Worum geht es?
Alice und Cam lernen sich in einer Dresdner Psychiatrie kennen: Architekturstudentin Alice (Lena Urzendowsky) muss dort zwei Monate Sozialstunden ableisten, nachdem sie bei einer Demo einen Polizisten angegriffen hat („Ich habe mich nur verteidigt“). Die nach einem rassistischen Überfall traumatisierte Cam (Kotti Yun) macht dort eine Therapie. Sie spricht zunächst kein Wort mit Alice, obwohl die es immer wieder versucht. Schließlich öffnet Cam sich doch – als sie plötzlich aus der Klinik entlassen wird und bei Alice einziehen will. Nun kehrt sich das Verhältnis der Freundinnen um: Bald ist es Cam, die sich um Alice kümmert.
Worum geht es eigentlich?
Der Film kombiniert ganz schön viel Zeitgeistiges: Alice ist Umweltaktivistin, die schon mit zwölf in ihren ersten Hungerstreik getreten ist – gegen den umstrittenen Bau der Waldschlösschenbrücke über die Elbe. Sie filmt seit Jahren die Veränderungen ihrer Heimatstadt Dresden und prangert in ihren Videos Privatisierung, Spekulanten und „Karrieristen“ an. Dazu gehören auch ihr Vater, Professor und Stadtplaner, und ihr Freund, der als Architekturstudent Pläne für die Bebauung der Elbwiesen entwirft. „Ich kann dich nicht lieben, wenn du so denkst!“, wirft sie ihm an den Kopf, als der erklärt, es sei doch nur ein Uni-Projekt. Cam, deren Familie aus Vietnam eingewandert ist, wird Opfer eines rassistisch motivierten Überfalls. Über den erfahren wir keine Details, dafür hören wir aber, wo ihr Rassismus im Alltag begegnet: Da war etwa der Mathelehrer, der sich bei zwei Fehlern schon über sie wunderte, denn „ihr“ – womit er wohl asiatisch gelesene Menschen meinte – „seid doch so fleißig und so gut in Mathe“. Eine bedeutende Rolle, auch wenn zunächst wenig darüber gesprochen wird, spielen in „Zwischen uns der Fluss“ die Klassenunterschiede: Alice lebt in einem Dresdner Villenviertel. Sie kann sich ihren Aktivismus leisten, kann ihr Studium schleifen lassen, sich um Cam kümmern. Als Cam die Psychiatrie verlassen will, sagt sie zu Alice, sie brauche keine Therapie, sondern Geld, woraufhin Alice ihr drei Monatsmieten schenken will, obwohl die beiden sich kaum kennen. Da scheint ganz schön viel „White Savior“-Komplex durch, ein unter anderem in Filmen und Büchern gängiges Motiv: Eine weiße Figur rettet eine People-of-Color-Figur, die es vermeintlich alleine nicht schaffen würde.
Wie wird es erzählt?
„Zwischen uns der Fluss“ ist ein langsamer, aber nicht langweiliger Film. Der Fokus der Erzählung liegt eindeutig auf Alice: Über sie erfahren wir viel mehr Details als über Cam. Der Film beginnt sehr ruhig – alleine schon, weil Cam nicht spricht. Alles wirkt kühl, die Sonne scheint nicht. Alice und Cam essen ein Eis, aber es ist immer Pulli-Wetter. Je besser es Cam geht, desto freundlicher wird das Wetter. Plötzlich kommt dann doch noch die Sonne raus, ein Käfer krabbelt über die Hände der beiden, die Freundinnen geworden sind: Die dunkle Zeit scheint vorbei.
Was hat es mit dem Fluss auf sich?
Der titelgebende Fluss, die Elbe, ist für Alice Lebensthema. Doch die Elbe teilt auch die Welten von Alice und Cam: Alice lebt in einer Villa auf einem Berg. Der ist so steil, dass die zwei jungen Frauen ihr Fahrrad schieben müssen, Cam ist völlig außer Atem, als sie oben ankommt. Auf der anderen Seite des Flusses lebt Cam, die aus Berlin zum Studieren nach Dresden gezogen ist, in einem mit dem Nötigsten eingerichteten Plattenbau. Das Klingelschild, vor dem Alice einmal steht, ist riesig: 21 Stockwerke mit jeweils acht Wohnungen.
Lohnt es sich?
„Zwischen uns der Fluss“ ist – trotz ein paar Ungereimtheiten im Drehbuch und allzu schnellen Entwicklungen – ein sehenswertes Drama. Dass Cam die Klinik verlassen möchte und bei Alice einzieht, wirkt etwas unvermittelt. Doch die sich umkehrende Dynamik der ungleichen Freundinnen überzeugt, weil sie psychologisch realistisch wirkt: Ab einem bestimmten Punkt merkt Cam, dass Alice zwar fürsorglich ist, es ihr aber mindestens genauso sehr um sich geht. Das ist eine notwendige Emanzipierung von Cam gegenüber ihrer „Retterin“ und aus ihrer Opferrolle heraus. Alice dagegen entwickelt sich kaum weiter, was sie aber erst versteht, als Cam ihr das an den Kopf wirft.
Bestes Zitat:
„Eigentlich bist du eine arrogante, verwöhnte junge Frau, die sich scheinbar alles leisten kann, sogar Menschen zu hassen“, sagt Cam einmal ganz ruhig zu Alice. Wahrscheinlich war davor nie jemand so ehrlich zu ihr.
Good Job!
„Zwischen uns der Fluss“ entstand laut Filmverleih als eine „Gruppenarbeit“. Am Drehbuch schrieben beispielsweise neben Regisseur Michael Klier und der Autorin Karin Åström die zwei Hauptdarstellerinnen mit. Das merkt man, denn die jungen Frauenfiguren wirken in ihren Konflikten, Gedanken und Handlungen authentisch.
Und sonst?
Laut Verleih spielen in der gesamten Filmgeschichte nur vier Kinospielfilme in Sachsens Landeshauptstadt Dresden. Schade eigentlich!
„Zwischen uns der Fluss“ läuft ab dem 11. April im Kino.
Fotos: Michael Klier Film / Peter Zach