Ja, was denn nun: Darf der NSA-Untersuchungsausschuss ihn vorladen – oder muss er? Wer Anfang der Woche nur die Überschriften gelesen hat, konnte sich nicht sicher sein, ob Hauptzeuge Edward Snowden nun in Deutschland aussagen wird oder nicht.
Darf oder muss – das ist in diesem Fall kein ganz unwichtiges Detail. Der NSA-Untersuchungsausschuss, der sich mit der Ausspähung der Kommunikation deutscher Bürger durch ausländische Nachrichtendienste beschäftigt, möchte Edward Snowden bereits seit Mai 2014 anhören, der Whistleblower gilt als wichtigster Zeuge.
Dass er bislang nicht befragt wurde, liegt nach Ansicht der Opposition (im Ausschuss vertreten durch eine Abgeordnete der Linkspartei und einen Abgeordneten der Grünen) am Unwillen der Bundesregierung (Union und SPD stellen die restlichen sechs Mitglieder). Die hat sich wegen außenpolitischer Bedenken gegen eine Befragung Snowdens auf deutschem Boden gestellt. Der ehemalige Geheimdienstmitarbeiter, von den USA wegen Diebstahls von Regierungseigentum, widerrechtlicher Weitergabe geheimer Informationen sowie Spionage gesucht, fordert für sein Erscheinen im Zeugenstand aber Aufenthaltsrecht in Deutschland und Schutz vor Auslieferung – eine missliche Lage, die zu diplomatischen Problemen mit den USA führen könnte. Deshalb hat die Ausschuss-Mehrheit den Antrag der Opposition, Snowden die Einreise zu ermöglichen, bislang überstimmt. Snowden, der grundsätzlich als Zeuge zur Verfügung steht, will sich jedoch weder in Moskau befragen noch per Video-Chat nach Berlin schalten lassen.
Das BGH-Urteil klingt nach einem Muss, aber ...
Da der Ausschuss seiner Aufgabe also nur nachkommen könnte, wenn Edward Snowden in Deutschland aussagt, haben die Abgeordneten von Linkspartei und Grünen dagegen geklagt. Sie wollen, dass der Ausschuss einen förmlichen Antrag zur Amtshilfe an die Bundesregierung stellt, die dann nämlich verpflichtet wäre, den Untersuchungsausschuss nach Kräften zu unterstützen. In dessen Arbeit einmischen darf sie sich übrigens nicht.
Jetzt also: Vorladung Snowden – darf oder muss? Der Untersuchungsausschuss habe „die Bundesregierung zu ersuchen, unverzüglich die Voraussetzungen für eine Vernehmung des Zeugen S. in Deutschland zu schaffen“, schreibt der Bundesgerichtshof (BGH) in seinem Urteil vom 11. November, das Anfang der Woche öffentlich wurde. Klingt nach einem Muss.
„Der BGH nimmt den Ausschuss in die Pflicht“, sagt Rolf Gössner, Rechtsanwalt, Publizist und Vorstandsmitglied der Internationalen Liga für Menschenrechte. Die bisherige Mehrheitsentscheidung gegen ein Amtshilfeersuchen sei nicht rechtmäßig, so die Richterin, denn Edward Snowden sei nicht per se „unerreichbar“, und seine Aussage habe die Ausschuss-Mehrheit zur Klärung des Untersuchungsauftrags für erforderlich erachtet. „Die Konsequenz des BGH-Beschlusses ist, dass der Untersuchungsausschuss dem Antrag auf Amtshilfe nun mehrheitlich zustimmen und Amtshilfe bei der Bundesregierung beantragen muss“, erklärt Gössner.
... darf ein Gericht Abgeordneten überhaupt eine Entscheidung vorschreiben?
Die Koalitionsmitglieder im Ausschuss müssen sich also dem Willen der Opposition fügen. Doch nicht nur für Gössner bleibt fraglich, ob ein Gericht anordnen kann, wie die Abgeordneten zu entscheiden haben: Die Koalitionsmitglieder im Ausschuss haben die Antragstellung vertagt, womöglich um Einspruch gegen das BGH-Urteil einzulegen. Selbst wenn diesem nicht stattgegeben werden sollte – dass Snowden dann tatsächlich nach Deutschland kommt, wäre damit immer noch nicht entschieden. Denn trotz der grundsätzlichen Verpflichtung zur Unterstützung des Ausschusses könnte sich die Bundesregierung dagegen entscheiden.
Bisher hatte die Regierung stets behauptet, sie könne ein sicheres Geleit für Edward Snowden nicht garantieren, sie sei per Abkommen dazu verpflichtet, ihn im Falle seiner Einreise nach Deutschland an die USA auszuliefern. Nach Ansicht von Nikolaos Gazeas sind das unberechtigte Einwände: „Auch auf Basis der bestehenden Auslieferungsverträge besteht im Fall Snowden keine Auslieferungspflicht“, sagt der Rechtsanwalt und Lehrbeauftragte der Universität Köln, „weil die Snowden vorgeworfenen Straftaten politische Straftaten sind.“ Solche Fälle seien von der Auslieferungspflicht ausgenommen, was Gazeas in diesem Interview mit dem Deutschlandfunk noch ausführlicher darlegt.
Auch die Forderung Snowdens nach Zusicherung sicheren Geleits sei in der Praxis ohne größere Schwierigkeiten durchsetzbar und juristisch gut zu begründen. „Wenn die Vernehmung Snowdens in Berlin daran scheitern sollte, dass ihm kein sicheres Geleit zugesichert wird, dann läge dies am fehlenden politischen Willen“, sagt Gazeas.
Kurzum: Die Vorladung ist noch längst nicht durch
Und dann? Die Arbeit eines Untersuchungsausschusses ist zeitlich auf eine Legislaturperiode begrenzt, sie endet also definitiv im kommenden Jahr. Wird der Antrag gestellt und die Bundesregierung reagiert nicht, kommt für die Opposition eine Untätigkeitsklage in Betracht. Versagt die Regierung dem Ausschuss die Amtshilfe, müssten die beiden Abgeordneten vor dem Bundesverfassungsgericht klagen. Das ist im Fall der sogenannten NSA-Selektoren schon einmal den Ansichten der Bundesregierung gefolgt. Die Einreise Snowdens ist mit dem BGH-Urteil also ein klein wenig wahrscheinlicher geworden, aber keineswegs sicher.
Foto: Zhang Fan/laif