Was ich auch mache, der Apfel ist fast immer dabei. Etwa wenn ich mein Smartphone in die Hand nehme, um die Nachrichten aus der Freundeskreis-Chatgruppe zu lesen. Wenn ich meinen Laptop aufklappe, um einen Artikel zu schreiben. Oder wenn ich im Fitnessstudio auf dem Crosstrainer Musik höre. Mein MP3-Player heißt iPod, mein Laptop ist ein MacBook und mein Handy ein iPhone. Drei von einer Milliarde Apple-Geräten, die weltweit aktiv genutzt werden, gehören mir.
Offenbar bin ich irgendwie zum Apple-Fangirl geworden. Und das, obwohl ich bis heute nicht verstehe, dass Menschen stundenlang vor einem Geschäft Schlange stehen, um ein neues Telefon oder ein Tablet zu ergattern. Obwohl mich die Tatsache, dass Apple-Computer leistungsfähige Prozessoren und iPhones gute Kameras haben, eher kaltlässt. Und obwohl ich mich für eine kritische Konsumentin halte, die nicht auf einen Markenhype reinfällt. Eigentlich.
„Der Konsum von Marken ist kein reflektierter Vorgang“, erklärt mit der Neuropsychologe Christian Scheier. Er leitet die Marketingberatung Decode in Hamburg und untersucht, was Marken in unseren Köpfen auslösen. Er sagt: Wenn wir das Produkt einer Marke sehen, die uns zusagt, handeln wir intuitiv, wie im Autopilot. Und genau da muss ich auch eingestehen: Ich mag Apple-Produkte eben. Mir gefällt einerseits das Design. Andererseits passt aber auch das Image, dass Apple die Marke der Kreativen sei, natürlich dazu, wie ich mich selbst als Journalistin sehen möchte.
Wenn uns eine Marke zusagt, handeln wir intuitiv, wie im Autopilot
Cool und kreativ – Apple hat sich über die Jahre eine extrem starke Markenidentität aufgebaut. Darunter verstehen Wissenschaftler die Merkmale, die aus Sicht des Unternehmens dauerhaft prägend für den Charakter der Marke sind. Wenn man so will, ist die Markenidentität also das Selbstbild einer Marke, das nach außen getragen wird.
Apple gilt heute – neben Google – als weltweit wertvollste Marke.
Christoph Burmann ist Professor für Innovatives Markenmanagement an der Universität Bremen und erforscht, was erfolgreiche Marken ausmacht. Im Fall von Apple sei der Erfolg stark mit der Person Steve Jobs verknüpft. Jobs hat das Unternehmen 1976 zusammen mit Steve Wozniak und Ronald Wayne gegründet. „Hinter dem Unternehmen stand ein Gründer, der seine persönliche Identität und seine Vision von Design und intuitiver Bedienung zur Marke gemacht hat“, sagt Burmann.
Wer Apple-Produkte kaufte, der erwarb über Jahrzehnte hinweg auch immer einen Teil der Philosophie des 2011 verstorbenen Jobs. Er, der von Apple erst gefeuert wurde und das Unternehmen nach seiner Rückkehr aus der Krise führte. Der nicht nur auf Technik, sondern auch auf Design setzte. Und der schnöde Produktankündigungen als Events mit rituellem Charakter inszenierte: In der immergleichen Uniform aus schwarzem Rolli, Bluejeans und Turnschuhen trat er auf die Bühne, erklärte, welches Produkt den Kunden bisher noch gefehlt habe, und enthüllte zuletzt – nach dem berühmten „We call it...“ das nächste iIrgendwas.
Steve Jobs war ein Meister des Marketings – und vergaß gleichzeitig nie den User und den konkreten Nutzen, den ein Gerät für ihn haben sollte: „Mit der Markenidentität geht immer auch ein Versprechen des Unternehmens an die Konsumenten einher“, erklärt Markenforscher Burmann. Das iPhone etwa, das erste Smartphone für ein Massenpublikum, das Apple 2007 auf den Markt brachte, erleichterte den Alltag seiner Nutzer. Außerdem habe es Technik erlebbar gemacht, findet Burmann: „Bei vielen Innovationen können Laien nur schwer einen Nutzen für sich entdecken. Beim iPhone und anderen Geräten von Apple ist das anders. Man wischt ganz intuitiv darauf herum und kann Nachrichten schreiben, telefonieren und surfen.“
Damit ein gut inszeniertes Produkt wie das iPhone tatsächlich gekauft wird, ist die Qualität des Produkts allerdings Grundvoraussetzung. Davon ist jedenfalls Neuropsychologe Scheier von Decode überzeugt: „Geht das Gerät schnell kaputt oder bietet es dem Kunden keinen Mehrwert, dann nützt in der Regel auch die stärkste Marke nichts“, sagt Scheier. Wenn das Produkt dagegen stimmt, dann wirkt die Marke wie ein verstärkender Rahmen. „Sie aktiviert das Belohnungssystem im Gehirn und gibt den Kunden das Gefühl, sich durch diese Marke von anderen Menschen abgrenzen zu können“, erklärt er.
Die Marke will „Rebellen und Querdenker“ ansprechen, „die die Dinge anders sehen“
Bei Apple geschah dies über längere Zeit auch durch geschicktes Marketing jenseits der Jobs’schen Produktpräsentationen: Jahrelang lautete der Slogan des Unternehmens „Think different“. Der dazugehörige Werbespot richtete sich bewusst an „Sonderlinge“, an „Rebellen und Querdenker“, an jene, „die die Dinge anders sehen“. Dazu kam ein auffälliges Design: Mit dem iMac von Apple gab es Ende der Neunziger zu den ansonsten grauen und kastigen PCs auf einmal eine rundliche und farbenfrohe Alternative. Und wer Anfang der Nullerjahre seine Musik auf dem iPod hörte, trug unverkennbar weiße Kopfhörer – nicht das bis dahin übliche Schwarz. „Es ist das Ursprungsversprechen der Marke Apple, kreativer als die Masse zu sein“, erinnert Psychologe Scheier. Also das, was auch mich anspricht. Für viele Kunden bedeute das, so formuliert es Scheier: „Wenn sie Apple kaufen, borgen sie sich diese Kreativität.“
Um sich von den angeblich weniger Kreativen abzugrenzen, nehmen Apple-Kunden wie ich einen höheren Preis in Kauf. Für das aktuell günstigste iPhone muss man mindestens 479 Euro zahlen. Samsung oder LG haben zwar deutlich preiswertere Smartphones im Angebot, trotzdem greifen viele Menschen zum iPhone – auch, weil Apple anders als Samsung immer noch für etwas steht. US-amerikanische Forscher haben herausgefunden, dass Samsung-Nutzer keinerlei emotionale Bindung zu ihren Geräten aufbauen. Bei Apple besteht diese emotionale Beziehung. Dazu gehört auch, dass die Kunden der Marke ihre Geräte besonders schön finden.
„Eines haben alle Nutzer der Marke gemein: Ethische Bedenken lassen wir tendenziell zu Hause, bevor wir den Apple-Store ansteuern“
Design, intuitive Technik und ein kreatives Image kommen längst nicht mehr nur bei Grafikern, Fotografen oder Textern wie mir gut an. MacBooks oder iPhones sieht man längst auch in Arztpraxen und BWL-Hörsälen. Eines haben alle Nutzer der Marke gemein: Ethische Bedenken lassen wir tendenziell zu Hause, bevor wir den Apple-Store ansteuern. Denn während zum Beispiel die in Teilen etwas nachhaltiger agierende niederländische Firma Fairphone noch längst nicht im Mainstream angekommen ist, lässt Apple seine Produkte in Asien genau wie viele Konkurrenten unter höchst fragwürdigen Bedingungen billig produzieren. Den eigenen Sicherheitsstandards des Unternehmens entspricht das oft nicht. In der Produktionsstätte des Zulieferers Foxconn im chinesischen Shenzen nahmen sich in den vergangenen Jahren aufgrund der harten Arbeitsbedingungen sogar mehrfach Mitarbeiter das Leben.
Monotone Arbeit und Hungerlöhne passen zwar weder zum Image der Marke Apple noch zu mir als Konsumentin. Im Supermarkt greife ich zu den Bio-Eiern und kaufe möglichst wenig Fleisch. Doch als ich vor einem Jahr ein neues Smartphone brauchte, habe ich mich null Komma null mit Produktionsbedingungen auseinandergesetzt. Die Markenidentität macht den Unterschied zwischen Ei und i: Wenn ich Eier kaufe, hält mich keine starke Marke davon ab, mein Hirn einzuschalten und nachhaltiger zu denken. Wenn ich ein hübsches Apple-Produkt im Regal sehe, schon.
Allzu sehr sollte sich Apple aber nicht auf die Treue der Fans verlassen, glaubt Markenmanagementprofessor Burmann. „Ähnlich wie in einer menschlichen Beziehung kann es auch im Vertrauensverhältnis zwischen Marken und ihren Nutzern mit der Zeit Brüche geben“, sagt er. Solange Apple noch als coole und kreative Marke anerkannt ist, sehen viele von uns Fans über so manches Fehlverhalten hinweg. Doch wenn das Image der Marke Schaden nimmt, könnten fragwürdige Produktionsbedingungen viel stärker ins Gewicht fallen, vermutet Burmann.
„Ich selbst habe zwar noch kein Zahnbürsten-Bild gepostet. Aber zumindest habe ich diesen Text geschrieben“
Zumal Apple auch sonst nicht immer so cool agiert, wie sich die Marke gerne gibt. Wenn dem Konzern eine App nicht zusagt, macht er sich die Welt gerne mal, wie sie ihm gefällt – und löscht nicht nur Anwendungen mit pornografischen und gewaltverherrlichenden Inhalten, sondern auch kritische Kolumnen oder satirische Karikaturen. Zu den Inhalten, denen Apple in der Vergangenheit den Zugang zum App-Store versagt hat, gehörte auch eine App mit den Zeichnungen des politischen Karikaturisten und Pulitzer-Preisträgers Mark Fiore. Apple nimmt sich die Entscheidungsmacht heraus, zu sagen, welche Inhalte in seinen Stores stehen. Und haben es Apps einmal dort hinein geschafft, so werden sie nach einem Ranking angezeigt, dessen Kriterien intransparent sind.
Apple behält eben gern die Kontrolle. Nicht nur über die Inhalte, die Nutzer sich herunterladen können, sondern auch über deren Daten. Nur ein Beispiel: Solange man die Funktion nicht aktiv ausschaltet, merken sich die iOS-Geräte Orte, an denen man sich vor Kurzem aufgehalten hat, sowie wie oft und wann man diese besucht hat.
Die Kritik an Apple wurde in den vergangenen Jahren lauter. Glaubt man Experten wie Burmann oder Scheier, dann hat die Marke bereits gelitten. Vor allem, weil es Apple seit dem Tod von Steve Jobs nicht mehr schafft, bahnbrechende Innovationen zu kreieren, die Menschen begeistern, sagt Burmann. Apple verkauft nicht mehr so viele iPhones und MacBooks wie früher und enttäuschte die Öffentlichkeit vor einigen Monaten damit, dass die einzige wirkliche Neuerung beim iPhone 7 eine fehlende Kopfhörerbuchse ist. Und weil die neuen kabellosen Kopfhörer auch noch aussehen wie die Köpfe elektrischer Zahnbürsten, posteten die Nutzer in den sozialen Netzwerken spöttische Bilder von Menschen mit Zahnbürsten im Ohr. Apple wird von seinen eigenen Fans, den Kreativen, verspottet.
Ich selbst habe zwar noch kein Zahnbürsten-Bild gepostet. Aber zumindest habe ich diesen Text geschrieben.
Titelbild: Jan Q. Maschinski