Die Europäische Union und die USA planen ein Freihandelsabkommen. Das Ziel: ein Binnenmarkt mit mehr als 800 Millionen Verbrauchern ohne Handelsgrenzen. Doch während die einen vom zollfreien Handel zwischen Seattle und Helsinki träumen, warnen die anderen vor Chlorhühnchen und Genfood. Eine Bestandsaufnahme

Der schottische Ökonom Adam Smith hat es in seinem Buch "Der Wohlstand der Nationen" so formuliert: "Kann uns (…) ein anderes Land eine Ware liefern, die wir selbst nicht billiger herzustellen imstande sind, dann ist es für uns einfach vorteilhafter, sie mit dem Teil unserer Erzeugnisse zu kaufen, die wir wiederum günstiger als das Ausland herstellen können." Was in Smiths Sprache des 18. Jahrhunderts etwas sperrig klingt, formuliert Daniel Caspary verständlicher. Auf die Frage nach dem Nutzen des Freihandels antwortet er: "Weil die einen Bananen haben und wir Autos." Also lohnt es sich zu handeln.

Caspary sitzt im 15. Stock des Europaparlaments in Brüssel, der CDU-Abgeordnete ist Mitglied im Handelsausschuss und befasst sich dort auch mit dem geplanten Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA. Beim Versuch, die Idee des Freihandels plastisch zu beschreiben, muss Caspary nicht lange suchen: "In Europa müssen die Blinklichter eines Autos gelb sein, in den USA rot. Ein Autobauer muss sowohl in Europa als auch in den USA einen erfolgreichen Crashtest absolvieren. Es macht also Sinn, gemeinsame Standards für die EU und Amerika zu definieren. Von den niedrigeren Kosten profitieren auch die Verbraucher." Ein Auto, das in den USA genehmigt worden ist, könnte dann ohne weitere Tests auch auf deutschen Straßen rollen. Es geht aber nicht allein um gemeinsame Standards, auch die Zollschranken sollen fallen. Die sind zwischen der EU und den USA zwar eh nicht so hoch, aber Caspary rechnet vor: "Der transatlantische Handel hat ein Volumen von jährlich rund 700 Milliarden Euro. Bei durchschnittlichen Zöllen von drei Prozent macht das mehr als 20 Milliarden Euro pro Jahr."

Nach Angaben der EU-Kommission kann die EU durch ein Freihandelsabkommen jährlich auf 0,5 Prozent zusätzliches Wachstum hoffen, die US-Wirtschaft auf 0,4 Prozent. Der zuständige EU-Handelskommissar Karel De Gucht schwärmt vom "besten Wachstumspaket, das man sich vorstellen kann". Und er nennt auch gleich Zahlen. Auf 545 Euro pro Jahr beziffert seine Behörde den jährlichen Vorteil für einen Vier-Personen-Haushalt in der EU. Die Summe von 545 Euro pro Jahr will Johannes Kleis gar nicht bestreiten. Dennoch spricht der Mitarbeiter der Europäischen Verbraucherorganisation BEUC lieber von Hormonfleisch, genetisch veränderten Lebensmitteln und Chlorhühnchen. In den USA werden Chicken, bevor sie als Nuggets enden, im Chlorwasser behandelt.

Das Chlorhühnchen ist so eine Art Wappentier derjenigen geworden, die davor warnen, dass ihr Land in Zukunft mit gesundheitsschädlichen Nahrungsmitteln überschwemmt wird – und die gibt es nicht nur in Europa. So wollen viele Konsumenten in den USA keinen französischen Roquefortkäse, weil sie sich vor den Blauschimmelpilzen fürchten. Und während Amerikas Farmer auf genetisch veränderten Mais oder Soja setzen, will der Großteil von Europas Verbrauchern davon nichts essen. "Ein Schokoriegel aus genetisch veränderten Zutaten wäre heute schon ohne das geplante Abkommen in der EU erlaubt – natürlich entsprechend gekennzeichnet. Der Verbraucher kann heute und künftig selbst entscheiden, zu welchem Riegel er greift", sagt der Freihandelsbefürworter Caspary.

Verbraucherschützer Kleis aber fürchtet einen Dammbruch. Er hätte die Gen-Riegel und andere genveränderte Lebensmittel am liebsten gar nicht erst im Regal. "In Europa gilt das Unbedenklichkeitsprinzip, sprich, ein Produkt landet erst im Handel, wenn auch nachgewiesen ist, dass es nicht die Gesundheit der Verbraucher gefährdet", sagt er. "Die USA handeln nach dem Machbarkeitsprinzip." Ein weiterer Streitpunkt ist die Frage nach der Transparenz: Abwechselnd wird in Brüssel und Washington getagt, es gibt 25 Arbeitsgruppen mit rund 150 Unterhändlern, die über die Details verhandeln. Strittige Fragen landen schließlich ganz oben bei EU-Handelskommissar Karel De Gucht und seinem US-Gegenüber Michael Froman.

Auch die Grünen-Europaparlamentsabgeordnete Ska Keller gehört dem Handelsausschuss an. Sie spricht von "Geheimniskrämerei" und klagt: "Auf viele unserer Fragen kriegen wir überhaupt keine oder nur eine unzureichende Antwort." Europas Verbraucherschützer waren zunächst gänzlich ausgeschlossen, während es in den USA für Interessenverbände wenigstens die Chance gibt, die Verhandlungsprotokolle in einem Lesesaal einzusehen. "Aber unter den Lesefreudigen sind 600 Industrieverbände zugelassen und nur eine Verbraucherschutzorganisation", beklagt Verbraucherschützer Kleis das Ungleichgewicht.

Immerhin, die EU-Kommission reagiert auf die wachsende Kritik. Eine Beobachtergruppe soll eingesetzt werden, mit Vertretern aus Industrie und Verbrauchergruppen. Und dann gibt es noch den Streit um die sogenannten Schiedsgerichte, die keiner nationalen Gesetzgebung und Kontrolle unterworfen sind. Auch deswegen hat die Internetplattform Campact, die sich für mehr Transparenz in der Politik einsetzt, innerhalb weniger Wochen mehr als 339.000 Unterschriften gegen das Abkommen gesammelt.

Eine der drängendsten Fragen: Können US-Unternehmen demnächst gegen europäische Staaten klagen?

Campact geht es unter anderem darum, wer bei Handelsstreitigkeiten eigentlich schlichtet: nationale Gerichte oder eben ein internationales Schiedsgericht? Die Hauptkritik fasst die Grünen-Abgeordnete Ska Keller wie folgt zusammen: "Die staatliche Souveränität wird ausgehöhlt. Gegen die Willkür der Schiedsgerichte gibt es keinen Schutz." Ein abschreckendes Beispiel gibt es bereits: So verklagte der US-amerikanische Öl- und Gaskonzern Lone Pine Resources die kanadische Provinz Quebec vor einem im Geheimen tagenden Schiedsgericht auf 250 Millionen Dollar Schadenersatz, weil er die Förderung von Schiefergas eingeschränkt und seine Investitionen gefährdet sah. "Amerikanische Investoren bekämen so weitreichende Klagemöglichkeiten gegen europäische Staaten", fürchtet Keller. "Die vagen Klauseln machen es möglich, auch gegen Umwelt- und Sozialgesetzgebung zu klagen und hohe Entschädigungssummen einzukassieren."

Die EU-Kommission hat mittlerweile reagiert. Von März an sollen mögliche Bedenken öffentlich diskutiert werden. Die Grüne Ska Keller fürchtet vor allem Auswirkungen auf afrikanische Staaten und andere Entwicklungsländer, wenn Europa und die USA Standards setzen, denen Schwellen- und Entwicklungsländer ausgeliefert sind. "Wir wollen eine faire Handelsordnung, die Rücksicht nimmt auf die Menschen und die Umwelt. Wir wollen kein Abkommen, in denen EU und USA für alle mal eben die Regeln festsetzen." Der CDU-Abgeordnete Caspary mag aber nicht nur auf die Zahlen schauen. "Uns verbindet mit den USA mehr als nur der Handel, sondern auch gemeinsame Werte. Bei allen bestehenden Problemen gibt es in der Welt nicht viele Partner, die uns näher stehen."

Ökonomen des Ifo-Instituts haben für die Bertelsmann Stiftung berechnet, wer eigentlich von einem Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA profitiert. Kurz gesagt: vor allem die USA. Zwei Millionen zusätzliche Jobs könnten entstehen, davon rund 1,1 Millionen in den USA. In Europa würden laut Ifo-Institut vor allem Großbritannien, Finnland und Schweden von dem Abkommen profitieren. In Deutschland würden rund 181.000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Auch die Krisenländer im Süden Europas könnten zu den Gewinnern zählen. Die Verlierer schauen von außen auf das Bündnis.