Thema – Generationen

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„Parteien müssen durchlässiger werden“

Nach der Wahl 2017 gab es eine Debatte darüber, dass sich die Politik in Deutschland verjüngen muss. Was ist seither geschehen? Wir fragen Anna Braam von der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen

Parteienverjüngung

fluter.de: Anna, im April vergangenen Jahres hast du mit der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen einen Elf-Punkte-Plan zur Reform des Parteienwesens vorgestellt. Seitdem ist viel passiert. Es wurde gewählt, die Jamaika-Sondierungsverhandlungen sind geplatzt, und nach 171 Tagen gab es eine neue Große Koalition. Beide Regierungsparteien haben Wählerstimmen verloren. Das war einer der Gründe, weshalb in Deutschland eine Debatte darüber geführt wird, wie sich die Parteien erneuern können. Wie schätzt du diese Diskussion ein?

Anna Braam: Prinzipiell freut es mich, dass wir diese Debatte endlich führen. Die Frage nach Generationengerechtigkeit in der Politik war lange überfällig. Aber eine reine Personaldebatte wird das Problem nicht lösen können, denn Generationengerechtigkeit ist vielschichtig. Statt uns mit Personalfragen aufzuhalten, sollten wir über Parteistrukturen, die politische Kultur und programmatische Politik diskutieren. Aber auch darüber hinaus stehen Erneuerungen an, die in Anbetracht einer alternden Gesellschaft nötig sind, damit Zukunftsthemen nicht immer hintangestellt werden. Das Wahlrecht sollte reformiert werden, damit sich junge Menschen früher einbringen können. Viele Jugendliche sind politisch nicht weniger gut informiert als der Rest der Gesellschaft, aber wenn sie Pech haben, können sie erst mit 21 zum ersten Mal auf Bundesebene abstimmen. Aktuell fühlen sich laut einer Umfrage von Civey (Stand: erste Februarwoche 2018) 88 Prozent der 18- bis 29-Jährigen von der Politik nicht verstanden und vertreten. Ich denke, das zeigt: Wir haben es mit einem Generationenproblem zu tun.

Was habt ihr mit eurem Elf-Punkte-Plan erreicht?

„Eine grundsätzliche Reform in den Parteien nach Vorstellung unseres Elf-Punkte-Plans ist eher ausgeblieben“

Eine grundsätzliche Reform in den Parteien nach Vorstellung unseres Elf-Punkte-Plans ist eher ausgeblieben, aber wir haben damit zumindest einen Diskurs um das Thema Generationengerechtigkeit und Jugendbeteiligung angestoßen: Vor der Bundestagswahl Anfang September hat beispielsweise die Generationen-Stiftung mit ihrem „Generationen-Manifest“ die Politik zu nachhaltigerem Handeln aufgefordert. Und gerade als es um die Zusammensetzung des neuen Kabinetts ging, wurde von vielen Stellen gefordert, Nachwuchspolitiker nach vorne zu bringen. Auch wenn die Personaldebatte zu kurz greift, ist das Thema Generationengerechtigkeit zumindest mehr ins gesellschaftliche Bewusstsein gerückt und kann hoffentlich von dort aus ein Gewicht entwickeln, das letztlich zu einer stärkeren Öffnung der Parteistrukturen führen wird.

Woran liegt es, dass sich so viele junge Menschen von der Politik nicht gehört und verstanden fühlen?

Um das zu verstehen, hilft es, sich die Wählerstruktur in Deutschland einmal genauer anzuschauen. Die Mehrheit der Wähler ist heute über 50. Das bedeutet praktisch, dass sich die Parteien an dieser Mehrheit ausrichten und programmatisch orientieren. Demokratietheoretisch ist das zwar in Ordnung, aber es bedeutet, dass sich Politik nicht an den Forderungen der jungen Generation orientiert.

Was bedeutet diese Entwicklung ganz konkret, also zum Beispiel im Hinblick auf den Koalitionsvertrag zwischen SPD und CDU?

„Es gibt psychologische Gründe, die dafür sprechen, dass das Alter einen wichtigen Einfluss darauf hat, wie man wählt“

Konkret bedeutet das zum Beispiel, dass innere Sicherheit und Rentenpolitik Prioritäten in der politischen Agenda der neuen Regierung sind. Denn diese Themen sind für die Mehrheit der älteren Wähler besonders wichtig. Andere Themen, wie Klimaschutz, Bildungspolitik und Digitalisierung, werden dagegen hintangestellt, dabei sind genau das die zentralen Fragen für unsere Generation. Diese Entwicklung führt zu einem Ungleichgewicht, besonders weil Bildung, Klimaschutz und Digitalisierung Zukunftsthemen sind. Nehmen wir den Klimaschutz als Beispiel. Im Koalitionsvertrag ist das Klimaziel 2020, also die Reduktion der Emissionen um 40 Prozent im Vergleich zu 1990, aufgehoben.

 

Kann man politische Präferenzen wirklich vom Alter abhängig machen, oder ist das eher eine Frage der individuellen Einstellung?

Es gibt psychologische Gründe, die dafür sprechen, dass das Alter einen wichtigen Einfluss darauf hat, wie man wählt. Zwischen 50 und 60 Jahren sinkt bei vielen Menschen die Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen. Sicherheit wird als besonders wichtig empfunden und Veränderungen eher als Risiko denn als Chance wahrgenommen. Bei jungen Menschen ist das genau umgekehrt. Aber das heißt natürlich nicht, dass sich ältere Menschen prinzipiell nicht für Reformen interessieren oder jede junge Wählerin für den Ausstieg aus Atom- und Kohlekraft ist. Die individuelle Ebene hat auch einen wichtigen Einfluss. Aber wenn wir auf die Mehrheitsverhältnisse schauen, können wir feststellen, dass die politischen Konfliktlinien zunehmend zwischen den Generationen verlaufen. Die Skepsis gegenüber großen Reformanliegen macht sich jetzt programmatisch bemerkbar. Es gibt im Koalitionsvertrag kaum ambitionierte politische Visionen.

Anna Braam

Anna Braam

Anna Braam hat sich schon als Politologin im Studium mit Generationengerechtigkeit befasst und ist jetzt Vorsitzende und Sprecherin der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen

Wenn wir auf unser Nachbarland Frankreich  schauen, können wir beobachten, wie sich die Parteienlandschaft wandelt und dass die junge Generation dabei eine wichtige Rolle gespielt. Können wir in Deutschland daraus etwas lernen?

Ich denke, Parteineugründungen haben es in Deutschland relativ schwer, das zeigt die Erfahrung der letzten Jahre mit der Piratenpartei oder aber auch der Partei „Demokratie in Bewegung“. Aber deutlich wird, dass die Parteien durchlässiger werden müssen. Wichtig ist, dass es nicht bei Scheinpartizipation bleibt. Es reicht nicht, ein paar bunte Filzstifte zu verteilen und Post-its auf Pinnwände zu kleben. Wir brauchen echten Dialog. Corbyn in Großbritannien und Macron in Frankreich haben es, ähnlich wie Bernie Sanders in den USA, geschafft, dass sich ihre jungen Wähler als Teil einer Bewegung und eines Aufbruchs sahen. Ein Grund dafür war, dass sie die Themen der Jungen angesprochen haben: Macron in Frankreich mit dem Blick nach Europa, Corbyn in England etwa mit den Forderungen nach mehr Investitionen in Bildung und einem staatlichen Mindestlohn.

Das eine sind die Themen, die junge Menschen ansprechen. Aber was sind die Voraussetzungen, damit sie sich auch politisch engagieren?

Diese Voraussetzungen haben sich verändert. Die Ortsgebundenheit und Langfristigkeit, die Parteien voraussetzen, entsprechen heute nicht mehr der Lebensrealität junger Menschen. Deshalb brauchen wir mehr Möglichkeiten, sich ortsungebunden, themenspezifisch und flexibel an politischen Prozessen beteiligen zu können. Viele junge Menschen sind politisch engagiert, aber weil die Parteistrukturen nicht ihrer Lebensrealität entsprechen, sind NGOs und Verbände oft attraktiver – das sollte sich ändern. Das Mitgliedervotum der SPD war ein erster Schritt in die richtige Richtung. Viele junge Menschen sind der SPD beigetreten, um abstimmen zu können. Das zeigt doch, wie groß das Interesse bei jungen Menschen ist, Politik zu gestalten, wenn der Raum dafür gegeben ist und es die Prozesse erlauben.

Brauchen wir in Deutschland eine neue Partei für die Jugend?

Diese Frage stelle ich mir auch immer wieder. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass wir nicht eine Partei für die Jugend brauchen, sondern alle Parteien. Darüber hinaus wäre es spannend, darüber nachzudenken, wie wir über die aktuellen Generationskonflikte zwischen Jung und Alt auch die Interessen zukünftiger Generationen repräsentieren. Das könnte man realisieren, indem man alle Gesetze von einem Zukunftsrat darauf prüfen lässt, wie sie sich auf zukünftige Generationen in 50 oder 100 Jahren auswirken. Gerade arbeiten wir in unserer Stiftung am Thema „Zukunftsinstitutionen“. Ein Beispiel, das ich besonders interessant finde, ist Finnland, wo jede neu gewählte Regierung neben ihrer Regierungserklärung eine Erklärung darüber abgeben muss, wie sich ihre Politik langfristig auswirkt.

Illustration: Bureau Chateau, Jannis Pätzold

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