Im März 2016 haben japanische Forscher vom Kyoto Institute of Technology eine Mikrobe vorgestellt, die Plastik vertilgt und es auf diese Weise komplett abbauen kann. Sie heißt Ideonella sakaiensis und ist nach der Stadt benannt, in der sie gefunden wurde. Zumindest auf eine bestimmte, weit verbreitete Sorte von Kunststoff hat das kleine Lebewesen großen Hunger: PET. Das ist das Material, aus dem viele Getränkeflaschen hergestellt werden. Seit Jahren haben Forscher nach einer solchen biologischen Lösung gesucht, um Kunststoff aus der Welt zu schaffen. Aber wird der Hunger der Mikroben groß genug sein, um die Welt von Plastikmüll zu befreien? Mit diesen und ähnlichen Fragen wendet man sich in Deutschland am besten an Uwe Bornscheuer. Der Biochemiker von der Universität Greifswald hat zu der in der Wissenschaftszeitschrift „Science“ veröffentlichten Studie der Japaner im selben Magazin einen viel beachteten Kommentar geschrieben.
fluter.de: Kann diese Mikrobe wirklich helfen, die Plastikverschmutzung der Umwelt zu beseitigen?
Bornscheuer: Das ist die große Hoffnung. Ich gehe davon aus, dass wir eines Tages Bakterien haben, die das Wasser reinigen und insbesondere Mikroplastik, winzig kleine Plastikteilchen, entfernen können. Viele Recyclingfirmen sind interessiert, weil die Bakterien Kunststoff, zumindest PET, abbauen. Mich hat auch schon ein Unternehmen angerufen, das riesige Plastikberge im Hof liegen hat und nicht weiß, was es damit machen soll.
Was heißt hier abbauen?
Bisher werden die Kunststoffe in zu geringem Umfang recycelt, und oft entstehen daraus nur minderwertige Güter, etwa Parkbänke. Das Bakterium erzeugt aber direkt die Rohstoffe für die Herstellung von PET. Ich kann also auch wieder neues, reines Plastik daraus gewinnen.
Damit wäre eine Verwertung des Mülls aus der Gelben Tonne möglich. Aber wie kann das Plastik im Wasser entfernt werden?
Klärwerke sind daran interessiert, eine Technologie zu haben, den Plastikmüll wieder loszuwerden. Im Moment geschieht das nur mechanisch. Aber kleine Teilchen wie das Mikroplastik kann man so nicht entfernen. Wenn ich einen Mikroorganismus habe, der das zersetzt, wäre das eine elegante Lösung. Theoretisch spricht auch nichts dagegen, plastikfressende Bakterien gezielt im Meer auszubringen, um die Ozeane von der massiven Plastikverschmutzung zu befreien. Mit einer großen Einschränkung: Das würde nur für PET funktionieren.
Was ist mit den anderen Kunststoffen?
Polypropylen, Polyethylen und PVC – für die wichtigsten Massenkunststoffe hat man im Moment keine Lösung. Für Polystyrol, besser bekannt als Styropor, hat man dagegen einen Mehlwurm gefunden, der Bakterien enthält, die daran knabbern. Und Aachener Forscher arbeiten an Mikroben, die Polyurethan abbauen, das beispielsweise in Schaumstoffmatratzen verwendet wird.
Wann ist das japanische Bakterium bereit für den Einsatz?
Das wird noch dauern. Das Hauptproblem ist, dass das Bakterium ziemlich langsam wächst. Für einen Plastikfilmstreifen, der 20 Millimeter lang und 15 Millimeter breit ist, hat dieses Bakterium sechs Wochen gebraucht.
Gibt es Ideen, wie man den Abbau beschleunigen kann?
Man kann die relevanten Gene in andere Mikroben einbauen. Das wäre dann ein gentechnisch veränderter Organismus. Die Japaner haben schon ein solches Kolibakterium erzeugt, das schneller ist.
Ein solcher gentechnisch veränderter Organismus soll dann unsere Meere reinigen? Das klingt jetzt auch nicht sehr vertrauenerweckend.
Einen gentechnisch veränderten Organismus darf man nicht in ein Klärwerk packen oder ins Meer ausbringen. Das Sicherheitsrisiko wäre zu groß. Man kann aber eine Anlage bauen, in der der Mikroorganismus sicher eingeschlossen ist, so wie das in der Biotechnologiebranche schon seit langem üblich ist. Dann kann er darin Plastik abbauen.
Gibt es auch gentechnikfreie Alternativen, die Bakterien zu nutzen?
Nach der japanischen Entdeckung suchen jetzt viele Forscher nach Mikroorganismen, die Plastik essen. Es kann durchaus sein, dass man einen natürlichen Organismus findet, der das schneller kann als das japanische Bakterium. Man wird unter anderem im Meerwasser suchen: Wo das Plastik ist, ist die Chance größer. Die Japaner haben es ja auch in einer Recyclingstation für PET gefunden.
Welche Risiken bestehen? Kann eine unkontrollierte Freisetzung gefährlich werden?
Man will natürlich erreichen, dass Kunststoffe kontrolliert abgebaut werden, und nicht, dass auf einmal mein Fenster aus meinem Büro herausfällt. Solche negativen Technikfolgen sind prinzipiell vorstellbar, nach dem Motto: Die Geister, die ich rief, werde ich nicht mehr los. Aber bei einer bedachten Anwendung in geschlossenen Anlagen ist ein solches Szenario nicht sonderlich wahrscheinlich. Das wäre eine ganz einfache Technologie, wie Brotbacken: Mit Hefe geht der Teig auf, mit Bakterien geht das Plastik weg. Bis dahin braucht es aber noch einige Jahre Entwicklungsarbeit.
Titelfoto und GIFs: Renke Brandt