„Geil hier“, ruft der 20-jährige blonde Schlaks, wirft seine leere Bierdose auf die Wiese und läuft nicht mehr ganz in Ideallinie zu einer kleinen Bühne, auf der die Rapper Suspekt ein Überraschungskonzert geben. Ein anderer junger Typ mit Bart hebt die Bierdose auf und steckt sie in einen großen Beutel, in dem schon um die 50 leere Dosen klappern. „Es gibt jetzt sogar auf deutsche Bierdosen Pfand“, sagt er.
Das ist eine Neueinführung beim Roskilde-Festival, wo über 75.000 Menschen acht Tage lang feiern. Das dänische Festival gilt als Vorbild in Sachen Nachhaltigkeit. Angefangen beim recycelten Eintrittsband über (fast nur) Bio-Essen und Müllpfand bis hin zum Solarstrom. Und trotzdem: Auch hier wird nicht jede Dose eingesammelt, das Müllproblem ist bei Roskilde sogar größer als bei manch anderem Festival. 2018 hinterließ hier jeder Besucher um die 23 Kilo Müll. Bei deutschen Festivals wie dem Hurricane sind es nur 15 Kilo pro Person.
Spaß macht Müll, einmal Roskilde macht 3.860 Tonnen CO₂
Festivals sind zudem Emissionsschleudern: Die CO₂-Bilanz für das diesjährige Roskilde-Festival liegt grob geschätzt laut einem CO₂-Rechner bei 3.860 Tonnen. Rund die Hälfte davon geht auf die An- und Abreise der Gäste. Zum Vergleich: Der durchschnittliche CO₂-Verbrauch eines Deutschen beträgt jährlich rund neun Tonnen. Im nächsten Jahr wollen die Veranstalter eigene Zahlen veröffentlichen. Doch was rechnet man da eigentlich mit ein? Janelle Monáe etwa kommt aus den USA, spielt aber noch andere Konzerte in Europa. Wie gewichtet man dann etwa die Anreise?
Ob das alternative Fusion Festival (D) oder das ökologische Roskilde (DK), alle haben das gleiche Problem: Einen Löwenanteil des Mülls verursachen zurückgelassene Campingsachen, besonders Zelte. Auf Festivals in Großbritannien lassen im Schnitt bis zu 80 Prozent der Besucher ihre Zelte zurück, bei deutschen Festivals sind es laut Schätzungen um die 30 Prozent. Kommt schon irgendeiner zum Aufräumen, mag sich mancher denken.
Sind Konzerte ökologisch sinnvoller als Festivals?
Und tatsächlich gibt es Initiativen, die die Zelte retten, aber laut den Aktivisten von „Love your Tent“ können von 15.000 Zelten nur um die 50 Stück von Wohltätigkeitsorganisationen wiederverwendet werden. Der Rest landet auf dem Müll. Der erste Schritt, um persönlich dazu beizutragen, ein Festival nachhaltig zu feiern, sieht so aus: „Bring eine gute Campingausrüstung mit und vor allem: verwende sie wieder“, sagt Sanne Stephansen, Nachhaltigkeitsmanagerin des Roskilde-Festivals. Gemeinsam mit den jungen Aktivisten der „Grønne Studenterbevægelse“ (Grüne Studentenbewegung) hat sie eine Anleitung für einen nachhaltigen Festivalbesuch geschrieben. Ihr Ziel: nicht nur mit dem Müll umgehen, sondern zu fragen, wodurch überhaupt so viel Müll zustande kommt und wie das zu vermeiden ist.
Wäre es bei all den ökologischen Problemen, die die Festivals verursachen, nicht besser, man verzichtete auf die Sause und ginge stattdessen auf einzelne Konzerte? Die Ökobilanz bei Konzerten ist in der Regel besser, weil die Reisewege der Besucher kürzer sind. Denn anders als bei großen Festivals sind Konzertorte ja oft innerstädtisch oder zumindest mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut zu erreichen. Welchen Unterschied das machen kann, zeigt das Beispiel Radiohead. Die Briten waren die erste Band, die eine umfassende CO₂-Messung von zwei Touren unternommen hat. Dabei hatte die Tour mit mehreren Konzerten an kleineren Spielstätten die deutlich bessere Klimabilanz. Seither sind Radiohead Vorreiter, was Green Touring angeht. Unter anderem können Fans, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln angereist sind, früher in die Halle. Längst organisieren auch andere Künstler wie Jack Johnson oder Clueso ihre Touren nachhaltig.
12.000 Helfer sammeln den Roskilde-Müll ein – heißt natürlich auch, dass es da viel zu tun gibt
Bloß: Konzerte und Festivals sind eben doch grundverschiedene Erlebnisse. Man könne sie nicht so ohne Weiteres vergleichen: „Ganzheitlich betrachtet bietet ein Festival mehr als Konzerte. Hier entsteht eine Gemeinschaft, in der politische Debatten stattfinden, man an Workshops teilnehmen und andere Kunst erleben kann“, sagt Sanne Stephansen. Außerdem sehen bei Festivals mehr Leute mehr Aufführungen als bei einem einzelnen Konzert.
Politik und Festivalveranstalter können Anreize für ökologisches Verhalten schaffen wie Plastikverbot, Müllpfand oder die CO₂-Bilanz des Essens sichtbar machen, wie das in Roskilde passiert. Doch dem Einfluss sind Grenzen gesetzt, letztlich müssen die Besucher schon mitmachen und vor allem klimafreundlich anreisen. Bewegungen wie „Fridays for Future“ fördern ein ganzheitliches Umdenken, sagt Sanne Stephansen. 12.000 freiwillige junge Helfer in grünen Westen sammeln dieses Jahr den Müll auf dem Roskilde-Festival ein und starten Achtsamkeitskampagnen. Vielleicht lassen dann auch weniger Leute ihre Bierdose fallen, wenn sie zum nächsten Gig wanken.
Foto: imago images / Steffen Schellhorn