Mord an Hrant Dink
Als Täter wurde der damals 16-jährige Ogün Samast zu 22 Jahren und 10 Tagen Haft verurteilt. Dink wurde lange Zeit von Ultranationalisten und der Justiz verfolgt. Unter anderem, weil er über die mutmaßlichen armenischen Wurzeln von Sabiha Gökçen,
der Adoptivtochter von Republik-Gründer Atatürk, und den Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich geschrieben hatte. Diesen erkennen die offizielle türkische Geschichtsschreibung und die Regierung nicht als Genozid an. Dink habe das türkische Volk beleidigt, deshalb habe er ihn umgebracht, gestand Samast. Seine Waffe hat er von einem der Hintermänner der Tat, Yasin Hayal. Ob dieser ihn auch zum Mord angestiftet hat und wer noch dahintersteckt, ist umstritten. Insgesamt mussten sich 18 Personen vor Gericht verantworten.
fluter.de: Heute ist ein trauriger Tag für „Agos“. Warum?
Yetvart Danzikyan: Vor genau zwölf Jahren wurde vor der Tür der Redaktion „Agos’“ Gründer Hrant Dink erschossen. Das ist nach wie vor ein großes Trauma sowohl für „Agos“ als auch für die gesamte armenische Gemeinschaft hier. Wir trauern heute um unseren Freund. Es trauern auch die, die ihn nicht persönlich kannten, denn er war eine der wichtigsten intellektuellen Stimmen der Armenier. Wir sind aber nicht nur traurig, sondern jedes Mal aufs Neue wütend.
Was ist das Wichtigste, das von Hrank Dink geblieben ist?
Wir müssen der Wahrheit gegenüber loyal sein. Das ist nicht so leicht, wie es klingt, denn manche Dinge soll man nicht sagen. Vor allem nicht, was die Armenier betrifft, doch genau das tun wir. Dink war nicht nur ein guter Journalist, sondern auch ein Intellektueller, der sich viele Gedanken über das armenisch-türkische Verhältnis machte. Dadurch hat er über viele wichtige Themen geschrieben, das führen wir fort.
Die Ermordung löste erstmals eine große Welle der Solidarisierung unter Türken für Armenier aus. Damals stieg die Auflage von „Agos“ kurz erheblich an. Wie geht es der Zeitung aktuell?
„Agos’“ Aufgaben sind noch immer dieselben wie bei der Gründung 1996: Wir sprechen über die Probleme der Armenier und über ihre Geschichten. Dazu gehört auch der Völkermord 1915 bis 1916. „Agos“ will verständlich machen, welches Unrecht damals geschehen ist, was gerade in unserer Gemeinschaft passiert und was kommen muss. In politischen Diskussionen in der Türkei wird den Menschen das alles sonst vorenthalten. Wir wollen außerdem zu einer Verständigung zwischen Türken und Armeniern beitragen, es gibt zu wenige Berührungspunkte.
„Unsere Gemeinschaft verkleinert sich Tag für Tag. Das ist das größte Problem, das wir haben“
Gelingt das, ein Dialog über „Agos“?
„Agos“ hat eine kleine türkische Leserschaft. Das ist entscheidend für unser Anliegen, deshalb veröffentlichen wir zweisprachig. Armenier und Türken können sich über das informieren, was sonst unausgesprochen bleibt. Die Anzahl der Türken und Kurden, die verstehen, was passiert ist, und Sympathie für uns entwickeln, ist gestiegen. „Agos’“ Anteil daran ist bescheiden, aber vorhanden.
Wie werdet ihr als Minderheiten-Zeitung aktuell behandelt?
Moralisch werden wir von anderen Zeitungen unterstützt, aber ökonomisch stehen wir alleine da. Die Unterstützung ist dennoch wichtig. Denn Minderheiten sind in der Türkei keine besonders großen Gemeinschaften. Es gibt um die 60.000 Armenier, weniger als 17.000 Juden und noch an die 2.000 Griechen. Die Zeitungen, die sich mit ihren Themen befassen, publizieren in Armenisch, Djudeo-Espanyol und Griechisch. Für sie ist es wirtschaftlich schon nicht einfach. Für uns erst recht nicht.
Warum?
Viele Türken wissen gar nicht, dass es alle diese Zeitungen für Minderheiten gibt. Wir sind auf tragische Weise eine Ausnahme. „Agos“ bekommt am meisten Hass aus den islamisch-nationalistischen Lagern. Außerdem betreffen uns – so wie jede Zeitung – die steigenden Preise für Papier und der schlechte Wechselkurs. Wir haben alles versucht, den ökonomischen Druck nicht auf die Leser abzuwälzen. Doch letzten Monat mussten wir teurer werden. Dazu kommt sicherlich auch, dass wir mehr ein analoges Produkt sind als Online. Trotz allem werden wir weitermachen, so wie immer.
Was heißt das konkret?
„Agos“ funktioniert über ein Mitgliedersystem. Wir versuchen, nur davon zu leben. Dadurch haben wir keinerlei Unternehmen oder mächtige Geldgeber im Hintergrund. So behalten wir unsere Unabhängigkeit, auch wenn uns das manchmal in eine wirtschaftlich schwierige Lage bringt. Aber das ist es, was wir wollen: Freiheit. „Agos’“ Leser teilen diese Philosophie, und sie unterstützen uns. Aber natürlich wäre es großartig, würden wir noch viel mehr Leute erreichen.
Droht denn eine Schließung?
Momentan nicht, aber irgendwo lauert diese Drohung immer. Nur wollen wir das nicht jeden Tag in den Vordergrund stellen, sonst könnten wir nicht weitermachen. Armenier haben in diesem Land Tausende von Jahren gelebt, nach 1915 und in den darauf folgenden Jahren sind wir zu einer Minderheit geworden. Unsere Gemeinschaft verkleinert sich Tag für Tag. Das ist das größte Problem, das wir haben.
Wie viele Menschen dem Völkermord an den Armeniern in den Jahren 1915 und 1916 zum Opfer fielen, ist bis heute nicht eindeutig geklärt. In der Türkei ist das Kapitel nicht aufgearbeitet worden, und es ist verpönt, darüber zu sprechen. Deutschland entschied sich auch erst 2016 eindeutig dazu, den Völkermord als Genozid im Sinne der UN-Konvention zu benennen.
Aus dem Türkischen von Adem Erkoçak
Titelbild: Chris McGrath / Getty Images