„Float like a butterfly, sting like a bee /  

his hands can’t hit, what his eyes can’t see.”

(Schwebe wie ein Schmetterling, stich wie eine Biene / 

seine Hände können nicht treffen, was sie nicht sehen)

 

Ist das vielleicht der allererste dokumentierte Rap? Mag sein. Steckt ja schon eine Menge drin: Es reimt sich, es ist lustig und poetisch, es ist eine Schmähung. Einzig – der Zweizeiler aus dem Jahr 1974 stammt nicht von einem Rapper, sondern einem Boxer: Muhammad Ali. Der war auch ein Großmeister des verbalen Punches – und damit ein Pionier des Rap. Einer von vielen, denn der rhythmisierte, gereimte Sprechgesang, der im HipHop zum Markenzeichen wurde, hat einen ziemlich weitverzweigten Stammbaum.

Manche sehen die Wurzeln des Rap in Westafrika. Das tut etwa David Toop. Der britische Musiker und Journalist hat mit „Rap Attack. African Jive to New York Hip Hop“ 1984 einen Klassiker des Musikjournalismus geschrieben, der in den folgenden 16 Jahren dreimal neu aufgelegt, aktualisiert und ergänzt wurde. Die Urahnen des Rap sieht Toop in den Griots, eine Art Berufssänger, Berater und Geschichtenerzähler. Diese Musikerkaste bildete eine Mischung aus lebendem Geschichtsbuch und Tageszeitung und pflegte somit eine mündliche Überlieferung mit musikalischen Mitteln, die bisweilen mit den Mächtigen kritisch oder polemisch ins Gericht ging. Auch die Yoruba-Frauen in Nigeria reimen Spottgedichte, die sie mitunter als öffentliches Streitmittel einsetzen.

 

Elijah Wald wiederum, Blues-Musiker und Musikhistoriker, hat eine andere Traditionslinie des Rap erforscht: die des afroamerikanischen Schmähgedichts, die unter den Namen Signifyin‘ oder als The Dozens bekannt sind. Wer sich jemals gewundert hat, wo die „Deine Mudda“-Sprüche herkommen, der wird Walds Buch „Talking ‘Bout Your Mama. The Dozens, Snaps, and the Deep Roots of Rap“ ein paar überraschende historische Antworten finden. Mit den fiesen Versen, die zum ersten Mal 1917 auch in Songs auftauchten, wurden regelrechte Wettbewerbe ausgetragen – quasi Urformen des MC-Battles –, bei dem derjenige gewinnt, der den besten Reim auf Lager hat.

Fiese Verse, gottesfürchtiges Deklamieren: Der Rap kennt viele, ganz schön unterschiedliche Quellen

Wald und viele andere sind sich einig darin, dass und wie stark der HipHop die Tradition des Blues fortschreibt. Sie wurzelt in den Worksongs der aus Afrika verschleppten Sklaven, die diese auf den Feldern im Süden der USA sangen. Schon damals wechselten sich gesungene und gesprochene Parts ab, und auch das „Call and Response“ entstand, eine Interaktion zwischen Sänger und Chor, oder – später – auch zwischen Sänger und Publikum. Wie wichtig das im frühen HipHop war, kann man derzeit auf Netflix sehen: als fiktionale Variante in der Oldschool-Serie „The Get Down“ von Baz Luhrmann, dessen zweite Staffel im Frühjahr angelaufen ist. Und in der Doku-Variante „Hip-Hop Evolution“, einem Vierteiler, der den Weg des Hip-Hop von seinen bescheidenen Anfängen in der Bronx bis zu seinem Durchmarsch in den Mainstream Anfang der 1990er-Jahre beschreibt.

 

Unbestritten ist ebenso, dass göttlicher Beistand bei der Entstehung des Rap eine wichtige Rolle spielte. Denn in den afroamerikanischen Kirchen prägte nicht nur das Singen, sondern auch der Sprechgesang die Gottesdienste, was sich dann in der Popkultur ebenfalls niederschlug: In den Soul-Platten der 1960er- und 1970er-Jahre gibt es viele Spoken-word-Passagen. Besonders James Brown, Millie Jackson und Isaak Hayes machten davon reichlich Gebrauch.

Und auch im Radio wurde seit den 1940er-Jahren fleißig zur Musik gereimt. Diese Tradition kam aus dem Jazz. Im sogenannten Scat-Gesang wurde die Stimme als Instrument eingesetzt. Beim Jive Scat wurde dabei aktueller Straßenslang inkorporiert. Den wiederum entwickelten manche Radio-DJs weiter, um der aufgenommenen Musik, die sie abspielten, etwas mehr Leben einhauchen. Diesen Radio-Jive, bei dem oft neue Worte erfunden wurden, griff später die jamaikanische Soundsystem-Kultur auf. Daraus entwickelte sich das „Toasting“, bei dem – Vorsicht: terminologisch verwirrend! – der sogenannte Disc Jockey über die Dub-Versionen der laufenden Platten spricht, singt, reimt – manchmal improvisiert und manchmal die Gesangsstimme nachahmend, während der Selector die Platten auflegt.

 

Das lyrische Erbe des Rap betont Mark Greif, Literaturwissenschaftler und Herausgeber des Magazins n+1. In seinem fulminanten Essay „Rappen lernen“ schreibt er, HipHop sei kein Gesang, sondern Sprache – und die sei eine Wiederbelebung der metrischen, reimbasierten Lyrik, die in den 1920er-Jahren zu Ende ging.

Der Rap kennt also viele Quellen, das macht ihn ebenso lebendig wie langlebig. So stimmt wohl eine der schönsten Zeilen, die der deutsche Rap hervorgebracht hat: „Wer HipHop macht, aber nur HipHop hört, betreibt Inzest.“ Das näselt Jan Delay in dem Song „Fäule“ von den Beginnern. Und daher ist es auch kein Wunder, dass Muhammad Alis klassischer Reim, den er einst seinem Gegner George Foreman an den Kopf knallte, bald im HipHop weiter verarbeitet wurde. Die CC Crew dichtete 1980:

„I float like a butterfly, sting like a bee /

There ain’t no motherfucker that can rap like me“

 

Bonus-Beats

Glaubt man HipHop-Fans der alten Schule, dann besteht ihre Kultur aus vier Elementen:

Rapping

Wer „HipHop“ sagt, denkt vor allem an Jay-Z oder Nas, Future oder Stormzy, also an MCs. Das lässt sich je nach Glaubensrichtung als „Master of Ceremonies“ oder „Microphone Controller“ ausschreiben und meint natürlich: Rapper – der Begriff ist heute quasi deckungsgleich mit „HipHopper“. Der rhythmische Sprechgesang ist zwar das bekannteste Element von Hip-Hop, aber längst nicht das einzige.

Zum Beispiel: Chuck D, MC Lyte, Kanye West

DJ-ing

Früher war kein Rapper ohne seinen DJ auf der Bühne, der im Hintergrund live von Vinylschallplatten die Basisstücke auflegte, über die dann der Künstler mit dem Mikrofon seine Reime legte. Zwischendurch erhielt der DJ als echter Turntablist mit Scratch-Soli und sonstigen Kunststückchen auch seine eigenen 15 Minuten Ruhm. Inzwischen ist er meist nur noch ein Dekorationsobjekt, die Beats kommen vom Band.

Zum Beispiel: Kool DJ Herc, Grandmaster Flash, DJ Jazzy Jeff

Breakdancing

Wer sich heute ein altes HipHop-Video aus den Achtzigern oder frühen Neunzigern ansieht, wird ziemlich sicher Breakdancer zu Gesicht bekommen. Auf „Jams“, bei denen früher im Gegensatz zu einfachen Livekonzerten alle Elemente der Kultur zusammentrafen, gehörten Tanzfiguren wie Windmill und -stile, beispielsweise Electric Boogie der Breaker-Crews, zu den raumgreifendsten Beiträgen. Heute tauchen sie höchstens noch in Werbeclips auf.

Zum Beispiel: Rock Steady Crew, Second 2 None, Flying Steps

Graffiti

Graffiti ist der älteste Bestandteil der HipHop-Kultur: Mit Tags vollgebombte U-Bahn-Wagen fuhren schon durch New York, als Rapper nicht mehr als Ansager für eine Party waren. Noch heute finden sich die – überwiegend illegalen – Graffiti-Tags und größere Pieces in Städten wie auf dem Land, an Autobahnbrücken, Hauswänden oder U-Bahn-Wagen. Ihre Gestaltung hat sowohl Plattencover als auch die Hip-Hop-Kleidung geprägt.

Zum Beispiel: Futura 2000, Zephyr, DAIM

(Florian Sievers)

 

Titelbild: Naftali Hilger/laif