Die zwei Informatikstudenten Larry Page und Sergey Brin lernen sich Mitte der 1990er-Jahre an der Eliteuni Stanford kennen. Zusammen entwickeln sie den „PageRank-Algorithmus“, der das Suchen im Web revolutionieren soll. Im September 1998 gründen die beiden Google Inc. Das inoffizielle Firmenmotto lautete damals „Don’t be evil“. Ihr Ziel? Nicht weniger als alle Informationen der Welt für alle und jederzeit zugänglich zu machen. Und damit Geld verdienen. Heute nutzen über 85 Prozent der Internetnutzer weltweit Google, wenn sie Informationen online suchen. Was war Google früher, was ist es heute?
fluter.de: Herr Krajewski, warum werden erfolgreiche Start-ups eigentlich so oft in Garagen gegründet?
Markus Krajewski: Dieser Gründungsmythos nervt etwas. Kann es nicht mal eine Veranda oder ein Wohnzimmer sein? Vielleicht gehört es aber einfach dazu, um glaubhaftes Nerdtum zu verkörpern. Das ist eines der Erfolgsrezepte von Google.
Wie meinen Sie das?
Schon der Name hat Nerdcharakter: Er spielt auf die Googol-Zahl an, eine Eins mit 100 Nullen. Das ist wie ein Insiderwitz unter Mathematikern und Informatikern, in deren Gemeinschaft Google wohl auch zuerst bekannt wurde. Wirklich erfolgreich wurde Google aber vor allem durch den Universalanspruch und die einfache Bedienung.
Google sieht heute noch fast genauso aus wie 1998.
Ja, auf der Startseite sieht man immer noch vor allem eine Menge Weiß. Das unterscheidet Google erheblich von anderen Suchmaschinen der 1990er-Jahre. Diese Einfachheit trug maßgeblich zur frühen Attraktivität bei. Auch wegen der langen Ladezeiten damals. Eine Art Bauhaus-Erlebnis im verschnörkelten und optisch überladenen Internet der 90er-Jahre. Was außerdem sehr wichtig war für den Erfolg: das Versprechen, das Netz als solches zugänglich zu machen. Damals war es für die meisten Menschen noch so undurchschaubar wie eine Blackbox. Google war die erste Suchmaschine mit dem Anspruch, eine wirklich universale Suchmaschine zu sein und das Netz in seinen Tiefen auszuloten.
Die beiden Gründer hatten 1998 angekündigt, eines Tages alles Wissen der Welt mit ihrer Suchmaschine zugänglich zu machen. Werden wir irgendwann von einer Epoche vor und einer nach Google sprechen?
Das gehört zu den Selbsterzählungen von in Garagen gegründeten kalifornischen Unternehmen offenbar dazu: ein ungeheurer Machtanspruch und keine kleine Portion Größenwahn. Google als Epochenwende? Nein. Google setzt auf jahrhundertealte Vorarbeiten von anderen. Es ist eine sehr geschickte Verbindung von einer Fülle von Ideen, Konzepten und Projekten der letzten 500 Jahre.
Auf welche Ideen genau baut Google denn auf?
Schon im 16. Jahrhundert hat man beispielsweise darüber nachgedacht, wie man mit großen Informationsmengen umgehen kann. Der Schweizer Gelehrte Conrad Gessner hat lange unter beträchtlichem Aufwand Buchtitel gesammelt, um eine Universalbibliografie aufzubauen. Er wollte eine Beschreibung aller Bücher seiner Gegenwart und Vergangenheit erarbeiten, das Weltwissen an einem Ort versammeln. Schnell merkte er, dass das nur geht, wenn er die Inhalte in kleinste Informationsbestandteile zerlegt. Er kam auf eine Art Karteikarten-System. Ein ähnliches Prinzip verwendet Google: Es zerteilt und indiziert alle Informationen im Netz, um es so schneller durchsuchen zu können.
Gab es in der Geschichte jemals eine Institution, die mehr Wissen und damit Macht über uns hatte als Google heute?
Man darf nicht der Selbstglorifizierung von Google auf den Leim gehen. Ein kurzer Blick in die Geschichte relativiert dieses Bild rasch: Die katholische Kirche beispielsweise hat in ihrer über 1.600 Jahre umspannenden Wissenssammlung einen ähnlichen Schatz angehäuft. Das Vatikanische Geheimarchiv ist sagenumwoben, die Vatikanische Apostolische Bibliothek ebenso riesig wie wertvoll, dann sind da noch die Kunstkammern. Alles zusammengenommen und menschheitsgeschichtlich betrachtet: ein unglaublich reicher Schatz. Oder denken Sie an das Stasi-Archiv in Berlin, wo möglichst alles über die DDR-Bürger gespeichert war. Mit dem Superlativ „so was gab es noch nie“ gilt es also, vorsichtig zu sein. Aber es ist natürlich bezeichnend, wenn es in der deutschen Sprache seit 2004 ein neues Wort im Duden gibt: googeln. Daran wird deutlich, wie grundlegend das Unternehmen in unsere Lebensbereiche vorgedrungen ist.
Mittlerweile hat Google eine sehr große KI-Abteilung (künstliche Intelligenz), beteiligt sich an Militärforschung, ist Autohersteller …
Klar, es ist viel mehr als eine Suchmaschine. Google ist zuallererst ein milliardenschwerer Konzern, der Gewinne maximieren will. Es ist auch eine Datenkrake, eine Bibliothek, eine Werbeagentur, ein Kartografie-Institut – und nicht zuletzt ein Spiegel der Eitelkeiten. Wer hat sich noch nie selbst gegoogelt, um etwas über die eigene Reichweite zu erfahren?
Das hat anscheinend auch Trump letztens gemacht und bemerkt, dass ziemlich schlecht über ihn geschrieben wird. Wer bei der Bildersuche „Idiot“ eingibt, bekommt als Erstes ein Foto des aktuellen US-Präsidenten. Ist der Algorithmus wirklich so neutral, wie Google gerne betont?
Wir wissen nicht exakt, nach welchen Kriterien er gewichtet. Der Algorithmus ist nicht open source, sondern scheint so gehütet wie das Coca-Cola-Rezept. Aber letztlich ist er vergleichsweise leicht verständlich, so wie Cola eben auch nur koffeiniertes Zuckerwasser ist. Das Prinzip geht auf Ideen der wissenschaftlichen Quantifizierung, genauer auf Eugene Garfield und den Science Citation Index von 1955 zurück, der das Renommee von Wissenschaftlern zu messen vorgibt. Bei Google kommen hingegen noch andere Faktoren hinzu. So hängt das eigene Suchergebnis damit zusammen, was man von welchem Ort bisher so gesucht hat. Jeder von uns sieht dementsprechend etwas anderes. Das, was Google liefert, ist stark gewichtet und gefiltert – und vor allem: keine neutrale Wahrheit.
Das Unternehmen betont gern, dass seine Produkte und Erfindungen der Menschheit dienen sollen. Dient Google uns, oder dienen wir Google?
Es ist offenkundig, dass man – vor allem wenn man die personalisierte Suche benutzt – stark ausgenutzt wird. Die jahrelangen Einblicke in die Köpfe der Benutzer sind für das Unternehmen sehr viel wert. Das ist kaum gegenzurechnen mit dem kleinen Informationswert, den Benutzer durch ein Suchergebnis bekommen. Wir müssen in hohem Grade skeptisch und misstrauisch gegenüber dem Machtanspruch von Google sein.
Google soll eine zensierte Version der Suchmaschine für den chinesischen Markt planen. Das inoffizielle Firmenmotto „Don’t be evil“ wurde im Frühjahr im Mitarbeiterhandbuch deutlich abgeschwächt. Winkt 20 Jahre nach der Gründung der Abschied vom Idealismus-Image der Anfangsjahre?
Ob Google nun gut oder schlecht ist, will ich nicht endgültig bewerten. Dem Unternehmen geht es jedenfalls vor allem um die Steigerung seiner Gewinne. Wer kein Problem damit hat, als ein folgsames Subjekt verstanden zu werden, wird den Internetriesen sicher nicht so schlecht finden. Aber: Man ist dann ein Unterworfener einer höheren Macht, der man zunächst wenig entgegenzusetzen hat, weil sie eben mächtiger ist. Man gibt mit wenigen Stichworten preis, was einen gerade beschäftigt, was man zu machen plant, was man denkt. Zu googeln ist eine Diskussion mit sich selbst, an der man, ohne es sich zu vergegenwärtigen, einen anderen teilhaben lässt. Das ist ein Problem.
Fotos: Google