Sarah ist 26 Jahre alt und fragt sich, in was für einer Welt sie später leben wird. Überschwemmungen, Brände, zerstörte Natur und ein völlig außer Kontrolle geratenes Klima – ist es das, was uns erwartet? „Immer wieder träume ich von Klimakatastrophen. Dann stehe ich mitten auf einem Feld, und um mich herum herrschen heftige Gewitter mit Blitzen, Wirbelstürmen und Feuer“, erzählt sie. Dabei fürchtet die 26-Jährige nicht nur um ihre eigene Zukunft, sondern auch um die ihrer Verwandten und Freunde. Sarah ist an der Nordseeküste, am Wattenmeer im Naturschutzgebiet, groß geworden.
Zwei Drittel der 14- bis 24-Jährigen haben Angst vor dem Klimawandel
Es macht ihr Angst, dass laut Prognosen die Deiche bald nicht mehr hoch genug sein könnten, um das Wasser bei Überschwemmungen zurückzuhalten. Auch deshalb lebt Sarah so nachhaltig wie möglich, kauft unverpackt ein, bezieht Ökostrom, ist in Food-Sharing-Gruppen aktiv. Doch all das hilft nicht gegen ein Grundrauschen aus Wut über die oft erfolglose Klimapolitik, Trauer über Naturkatastrophen und Unsicherheit, wie die Zukunft aussehen wird. Ihre Angst vor den Folgen des Klimawandels bleibt.
Zwei Drittel der 14- bis 24-Jährigen in Deutschland gaben in einer Umfrage des Sinus-Instituts an, Angst vor dem Klimawandel zu haben. Auch die 17-jährige Umweltaktivistin Greta Thunberg beschrieb, dass sie lange Zeit unter Depressionen gelitten hat, die mit der Angst vor dem Klimawandel zusammenhingen. Denn der kann sich nicht nur direkt auf die körperliche Gesundheit auswirken, wie etwa bei Opfern von Naturkatastrophen, sondern auch auf die psychische – auch ohne dass die betroffene Person bereits direkt mit den Folgen des Klimawandels in Kontakt gekommen ist. „Angst vor dem ökologischen Untergang“, so definierte die US-amerikanische psychologische Vereinigung APA die Angst.
„Vor dem Klimawandel kann man nicht weglaufen“
Eine offizielle Diagnose „Klima-Angst“, welche die Krankenkassen in Deutschland anerkennen, gibt es bisher nicht. Was man hingegen diagnostizieren kann, ist eine Angststörung. „Die ist selten auf einen einzigen Grund zurückzuführen“, erklärt Katharina van Bronswijk, Psychologin und Sprecherin der Psychologists/Psychotherapists for Future einem Zusammenschluss von Psychologen, die gegen den Klimawandel kämpfen wollen. Immer häufiger würden Patienten als eines ihrer Sorgenthemen die Angst vor dem Klimawandel nennen. „Wenn wir Angst haben, ist unser Bedürfnis nach Kontrolle verletzt – und daraus ziehen wir Energie, um auf die Gefahr zu reagieren.“ Wenn ein Hund gefährlich bellt, reagiert der Mensch mit Angst und bekommt die nötige Energie, um zu fliehen. „Doch vor dem Klimawandel kann man nicht weglaufen“, sagt van Bronswijk. Die Reaktion darauf: Manche verdrängen und verleugnen das Thema, andere nutzen die Angst als Motor für Veränderung, so wie zum Beispiel Greta Thunberg. Wieder andere finden keinen Ausweg aus Furcht und Leiden.
Interview: Wir können die Klimakrise noch eindämmen, sagt Ökonomin Claudia Kemfert. Und dabei sogar Spaß haben
„Je länger ich mich mit dem Thema auseinandersetze, desto größer wird die Angst“, sagt der Aktivist und Buchautor Alf-Tobias. Er ist schon 37, doch auch er fragt sich: „Schaffen wir das überhaupt noch? Ich will meiner Tochter eine Welt hinterlassen, die noch intakt ist.“ Er hat Wege gefunden, mit seiner Klima-Angst umzugehen: Seit seine Tochter auf der Welt ist, engagiert er sich in der Umweltbewegung, geht auf Demos und regelmäßig zu einem Freund, der zum Klima-Dinner lädt.
Dort diskutieren die Gäste, wie sie mit der Angst umgehen und was sie gegen den Klimawandel unternehmen können. „Dieser Austausch fehlt oft und führt dazu, dass sich Menschen mit der Klimakrise überfordert fühlen“, meint Alf-Tobias. In den USA gibt es mittlerweile Selbsthilfegruppen wie „The Good Grief Network“, und auch die Psychologists/Psychotherapists for Future bieten in Deutschland öffentliche Gesprächsrunden an.
„Man muss sich bewusst entscheiden, mit welchen Meldungen man sich beschäftigt“
Sarah hat noch keinen endgültigen Ausweg aus ihrer Klima-Angst gefunden. Nur Möglichkeiten, diese zu lindern: „Die ganzen schrecklichen Nachrichten zur Klimakrise bedrücken mich und lösen eine Starre in mir aus“, sagt sie. Daher hat sie ihren Medienkonsum extrem eingeschränkt, ist Leuten auf Instagram entfolgt und liest gerne Nachrichten, in denen konstruktive Lösungen diskutiert werden.
Auch die Psychologin Katharina van Bronswijk empfiehlt Betroffenen eine ausgewogene Mischung von Informationen: „Man muss sich bewusst entscheiden, mit welchen Meldungen man sich beschäftigt.“ Menschen, die die Klima-Angst lähmt, müssten wieder ein Gefühl der Zuversicht bekommen. Es helfe, tatsächliche Veränderung zu sehen, um wieder „ein Gefühl von Kontrolle zu bekommen – was ja das Grundbedürfnis hinter der Angst ist“, erklärt die Psychologin. Zum Beispiel, indem man, wie Sarah, etwas bei sich im Leben ändert: Vegetarier wird, auf Flugreisen verzichtet oder nur noch unverpackt einkauft. Aber kann das reichen? Relativ schnell komme die Erkenntnis, dass der Klimawandel kein Problem sei, an dem man individuell arbeiten könne, sondern eines, das gesamtgesellschaftliche Lösungen erfordere. Wer Angst vor dem Klimawandel habe, müsse sehen, dass gehandelt werde. Das fordert auch Sarah und geht regelmäßig zu den Fridays-for-Future-Demos. Doch über die Zukunft, sagt Sarah, wolle sie am liebsten gar nicht nachdenken.
Titelbild: Brooke DiDonato/VU/laif