Schwarzer Klee, angepflanzt in einem Dreieck. Oxalis triangularis heißt das Halbschattengewächs in der Fachsprache, das da im Berliner Prinzessinnengarten wächst. Schön schaut es aus, und ohne das kleine Schild am Rande des Beets käme wohl kaum einer darauf, worum es sich dabei handelt: „Denkmal für die Asozialen“ steht da, gepflanzt vom „Zentralrat der Asozialen“. Gerade hier in Kreuzberg klingt das stark nach Punk, könnte der Name doch aus derselben Feder stammen wie die „Anarchistische Pogo-Partei Deutschlands“.
Allerdings ist das Ganze vollkommen ernst gemeint. Als „Asoziale“ stigmatisierten und verfolgten die Nazis während ihrer Herrschaft eine ganze Reihe von Gruppen: Bettler, Obdachlose, Suchtkranke, Prostituierte und sogenannte „Arbeitsscheue“, um nur einige zu nennen. In den Konzentrationslagern mussten sie schwarze Dreiecke auf ihrer Kleidung tragen. Nach 1945 wurden die Verbrechen an den sogenannten „Asozialen“ weder anerkannt noch entschädigt. Das Bundesentschädigungsgesetz von 1953 ließ sie außen vor, die heterogene Opfergruppe ging einfach unter.
Deshalb hat sich im März 2015 in Hamburg der Zentralrat der Asozialen in Deutschland (ZAiD) gegründet. Deshalb pflanzt eine Handvoll Engagierter schwarzen Dreiecksklee. „Wir wollen nicht noch einen Stein nach Berlin-Mitte stellen“, sagt Tucké Royale, der Erste Sprecher. Stattdessen hat der Zentralrat einen Forderungskatalog aufgestellt – „vollmundig, aber aufrichtig“, wie Royale sagt. Darin enthalten: die Entschädigung der als „asozial“ Verfolgten (bzw. ihrer Nachfahren) und die angemessene Erwähnung der Opfergruppe im Geschichtsunterricht, auch geeigneter Wohnraum für Wohnungslose sowie die Abschaffung der Hartz-IV-Gesetze.
Der Kritik, Royale missbrauche das Thema für eine bloße Kunstperformance, steht dessen Engagement gegenüber: In den vergangenen Monaten hat er den Zentralrat gegründet, Interview um Interview gegeben und erste Aufmerksamkeit auf das Thema gelenkt. Auch Workshops und eine Publikation zu den vergessenen NS-Opfern sind geplant. Und bei den sogenannten Seilschaftstreffen werden regelmäßig Angehörige, Freiwillige und Wissenschaftler an einen Tisch gebracht. Dabei ging es anfangs zunächst um einen Gedankenaustausch, es wurde diskutiert, wie man am besten auf das Thema aufmerksam macht. Oder wie legitim es ist, wenn sich Nichtbetroffene wie der in den 80er-Jahren geborene Royale für die „Asozialen“ engagieren.Doch der ZAiD hat es nicht leicht, Reaktionen von Seiten der Politik blieben bislang aus. Das mag daran liegen, dass die „Asozialen“ nicht eindeutig zuzuordnen sind, dass Überschneidungen mit anderen Opfergruppen wie Homosexuellen, Juden, Sinti und Roma bestehen, die ebenfalls lange zu großen Teilen von Entschädigungen ausgeschlossen wurden. Im Gegensatz zu diesen hatten die „Asozialen“ keine Lobby, wegen Zwangssterilisationen fehlt es oft auch an Nachfahren, die sich engagieren könnten. Zumal die Scham noch immer groß ist. Und dann ist der selbst ernannte Sprecher Tucké Royale, seines Zeichens Berliner Performer, mit seinen wasserstoffblonden Haaren und auffälligen Outfits natürlich ein leichtes Opfer für alle, die dem ZAiD die Ernsthaftigkeit absprechen wollen.
Laut eigener Aussage ist seine Arbeit ein Vollzeitjob, besonders der Kontakt zu den Angehörigen, die oft viel zu erzählen haben. „Ganz klar, dass solche Telefonate nicht in 20 Minuten geführt sind“, sagt Royale. Den Anrufern gehe es meist um Anerkennung. „Sie wünschen sich vor allem moralische Entschädigung – Geld ist für sie nebensächlich.“
So könnte man meinen, die Arbeit des ZAiD sei getan, sobald die Bundesregierung sich zu allen Opfern des Nationalsozialismus bekennt. Doch im Grunde dürfte auch urbaner Lebensraum nicht privatisiert und Bettler nicht kriminalisiert werden, sagt Royale, ohne Analogien zu den Verbrechen der Nationalsozialisten herstellen zu wollen. Eigentlich bedürfe es einer gesellschaftlichen Debatte: Produktivität, als vorzeigbar geltende Arbeit, Konsum – sollten wir uns daran orientieren? Was Royale mit seinem Zentralrat anstrebt, ist letztlich nicht weniger als ein Paradigmenwechsel. „Aber so größenwahnsinnig sind wir dann doch nicht.“