fluter: Ist Recht immer eine Form von Selbstdisziplinierung?
Möllers: Recht macht immer beides. Recht begrenzt Handlungsmöglichkeiten, aber ermöglicht auch andere. Eigentum haben kann man ja nicht ohne eine Rechtsordnung. Und auch ein Markt existiert nicht ohne Recht.
Aber das Strafrecht ermöglicht ja nichts, sondern verbietet nur.
Das Strafrecht ist ein Ausnahmerecht, das wir aus symbolischen Gründen haben, von dem wir aber überhaupt nicht wissen, ob es erfolgreich ist. Denken Sie nur an den Bereich der Drogen. Offensichtlich sind wir nicht in der Lage, das mit dem Strafrecht zu bewältigen.
Funktioniert Abschreckung mithilfe des Rechts denn gar nicht?
Man weiß es eben nicht. Die Forschung darüber ist doch sehr durchwachsen, sie hat nie zu wirklichen Ergebnissen geführt. Gerade das Recht, das am schärfsten begrenzt, also das Strafrecht, ist das, dessen Erfolge am wenigsten gewiss erscheinen.
Trotzdem wird ja immer wieder gefordert, die Strafen zu verschärfen und auch schon Unter-14-Jährige zu belangen, die ja nach geltendem Recht noch nicht schuldfähig sind.
Generell ist mein Eindruck, dass das Bedürfnis nach Strafe nichts damit zu tun hat, wie sicher man lebt. Wir führen in Deutschland immer noch einen Diskurs, der vergleichsweise rational verläuft. Ich glaube etwa nicht, dass die Leute mehrheitlich für die Todesstrafe wären, wenn darüber abgestimmt würde.
Historisch betrachtet kann man feststellen, dass die Strafen bei uns immer milder wurden. Früher gab es Todesurteile, Folter, den Pranger …
Ambivalent! Wenn man es langfristig betrachtet, sind sie sicher milder geworden. In den letzten zwanzig, dreißig Jahren bezweifle ich das aber. Man sieht auch, dass wir bestimmte Delikte gerne unter Strafe stellen würden, aber eine Bestrafung gar nicht möglich ist, weil kein Einzelner so zur Rechenschaft gezogen werden kann, wie wir es gerne hätten. Zum Beispiel im Wirtschaftsstrafrecht. Da sieht man Menschen, die riskant mit dem Kapital anderer Leute umgehen und sich daran bereichern. Wir würden das gerne unter Strafe stellen, aber die zugehörigen Delikte sind zu unscharf, und die Organisationsstrukturen sind zu kompliziert. Es gibt keine eindeutige Schuldzurechnung, man kann nicht mehr sagen, der war’s jetzt.
Sind das für Sie als Jurist eigentlich interessante Zeiten, in denen Sie leben?
Ja! Wenn man das global betrachtet, leben wir in einer zweiten Phase nach 1989. Damals ist unglaublich viel passiert, etwa, dass unser Modell einer starken Verfassungsgerichtsbarkeit sehr erfolgreich in Mittel- und Osteuropa oder in Südafrika war. Aber auch, dass der Glaube an die Internationalisierung des Rechts sehr groß war. Dieser Glaube an internationale Lösungen besteht in der Form nicht mehr. Heute würden die USA nicht mehr der Welthandelsorganisation beitreten, Russland würde nicht mehr der Europäischen Menschenrechtskonvention beitreten und so weiter.
Immerhin scheint der Internationale Strafgerichtshof nicht in der Krise zu sein. Im Gegenteil: Er hat eben erst Ermittlungen gegen den libyschen Diktator Gaddafi aufgenommen.
Das ist natürlich besonders faszinierend, weil der Internationale Strafgerichtshof gerade noch so in der Blüte der Internationalisierung des Rechts nach 1989 entstanden ist. Und jetzt ist diese Institution da, obwohl der politische Wille der Staaten eigentlich gar nicht mehr so groß ist, mit ihm zu arbeiten. Es wird sich zeigen, wie sich diese Organisation durchsetzen kann.
Aber rein theoretisch ist durch den Internationalen Strafgerichtshof jetzt kein Mensch mehr sicher vor dem Recht.
Das kann man positiv und negativ sehen. Einerseits haben wir keine Machthaber mehr, die sich immunisieren können gegen bestimmte Regeln wie Menschenrechte. Es hat aber auch den anderen Nebeneffekt, dass sehr unerfahrene politische Institutionen in Nationalstaaten intervenieren und damit vielleicht auch Krisen hervorrufen können, weil sie gar nicht wissen, was sie da tun.