Professor Kuttler, fährt man aus der Stadt aufs Land, fühlt es sich dort kühler an. Wie kommt das?
Das ist das Stadtklima, und hier speziell der sogenannte UHI, „Urban Heat Island“-Effekt, der Wärmeinsel-Effekt. Wir haben in Städten wie Essen oder München schon Differenzen zwischen Stadt und Umland von bis zu zehn Grad gemessen.
Wie entsteht dieser große Unterschied?
Städte fangen mehr Sonnenenergie ein als das Umland. Sie speichern sie besser und länger und führen die Wärme dann schlechter ab. Deshalb ist es im Sommer in Städten eher schwül oder, wie wir sagen, wärmebelastet.
Städte als Akku für Sonnenenergie?
So könnte man sagen.
Klingt gut. Mehr laue Sommerabende in der Stadt also!
Im Sommer ist es in Städten dadurch oft nachts so warm, dass man schlecht schlafen kann. Diese Wärme ist vor allem für alte und nicht ganz gesunde Menschen belastend.
Warum speichern Städte die Energie so viel besser?
Der Boden einer Stadt ist stark versiegelt, also mit Teer, Beton oder Stein abgedeckt. Das verändert die Fähigkeiten des Bodens, Wärme zu speichern und weiterzuleiten. Außerdem kann sich die Stadt nicht auf natürliche Weise abkühlen, weil Regenwasser in Gullys abfließt und unterirdisch abtransportiert wird – Verdunstungskälte entsteht nicht.
Und das macht schon zehn Grad aus?
Es geht weiter. Pflanzen verbrauchen Energie, mit der sie Wasser in Wasserdampf umwandeln, der wiederum in die Atmosphäre transportiert wird. Sind weniger Pflanzen in einer Stadt, wirkt mehr Strahlungsenergie auf die Städte ein. Weniger Bäume bedeuten weniger Schatten, der vor Strahlung schützt. Außerdem gibt es weniger sogenannte Kaltluftbildungsflächen, also Parks, Wiesen, Seen. Breite, asphaltierte Straßen speichern sehr viel Wärme – genau wie die ganze Stadt als dreidimensionaler Raum im Gegensatz zum flachen zweidimensionalen Umland. Nimmt man die gesamte Oberfläche der Häuser, sind Städte zwischen dem Anderthalbfachen bis Zweifachen größer als ihr Grundriss. Mehr Fläche kann aber auch mehr Energie aufnehmen und speichern. Diese Energie in Form von Wärme kann nachts nur schlecht abgegeben werden, weil die Häuser im Wege stehen.
Es sei denn, es ist schön windig.
Ja. Aber auch der Luftaustausch durch Wind ist in Städten geringer. Städte sind durch ihre Häuser Strömungshindernisse. Der Wind weht dadurch langsamer oder sogar gar nicht – und die Wärme bleibt in der Stadt.
Weniger Wind? Warum hat man in Städten dann oft das Gefühl, dass es zieht?
Die Windgeschwindigkeiten sind in der Stadt im Mittel geringer. Aber: Der Wind ist böiger und wechselt schneller die Richtung. Das liegt an den Kanten-, Druck- und Sogeffekten, die entstehen, wenn Wind auf ein Gebäude trifft. Es entstehen Wirbel, die dafür sorgen, dass die Windgeschwindigkeit sich lokal erhöht.
Was trägt noch zum UHI-Effekt bei?
Anthropogene Wärme.
Und was ist das?
Wärme, die vom Menschen abgegeben und durch das menschliche Wirtschaften freigesetzt wird. Der Mensch muss eine gewisse Körpertemperatur einhalten, dazu wird Energie verbraucht, die auch an die Umgebung abgegeben wird. Das sind pro menschlichen Körper etwa 200 Watt. Alle gewerblichen, technischen, industriellen Prozesse geben immer auch irgendwie Wärme ab. Aber: Weder die noch unsere 200 Watt spielen eine große Rolle.
Sondern?
Kühlung und Heizung. Das kann bis zu 40 Prozent der anthropogenen Wärme ausmachen. In Tokio muss man runterkühlen, bei uns im Winter heizen. Diese Wärme gelangt, trotz aller Bemühungen um Dämmung, irgendwann nach außen.
Gibt es den UHI-Effekt nur in Städten?
In windarmen Nächten kann man auch in Dörfern Unterschiede von bis zu drei Grad feststellen.
Und wie ist es dann in einer Megacity?
In Tokio wurden schon Temperaturdifferenzen von 13 Grad gemessen. In Städten wie New York oder Tokio wird der StadtklimaEffekt noch dadurch verstärkt, dass dort fast jeder Raum klimatisiert ist. Die warme Innenraumluft wird nach außen gepumpt, die Klimaanlagen selbst verbrauchen dabei Strom, produzieren also noch Abwärme.
In Deutschland sind Klimaanlagen bisher kaum verbreitet.
In Bürogebäuden werden sie bedauerlicherweise trotzdem benutzt. Aus architektonischen Gründen werden seit Jahren Bürogebäude gebaut, die verglast sind. Das ist für das Klima nicht sehr vorteilhaft: Diese Glasfassaden, zumindest die etwas älteren, lassen Sonnenstrahlen durch das Glas, um den Innenraum zu erhellen, die entsprechende Wärme bleibt dann aber auch drin. Und was hilft gegen die Wärme? Eine Klimaanlage.
Stadtklima schadet also den Menschen?
Je nachdem. In einer Stadt wie Helsinki, die in winterkalten Gebieten liegt und wenig Luft-verschmutzung hat, ist das Stadtklima für die Menschen ein Segen. Dort sind dann im Winter die Temperaturen nicht so niedrig. In Städten, deren Luft sehr belastet ist und die nicht über die Infrastruktur verfügen wie Industrieländer, also zum Beispiel Mexico City, ist das natürlich eine Qual.
Welche Auswirkung hat das Stadtklima auf Schnee oder Regen?
Städte geben viel Wärme ab und viele Kondensationskerne, also kleine und kleinste Staubpartikel. Die dienen in der Atmosphäre als Anlagerungspunkte für den dort kondensierenden Wasserdampf – und es regnet. Untersuchungen im Ruhrgebiet haben gezeigt, dass es deswegen auf der windabgewandten Seite zu einer Erhöhung des Niederschlags um bis zu sieben Prozent kommt.
Es regnet mehr?
Nein, der Niederschlag wird nur anders verteilt. Die Gesamtniederschlagsmenge für die Gesamtfläche bleibt in etwa gleich. Aber der typische Gewitterregen mit großen Regentropfen kommt öfter, weil sich durch starke Aufwinde große Tropfen bilden können.
Wie ist es mit Schnee?
In Städten erleben wir wesentlich weniger Tage mit einer geschlossenen Schneedecke als im Umland. In den Städten ist es einfach zu warm.
Ist doch gut: muss man im Winter nicht so oft Schnee räumen.
Ein Doktorand hat tatsächlich die finanziellen Auswirkungen der Stadtklima-Effekte untersucht. Die Stadt Essen spart Geld, weil sie weniger für Winterdienste ausgibt. Es passieren weniger Verkehrsunfälle, weil es seltener glatte Straßen gibt. Aber das gilt heute. Wird es noch wärmer, wird die Ersparnis zunichte gemacht, wenn sich die Menschen Klimaanlagen anschaffen.
Stimmt die Rechnung: Je größer die Stadt, desto größer der Wärmeinsel-Effekt?
Nicht unbedingt. Essen ist zum Beispiel eine typische Schrumpfungsstadt, hier lebten vor einigen Jahren noch 620 000 Menschen, jetzt sind wir bei 580 000 Einwohnern. Trotzdem nimmt der Wärmeinsel-Effekt zu.
Woran liegt das?
Wir haben ein höheres Wärmebedürfnis, keiner will bei 18 Grad im Wohnzimmer sitzen, jeder will immer Warmwasser zur Verfügung haben. Und: Vor 50 Jahren kamen im statistischen Mittel auf eine Person 20 Quadratmeter Wohnfläche, heute sind es 50. Solche Wohnungen müssen warm gehalten werden.
Wie verringert man Stadtklima-Effekte?
Energie sparen. Häuser begrünen. Eine Hausbegrünung mit Efeu schafft eine sehr gute Wärmedämmung, weil die Luft zwischen Wand und Efeu meistens steht und dadurch sehr gut isoliert. Dort, wo die Sonne stark strahlt, im Süden vor allem, sollten die Fenster besser verschattet werden: also Jalousien davor. Weniger mit dem Auto fahren. Das produziert nämlich nicht nur Abgase, sondern auch Wärme. Dann müsste man Städte anders bauen. Das ist natürlich hier vom Schreibtisch aus wunderbar zu sagen. Aber Städte brauchen unverbaute Luftschneisen, entlang von Flüssen, breiten Straßen oder alten Gleisen. Wasser in den Städten kann das Stadtklima verbessern, weil es eine sehr hohe Wärmekapazität hat. Es nimmt sehr viel Energie auf, bevor sich die Temperatur des Wassers und damit auch seine Wärmeabgabe ändern.
Wie würden Sie eine Stadt planen?
In Deutschland würde ich sie sehr aufgelockert bauen. Lichte Straßen, mit schattenspendenden Bäumen an den Straßenrändern, die dürften aber oben nicht zusammenwachsen, sonst können Wärme und Abgase nicht abziehen. Grünschneisen müssen in die Stadt führen. Den Autoverkehr würde ich, soweit es geht, ausschalten durch ein U-Bahnsystem. Ich würde Gewässer in die Stadt integrieren. Die Häuser sind bewachsen, die Hauswände begrünt. Und man sollte so bauen, dass die Men-schen keine langen Wege haben, um zur Arbeit zu kommen und den Einkauf zu machen.
In vielen südlichen Städten sind die Häuser weiß. Hat das einen Grund?
Weiß reflektiert die Sonnenstrahlung viel stärker als Schwarz, somit wird die Oberfläche weniger warm und weniger Wärme abgegeben. Ein weiterer wichtiger Aspekt der Stadtplanung in südlichen Gebieten ist, dass die Häuser relativ eng beieinanderstehen. So kann die Sonne nicht in die Straßenschluchten fallen und alles aufheizen. Die Häuser müssen dann entsprechend der Windrichtung ausgerichtet sein, damit der Wind durch die Straßen fegen kann. Andererseits ist klar, dass man in New York oder Tokio nicht plötzlich nur noch kleine schmale Straßen bauen kann.
Wären breite Straßen keine Möglichkeit, Schneisen für den Wind zu schaffen?
Schon, aber die Wärmestrahlung auf schwarzen Asphaltstraßen ist sehr hoch. Die Tokioter Stadtverwaltung prüft, Wasserrohre dicht unter die Straßendecken zu verlegen. Damit wollen sie die Straßen abkühlen, damit die im Sommer nicht so heiß werden.
Welche Auswirkungen hat das Stadtklima auf Fauna und Flora Deutschlands?
Es sind sehr viele Neubürger eingewandert, zum Beispiel der Ginkgobaum. Der kommt aus dem mediterranen Raum und hat hier eigentlich nichts zu suchen. Auch viele Tiere zieht es in die Städte, weil es dort wärmer ist, vor allem im Winter.
Wenn wir also die Städte nur groß genug bauen, können wir in Frankfurt auch irgendwann Orangen anbauen?
Im Prinzip ja. Wenn damit nicht auch die ganzen Nachteile verbunden wären.
Wo würden Sie am liebten wohnen?
Eigentlich würde ich sehr gern in München wohnen. Aber aus klimatischen Gründen würde ich nach Hamburg ziehen.
Warum?
Das Wetter ist in Hamburg und München nicht so fürchterlich unterschiedlich, wie man immer meint. Aber Hamburg hat den großen Vorteil, dass dort die Belüftung wesentlich besser ist. Die Stadt liegt eben am Meer, an der Küste haben wir wesentlich höhere Windgeschwindigkeiten. Und wenn die Bebauung den Wind dann nicht daran hindert, in die Stadt einzudringen, ist das eine feine Sache.
Wilhelm Kuttler, 58, ist Professor für Angewandte Klimatologie und Landschaftsökologie an der Universität Duisburg/Essen. Er selbst hat schon fünf Garagendächer begrünt.
Wetterbericht
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