Gerade noch hatte man das geschäftige Brummen der Straßen von Berlin-Kreuzberg im Ohr. Doch hier, in den frisch bezogenen Büroräumen des Internetsenders Meydan TV, geht es um eine ganz andere Welt. Zwischen Schreibtischen, Zimmerpflanzen und ein paar dunklen Ledersesseln steht nicht Berlin, sondern Aserbaidschan im Mittelpunkt – das ölreiche Land am Kaspischen Meer, das von dem autokratisch regierenden Ilham Alijew beherrscht wird. Der Präsident des südkaukasischen Landes bekämpft kritische Journalisten, Menschenrechtsverteidiger und Oppositionelle mit harter Hand. Viele seiner Kritiker hat er ins Gefängnis gebracht. Laut aserbaidschanischen Menschenrechtlern gibt es derzeit 80 bis 100 politische Häftlinge. Andere Oppositionelle, so auch Mitarbeiter von Meydan TV, haben das Land verlassen und arbeiten im Exil.

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Aserbaidschan braucht dringend frischen Journalismus. In den Blättern, die es durch die Zensur des Alijew-Regimes schaffen, ist er nicht zu erwarten (Foto: Rene Zieger / Ostkreuz)

Aserbaidschan braucht dringend frischen Journalismus. In den Blättern, die es durch die Zensur des Alijew-Regimes schaffen, ist er nicht zu erwarten

(Foto: Rene Zieger / Ostkreuz)

In ihrer Heimat wird unterdessen am 12. Juni das milliardenschwere Sportspektakel der European Games eröffnet. Aserbaidschans Hauptstadt Baku richtet eine Art Olympischer Spiele aus, mit weniger Sportarten und nur mit europäischen Sportlern. Nach Ansicht von Kritikern sind die Spiele vor allem ein Prestigeprojekt für das repressive Regime, zumal Aserbaidschan mit seinen Bewerbungen für die Olympischen Spiele 2016 und 2020 erfolglos geblieben ist. Wie schon beim Eurovision Song Contest 2012 sollte das Land als modern und weltoffen präsentiert werden.

Deshalb wird hier im Kreuzberger Büro von Meydan TV die Lage in Aserbaidschan derzeit mit besonderer Spannung beobachtet. Der Journalist Emin Milli ist 2013 mit seiner Frau in die deutsche Hauptstadt gezogen, um ein TV-Programm auf die Beine zu stellen, das sich kritisch mit den politischen Vorgängen in seiner Heimat auseinandersetzt. Meydan TV sendet bislang im Web. Die Idee, auch über Satellit zu senden, wurde wieder verworfen. „Das haben wir einmal gemacht“, berichtet Milli, „und da wurde das Sendesignal gestört.“ In Aserbaidschan hätte ein Projekt wie Meydan TV überhaupt keine Überlebenschance. Emin Milli selbst hat dort länger als 16 Monate im Gefängnis gesessen, weil er es als Blogger gewagt hatte, sich mit einem Video über korrupte Politiker lustig zu machen. Wie es in dieser Hinsicht um das Land bestellt ist, zeigt der Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International – dort rangiert Aserbaidschan im korruptesten Drittel der aufgeführten Länder.

Gerade ist Milli von einer Vortragsreihe aus London, New York und Warschau zurückgekehrt, bei der er über die Arbeit von Meydan TV und die Lage in Aserbaidschan berichtete. Der Mittdreißiger sieht etwas müde aus. „Ich lebe eigentlich gar nicht in Berlin“, sagt er auf Deutsch und lässt sich in einen Sessel fallen. „Ich bin viel unterwegs. Und wenn ich in Berlin bin, telefoniere ich mit Leuten in Baku und mit Aserbaidschanern in anderen Ländern. Alles dreht sich um Aserbaidschan.“ Das Exilmedium Meydan TV hat sich mit einer Handvoll Mitarbeiter in Berlin und einem weit verzweigten internationalen Netzwerk zu einer kleinen Institution in der Medienlandschaft Aserbaidschans entwickelt, die größtenteils durch Staatsmedien und regimenahe Medien geprägt ist.

Oppositionelle und unabhängige Medien können unter dem Druck des Regimes kaum noch existieren. Im Mai 2014 musste die Zeitung „Zerkalo“ (Spiegel) ihre Printausgabe einstellen, im Dezember 2014 wurde das Büro von Azadliq, dem azerisprachigen Dienst des US-finanzierten Radiosenders Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL), geschlossen. In den vergangenen zwei Jahren vor den European Games wurden Dutzende von Regimekritikern und Journalisten aufgrund von fingierten, mit langen Haftstrafen verbundenen Anschuldigungen festgenommen, kritisiert die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Auf der Rangliste der Pressefreiheit 2015 von Reporter ohne Grenzen rangiert Aserbaidschan auf Platz 162 von 180 Ländern.

Die größte internationale Kritik gab es nach der Verhaftung der mutigen Journalistin Khadija Ismajilowa im Dezember 2014. Sie hatte millionenschwere Geschäfte der Alijew-Familie aufgedeckt. Die 39-Jährige war sich immer im Klaren darüber gewesen, dass ihre Arbeit sie irgendwann ins Gefängnis bringen würde. Ismajilowa wird nun vorgeworfen, einen freien Journalisten zu einem Selbstmordversuch getrieben zu haben. Der hat mittlerweile zugegeben, dass er diese Anschuldigung unter Druck fabriziert hat.

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Geschöhnte Wahrheiten: Nicht leicht, den Dingen hier in Baku auf den Grund zu gehen (Foto: Rene Zieger / Ostkreuz)

Geschöhnte Wahrheiten: Nicht leicht, den Dingen hier in Baku auf den Grund zu gehen

(Foto: Rene Zieger / Ostkreuz)

„Mittlerweile sind alle Journalisten oder Menschenrechtler, die während des Eurovision Song Contest 2012 in Baku mit internationalen Journalisten gesprochen haben, im Gefängnis oder ins Ausland geflohen“, sagt Milli. Der ESC war die erste große internationale Veranstaltung, die das Alijew-Regime nutzte, um sich als modernes und weltoffenes Land zu präsentieren – und als westlich orientierter Stabilitätsfaktor in einer geostrategisch wichtigen Region, die in der Einflusssphäre Russlands und des Iran liegt. Kritik, die an diesem polierten Image kratzt, ist unerwünscht.

Im Zuge des ESC gab es viel Kritik am Regime, das seine Ölmilliarden dazu nutzt, auch westliche Politiker durch die sogenannte „Kaviar-Diplomatie“ für sich zu instrumentalisieren. Man kann sagen: Das Regime nahm die Kritik persönlich. Vor allem im vergangenen Jahr wurde eine ganze Reihe von Journalisten und Kritikern verhaftet. Und das, obwohl die aserbaidschanische Regierung 2014 für sechs Monate den Vorsitz des Europarates innehatte. Die internationale Kritik fiel verhalten aus.

„Mich macht das sehr wütend“, sagt Milli. „Die westliche Welt steht für Freiheit, setzt sich aber nur bedingt für sie ein. Die sogenannte Realpolitik mit ihrer Doppelmoral dominiert immer mehr die internationale Politik und die der EU. Das ist sehr besorgniserregend für solche Leute wie mich, die sich für Menschenrechte und Meinungsfreiheit einsetzen. Denn letzten Endes bedeutet dies auch eine Einschränkung der Freiheit im Westen.“ Milli hält nichts davon, große sportliche Veranstaltungen an diktatorische oder autokratische Länder wie Aserbaidschan zu vergeben, „wenn Leute im Gefängnis leiden müssen, die für Freiheit kämpfen“.

Geschätzte sechs Milliarden Euro gibt das Alijew-Regime nun für die European Games aus, man will sich großzügig und offenherzig geben. Die Reisekosten der Athleten aus den teilnehmenden Nationen werden größtenteils übernommen. 6.000 Sportler wollen kommen, darunter rund 270 aus Deutschland. Auch künftig plant das Alijew-Regime, sich mit dekorativen Sportveranstaltungen selbst zu bewerben. 2016 soll ein Formel-1-Rennen in Baku stattfinden, 2020 mehrere Gruppenspiele und ein Viertelfinale der Fußball-EM.

Diejenigen, die sich vom PR-Image des Regimes nicht blenden lassen wollen und dennoch den Mund aufmachen, gelten als undankbare Verräter. Leute wie Milli leben also gefährlich. „Im Dezember haben wir unser Büro in Baku geschlossen“, berichtet Milli. „Denjenigen, die mit uns kooperieren, können wir einfach keine Sicherheit garantieren. Dass das Regime zu allem in der Lage ist, um seine Interessen durchzusetzen und zu schützen, zeigt die Vergangenheit.“

Deswegen bleibt auch der Ort der Redaktion von Meydan TV im Berliner Stadtteil Kreuzberg geheim. „Vergangenen Dezember hat der zweitwichtigste Mann Aserbaidschans, der Leiter der Präsidialverwaltung, uns vorgeworfen, wir wollten die verfassungsmäßige Ordnung in Aserbaidschan gewaltsam stürzen.“ Milli lächelt ob einer solch absurden Anschuldigung. Dann sagt er: „Allein die Tatsache, dass uns – die wir ja nur wenige sind – dieses schwerreiche Regime mit so viel Energie, Aufmerksamkeit und Geld bekämpft, zeigt doch, wie wichtig unser Anliegen ist.“ Milli macht eine kurze Pause. „Es zeigt, wie groß deren Angst vor der Freiheit ist.“

Ingo Petz arbeitet seit über 15 Jahren als freier Journalist. Als studierter Slawist hat er eine besondere Vorliebe für osteuropäische Themen.