Mal angenommen, ein Schreiner bekommt den Auftrag, einen Tisch zu bauen. Er liefert das Stück termingerecht. Nach einem halben Jahr ist das Geld noch immer nicht da. Also ruft er beim Kunden an und bittet höflich darum, nun endlich die Rechnung zu begleichen. „Ach, das tut mir leid“, antwortet der, „an dem Tisch hat noch niemand gesessen. Aber sobald wir den Tisch benutzt haben, werden wir das Geld überweisen.“ Klingt absurd, ist aber in der Medienbranche durchaus üblich: Als freier Journalist hat man es nicht selten mit Auftraggebern zu tun, die Texte bestellen, aber erst zahlen wollen, wenn sie auch gedruckt werden. Das Dumme ist: Manchmal drucken sie sie gar nicht. Oder sie merken, dass der Text in der bestellten Länge nicht in die Zeitung oder das Magazin passt, kürzen ihn und bezahlen anschließend nur das, was sie abgedruckt haben. Als würde man im Restaurant das bestellte Gericht nur halb essen und dann die Hälfte bezahlen.
Damit ist es für freie Journalisten schier unmöglich, vernünftig zu kalkulieren, weil man nie sicher sagen kann, wie viel Geld die eigene Arbeit einbringt und wann es auf dem Konto eintrifft. Zudem stellt das Internet alle Modelle infrage, mit denen Journalismus in den vergangenen Jahrzehnten durch Anzeigen und Verkaufserlöse finanziert wurde. Für freie Journalisten hat diese Entwicklung unmittelbare finanzielle Einbußen zur Folge: Um Geld zu sparen, setzen Verlagsmanager oftmals zuerst bei den variablen Kosten an, die nicht durch langfristige Verträge gebunden sind. Und das sind unter anderem die Honorare der freien Journalisten, bei denen die Verhandlungen ums Honorar bei jedem Artikel von vorne beginnen. Und Verlagsjuristen ersinnen Verträge, nach denen ein Text nur einmal bezahlt wird, aber in vielfältiger Weise, zum Beispiel im Internet, genutzt werden kann.
Es war im Frühjahr 2008, als ich und einige andere freie Journalisten fanden, dass es so nicht weitergeht, dass wir für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen müssen. Wir entwickelten die Idee, freie Journalisten zu einer Stimme zusammenzuschließen, die mehr Gewicht haben würde als die jedes einzelnen. Mit 140 Kollegen, die wir für die Idee gewinnen konnten, gründeten wir einen Verein, die „Freischreiber“, den Berufsverband freier Journalistinnen und Journalisten. Die bestehenden Gewerkschaften DJV (Deutscher Journalisten-Verband) und DJU (Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union) vertreten zwar auch sowohl freie Journalisten wie angestellte Redakteure, doch wir wollten uns dezidiert um die Belange der Freien kümmern. Viele prophezeiten uns damals, dass unsere Energie bald in sich zusammenfallen würde. Freie Journalisten seien Individualisten, die sich gern hinter ihren Computern ver- schanzen und ihren Ärger in wütende E-Mails packen, aber kein großes Interesse daran haben, sich übermäßig für die eigenen Interessen zu engagieren.
Inzwischen haben wir knapp 350 Mitglieder, das sind deutlich mehr, als man uns anfangs zugetraut hat, doch weniger, als wir in unserer Euphorie damals dachten. Aber die anderen kriegen wir schon noch. Um zu zeigen, wie wichtig unsere Arbeit ist, starteten wir die „Freiflächen“-Kampagne: In Animationen, die wir auf unserer Website präsentierten, konnte man auf einen Blick sehen, wie wenig von Tageszeitungen und Magazinen übrig bliebe, wenn Freie von heute auf morgen ihre Arbeit einstellen würden. Man muss sich das, was mit Freischreiber entstanden ist, vorstellen wie einen Apparat, der Ärger in Tatkraft verwandelt. Auf der einen Seite wird er mit allem gespeist, was den Beruf des freien Journalisten so beschwerlich macht, auf der anderen Seite spuckt er regelmäßig etwas aus, was einem den Spaß an diesem Beruf zurückgibt. Jetzt müssen nur noch mehr Journalisten begreifen, dass ein solcher Apparat umso bessere Ergebnisse erzielt, je mehr Leute daran mitbauen.