Frage herauszufinden. Das Leben ist, so könnte man diese Passage im Roman interpretieren, anscheinend ein bisschen komplizierter, als dass man ihm mit einer mathematischen Lösung oder einer allzu einfachen Antwort auf die Schliche kommen könnte.

Auch die Komikergruppe Monty Python nimmt in ihrem legendären Episodenfilm "Der Sinn des Lebens" die Frage aller Fragen aufs Korn, mit viel Klamauk und britischem Understatement. Ausgesprochen niedlich ist der Schluss des Films, wo eine völlig entmystifizierte, geradezu triviale, aber nicht unbedingt falsche Antwort geliefert wird: "Nun, dies ist das Ende des Films. Und hier kommt der Sinn des Lebens. [Man reicht der Darstellerin einen Umschlag.] Danke, Brigitte. [Sie liest.] Ach ja, das ist nichts Besonderes. Seien Sie nett zu Ihren Nachbarn, vermeiden Sie fettes Essen. Lesen Sie ein paar gute Bücher, machen Sie ein paar Spaziergänge und versuchen Sie, in Frieden und Harmonie mit Menschen jeden Glaubens und jeder Nation zu leben."

Der Engländer Julian Baggini, einer der wenigen Philosophen der Gegenwart, die sich ausführlich mit der Frage nach dem Sinn des Lebens beschäftigt haben, zitiert dieses Filmende am Schluss seines Buches "Der Sinn des Lebens. Philosophie des Alltags". Baggini geht es nicht nur um eine gute Pointe. Auch er findet, dass der Sinn des Lebens etwas ist, das "für alle erkenn- und erreichbar" ist.
 
Baggini versteht sich als demokratischer Atheist. Es freut ihn durchaus, die "selbsternannten Hüter dieses Sinns" zu ärgern, "die Priester, Gurus und Lehrer, die uns glauben machen wollen, er entziehe sich dem Verständnis Normalsterblicher". Deshalb plädiert er gerade nicht für einen fixen Sinn des Lebens – etwa dafür, ein gottgefälliges Leben zu führen –, sondern dafür, "den Sinn des Lebens selbst zu entdecken und auch zum Teil selbst zu definieren". Er findet, da wir alle sehr verschieden sind, sollten wir uns der Fragilität, Unvorhersehbarkeit und Zufälligkeit des Lebens stellen, um das Beste daraus zu machen.
 
Befreit von der Macht des Sinn-Mysteriums und dadurch bereit, unterschiedliche Formen dieses Sinns zu entdecken, können wir, so Baggini, erkennen, dass "Glück wertvoll, aber nicht alles ist", können wir lernen, "die Vergnügungen des Lebens zu schätzen, ohne Sklave von Gelüsten zu werden, die sich nicht befriedigen lassen", oder "anderen helfen, ohne uns vom Altruismus auffressen zu lassen". Ob Bagginis sehr allgemein gehaltene Einsichten in schwere existentielle Not geratenen Sinnsuchern/innen weiterhelfen, steht auf einem anderen Blatt.

Die Fülle des Lebens

Aber geht es denn wirklich weniger allgemein, ohne priesterlich dogmatisch oder esoterisch verblasen daherzureden? Liest man den englischen Literaturwissenschaftler Terry Eagleton, geht es zumindest anders. Auch Eagletons Buch heißt "Der Sinn des Lebens" und führt, philologisch gewieft und philosophisch kundig mit viel Wittgenstein im Gepäck und nicht ohne Humor, über zahlreiche Fragen zu immer besseren Fragestellungen.
 
Eagleton ist sich ziemlich sicher, dass der Sinn des Lebens etwas ist, was das Leben lebenswert macht, "eine bestimmte Qualität, Tiefe, Fülle und Intensität des Lebens" selbst, und keinesfalls etwas Metaphysisches, vom normalen Leben Losgelöstes, was ja schließlich auch möglich wäre. Er hält viel von der nicht erotischen, sehr prosaischen Form der selbstlosen Liebe, bei der es darum geht, "den Hungernden zu essen und den Dürstenden zu trinken zu geben, Fremde freundlich aufzunehmen und Gefangene zu besuchen". So zu leben, schreibt der 1943 geborene britische Autor, "bedeutet nicht nur Leben zu haben, sondern es in Fülle zu haben".
 
Auf das große Ganze bezogen wünscht sich Eagleton, ein erklärter Marxist, eine Gesellschaft als Gemeinschaft größeren Maßstabs, in der es keinen Konflikt zwischen den Freiheiten des Einzelnen und dem Wohl des Ganzen gibt. Ein utopisches Ziel, wie er selbst es auch sagt. Und er fügt hinzu: "Aber darum ist es ja noch nicht schlecht." Der Mann hat recht.

Michael Saager schreibt für verschiedene Magazine und Zeitungen, ist leitender Redakteur des Magazins pony und lebt in Berlin.