„Unternehmen sehen uns Plantagenarbeiter nicht als echte Menschen an“

Didier Leiton half schon als Kind nach der Schule auf einer Bananenplantage aus. Heute setzt er sich als Gewerkschafter in Costa Rica für bessere Arbeitsbedingungen ein

Interview: Sarah Kröger und Fotos: Marco Valle
19. Dezember 2024
Ein Plantagenarbeiter bereitet die Chemikalien vor, die mit einem Sprühgerät ausgebracht werden sollen

fluter.de: Herr Leiton, Sie haben lange selbst auf einer Bananenplantage gearbeitet. Mit wie viel Jahren haben Sie dort angefangen?

Ich bin der Sohn einer Bananenplantagen-Familie. Mit acht Jahren habe ich angefangen, meinem Vater bei der Arbeit auf der Plantage zu helfen. Manchmal arbeitete ich fünf, manchmal sieben Stunden am Tag neben der Schule für meinen Vater. An manchen Tagen bin ich auch gar nicht zur Schule gegangen.

War das damals so üblich?

Das war damals in den 1970ern in Costa Rica noch nicht gesetzlich verboten und damit nicht ungewöhnlich. In den 1960ern bis 1980ern in Costa Rica glaubten viele, dass Schule nicht so wichtig sei. Sie nannten uns sogar faul, wenn wir in die Schule gingen, anstatt zu arbeiten. Zu Hause waren wir neun Geschwister. Nur ich und eine Schwester haben die sechste Klasse beendet.

Was hat es mit den Lieferkettengesetzen auf sich?

Egal ob Obst aus Südamerika oder Kleidung aus Asien: In einer globalisierten Welt sind viele Menschen weltweit an der Herstellung unserer Produkte beteiligt – oft unter schlechten Arbeitsbedingungen. Das deutsche und das europäische Lieferkettengesetz sollen das ändern.

Das deutsche Gesetz wurde 2021 beschlossen und gilt seit 2024 für Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten. Es verpflichtet deutsche Unternehmen, gegen Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung in ihren Lieferketten vorzugehen – je nachdem, ob es sich um ihren eigenen Geschäftsbereich, unmittelbare Zulieferer oder mittelbare Zulieferer handelt, jedoch mit unterschiedlich scharfen Maßnahmen. Die Unternehmen müssen zum Beispiel Beschwerdeverfahren einrichten, gegen konkrete Rechtsverstöße vorgehen und ihre Bemühungen dokumentieren. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) soll gewährleisten, dass das Gesetz durchgesetzt wird. Bei Verstößen gegen das Gesetz drohen den Unternehmen zum Beispiel Bußgelder oder Schadensersatzzahlungen.

Und dann gibt es noch die EU-Lieferkettenrichtlinie. Die ist nicht direkt ein Gesetz; die EU verabschiedet Richtlinien, und die Mitgliedstaaten müssen dann Gesetze daraus machen. Im April 2024 wurde diese Richtlinie vom Europaparlament verabschiedet, bis 2026 müssen die Mitgliedstaaten sie in nationales Recht umsetzen. Inhaltlich ist sie dem deutschen Lieferkettengesetz relativ ähnlich: Unternehmen werden verpflichtet, innerhalb ihrer gesamten Lieferkette für die Einhaltung von Menschenrechten zu sorgen – nicht nur bei ihren direkten Vertragspartnern, sondern auch bei deren Zulieferern.

Im Gegensatz zum deutschen Lieferkettengesetz müssen die Unternehmen laut der europäischen Richtlinie auch einen Klimaschutzplan erstellen und umsetzen. Außerdem sieht die Richtlinie eine zivilrechtliche Haftung vor: Betroffene, die Schäden erlitten haben, können Unternehmen vor einem nationalen Gericht innerhalb der EU auf Wiedergutmachung verklagen, dabei kommt auch das jeweilige nationale Recht zur Anwendung. Bereits heute können nach dem deutschen Lieferkettengesetz Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Ausland vor deutschen Gerichten – oder eben dem BAFA – auf Schadensersatz klagen, wenn sie sich durch ein deutsches Unternehmen in ihren Rechten verletzt sehen. Nach dem deutschen Lieferkettengesetz wird jedoch bisher nur das Recht des Landes angewandt, in dem der Schaden eingetreten ist. Dort sind Rechtsfragen der Haftung von Unternehmen in Lieferketten oft ungeklärt.

Mit 15 Jahren unterschrieben Sie dann selbst einen Arbeitsvertrag und begannen, Vollzeit auf einer Bananenplantage zu arbeiten. Was haben Sie da gemacht?

Unterschiedlichste Arbeiten: Ich erntete die Bananen oder verteilte Agrochemikalien wie Düngemittel oder Pflanzenschutzmittel. So kam ich auch mit dem Pestizid Nemagon in Berührung, das in Mittelamerika viele Tausende von Menschen sterilisiert hat – auch mich. Das war eine von vielen Ungerechtigkeiten gegenüber den Arbeitern, die ich bemerkte. Deswegen begann ich früh, mich für die Arbeitnehmerrechte auf den Plantagen einzusetzen.

Ein Plantagenarbeiter lädt ein Bündel Bananen mit einem Durchschnittsgewicht von 80 Kilogramm auf seine Schultern
Harte Arbeit: Ein Plantagenarbeiter schultert ein Bündel Bananen

In Costa Rica muss man heute mindestens 15 sein, um arbeiten zu dürfen. Wird das auf den Plantagen eingehalten?

Ja. Es gibt seltene Fälle, in denen Arbeiter einen Minderjährigen als Helfer mitbringen. Aber das ist verboten. Und dort, wo wir als Gewerkschaft tätig sind, wird das auch respektiert.

Bananen und Ananas sind einige der wichtigsten Agrarexportprodukte Costa Ricas. Auch die Menschen in Deutschland profitieren davon. Etwa 80 Prozent der Ananas im deutschen Handel stammten 2023 aus Costa Rica. Wie sind die Arbeitsbedingungen der Arbeiter auf solchen Plantagen?

Die Arbeiter verbringen oft lange Arbeitstage in der heißen Sonne auf dem Feld, manchmal mehr als zwölf Stunden. Frauen berichten von Diskriminierung und Unterdrückung. Ein sehr großes Problem ist der nicht ausreichende Gesundheitsschutz. Immer noch kommen Arbeiter regelmäßig mit Chemikalien in Berührung, wenn sie zum Beispiel aus der Luft gesprüht werden oder auch bei Bodenanwendungen.

Warum schützen die Unternehmen ihre Arbeiter nicht besser?

Ich glaube nicht, dass die Unternehmen uns Plantagenarbeiter als echte Menschen ansehen. Wir sind mehr eine Art Werkzeug für sie. Deswegen fällt es ihnen leicht, uns so schlecht zu behandeln. Ein Beispiel: Der Lufteinsatz von Chemikalien ist stark vom Wetter abhängig: Wenn an einem bestimmten Tag geplant wird, die Chemikalien auszubringen, und es regnet, dann muss das verschoben werden. Also werden die Chemikalien am nächsten Tag gesprüht – aber darüber werden die Arbeiter oft nicht informiert. Das versuchen die Unternehmen dann zu vertuschen. Zum Beispiel, indem sie das Dokument, auf dem der Chemikalieneinsatz angekündigt wurde, nachträglich manipulieren und das Datum korrigieren. So können sie sagen: Alle wussten Bescheid.

Ein Arbeiter auf einem Fahrrad überquert die Straße, die zu einer der vielen Bananenplantagen im Bezirk Matina führt
Ein Mann auf dem Weg zu einer der vielen Bananenplantagen im costa-ricanischen Bezirk Matina

Die Arbeiter setzen sich also einem hohen Gesundheitsrisiko aus. Wie wird diese Arbeit denn bezahlt?

Die Löhne sind schlecht im Verhältnis zu den Lebenshaltungskosten in Costa Rica. Ein einfacher Arbeiter auf einer Plantage bekommt den gesetzlichen Mindestlohn von rund 620 Euro pro Monat. Aber die Preise für Lebensmittel sind in Costa Rica sehr hoch. Wer zum Beispiel in einem Restaurant ein Mittagessen bestellt, zahlt ähnlich viel wie in Deutschland. Ein Lohn, der in den ländlichen Regionen Costa Ricas einen angemessenen Lebensstandard sichert, müsste laut der Global Living Wage Coalition eigentlich bei 839 Euro bei einem Achtstundentag liegen. Der Mindestlohn reicht also kaum zum Leben. Und dann gibt es auch Arbeiter, die noch nicht mal den Mindestlohn erhalten. Das sind dann zum Beispiel Migranten aus Nicaragua ohne Papiere oder Arbeiter, die über Vermittler beschäftigt sind.

Was können Gewerkschaften in Costa Rica gegen diese Arbeitsbedingungen tun?

Es wird ihnen nicht leicht gemacht: In den 1980ern waren die Gewerkschaften in Costa Rica sehr stark. Das wurde nicht gerne gesehen. Um die Gewerkschaften zu schwächen, wurde von den Arbeitgebern und der katholischen Kirche der „Solidarismo“ gestärkt. Das ist eine Pseudo-Arbeitnehmervertretung, die von den Betrieben selbst finanziert wird. (Der „Solidarismo“ entwickelte sich Ende der 1940er-Jahre in Costa Rica und sieht unter anderem vor, dass Arbeitnehmer:innen innerhalb eines Unternehmens in Komitees gewählt werden und dort ohne Beteiligung von Gewerkschaften direkt mit ihrem Management über Arbeitsbedingungen verhandeln, Anm. d. Red.) Ich wurde in den 1980ern in eine solche unternehmensfinanzierte Arbeitnehmervertretung auf einer Plantage gewählt. Doch ich merkte bald, dass ich eine ganz andere Vorstellung von dem Schutz von Arbeitnehmerrechten hatte als das Unternehmen. Deswegen trat ich 1996 der Gewerkschaft SITRAP bei.

Die Plantage, auf der Sie arbeiteten, gehörte einem großen Obstproduzenten, der viele deutsche Supermärkte wie Rewe, Aldi, Kaufland oder Edeka belieferte. Wie wurde damals auf Ihren Eintritt in eine Gewerkschaft reagiert?

Für mich begann eine sehr schwierige Zeit. Mit allen Mitteln wurde probiert, mich von meiner Gewerkschaftsarbeit abzuhalten. Das Unternehmen versuchte, mich zu bestechen, indem es mir einen Verwaltungsposten anbot. Mir wurde auch ein Grundstück angeboten und ein Fahrzeug. Schließlich schlugen sie vor, dass ich sechs Monate bezahlten Urlaub nehmen könne, um mich von einem Psychologen behandeln zu lassen. Sie sagten, ich sei verrückt geworden. Nur ein Verrückter würde ihre Vorschläge nicht akzeptieren und sich dem „Solidarismo“ widersetzen. Anfang 2000 wurde mir dann gekündigt. Der Chef, der mir meinen Entlassungsbrief gab, sagte, dass ich ein sehr guter Mitarbeiter gewesen sei. Aber sie könnten mich nicht behalten, weil ich Gewerkschafter war.

Ein Flugzeug, das von Bananenfirmen zum Ausbringen von Pestiziden eingesetzt wird, fliegt über die Stadt Bataan im Kanton Matina
Mit solchen Flugzeugen kommen in Costa Rica die Pestizide auf die Plantagen
Ein Arbeiter zeigt ein Foto seiner Augen nach Kontakt mit einem Herbizid, das in einer Bananenplantage ausgebracht wurde
Und solche Folgen kann das dann haben: Ein Arbeiter zeigt ein Foto von seinem Auge nach dem Kontakt mit Pestiziden

Haben Gewerkschafter in Costa Rica heute immer noch mit Repressalien zu kämpfen?

Ja, in Costa Rica sind unabhängige Gewerkschaften nicht erwünscht. Arbeiter, die sich gewerkschaftlich organisieren, werden oft einfach entlassen. Oder sie werden diskriminiert, indem ihre Familienangehörigen zum Beispiel keine Jobs mehr bekommen oder ihr Gehalt gekürzt wird.

Auch Ihnen wird das Leben weiterhin nicht leicht gemacht, obwohl Sie mittlerweile zum Generalsekretär einer Gewerkschaft aufgestiegen sind.

Mir wurden 2.000 US-Dollar im Monat angeboten, damit ich den Kampf aufgebe. Aber das mache ich nicht, das ist eine Frage der Überzeugung. Es war gefährlich und ist auch noch heute gefährlich für mich. Jahrelang bekam ich anonyme Drohbriefe. Einmal wurde ich angegriffen und geschlagen. Vergangenes Jahr hatte ich einen Unfall. Ein Auto fuhr mich sehr heftig von hinten an, während ich auf dem Motorrad saß. Es war ein schwarzer Tuscon, einer wie ihn die Arbeitgebervertreter oft fahren. Leider kann ich keine konkreten Anschuldigungen erheben, da ich keine Beweise habe. Aber ich bin mir sicher, dass das vorsätzlich war. Ich rede nur in Costa Rica nicht viel darüber, um den Arbeitern keine Angst zu machen.

Im Jahr 2023 ist das deutsche Lieferkettengesetz in Kraft getreten, seit kurzem gibt es auch eine europäische Lieferkettenrichtlinie. Kann das die Arbeitsbedingungen verbessern?

Jedes Gesetz, das die Arbeiter unterstützt, ist gut und wichtig. Aber ich habe meine Zweifel daran, ob diese Gesetze auch umgesetzt werden. Die Supermarktketten in Europa wollen bei uns Bananen von sehr guter Qualität zu einem niedrigen Preis kaufen. Meiner Meinung nach sind sie mitschuldig an der Verletzung der Menschenrechte in unserem Land. Um das zu ändern, müssten die Ketten höhere Preise zahlen und gleichzeitig darauf achten, dass die Bedingungen für die Arbeitnehmer besser sind.

Ein Bribrì-Arbeiter verlädt Bio-Bananen, die im Nationalpark „La Amistad“ angebaut werden
Hier geht es ohne Gift: Ein Arbeiter verlädt Biobananen, die im Nationalpark „La Amistad“ angebaut werden

Sehen Sie schon irgendwelche Veränderungen, seitdem das deutsche Lieferkettengesetz in Kraft getreten ist?

Noch nicht. Ich denke, es müssen noch einige Beschwerden eingereicht und weiterverfolgt werden, damit die Unternehmen und der Markt sich unter Druck gesetzt fühlen. Und auch die Gewerkschaften in Costa Rica sollten sich genau über den Inhalt dieses Gesetzes informieren und lernen, wie sie einen Verstoß melden können.

Wurden denn schon Beschwerden eingereicht?

Bei meinem Besuch vergangenes Jahr in Deutschland nahmen wir vier Beschwerden mit zum Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA). Zwei aus Ecuador gegen Edeka und Rewe. Da wissen wir noch nicht, wie sich die Beschwerden entwickelt haben. Zwei Beschwerden kamen aus Costa Rica und richteten sich gegen Lidl und Aldi. Hier waren die Supermarktketten bereit, mit meiner Gewerkschaft SITRAP zu sprechen und eine gemeinsame Annäherung zu suchen.

„Ich kenne zertifizierte „Fairtrade“-Plantagen in Costa Rica, bei denen die Menschenrechte verletzt werden“

Es gibt mittlerweile eine Reihe von Siegeln, die Konsumenten bei ihrer Kaufentscheidung helfen sollen. Wie glaubwürdig sind die Ihrer Meinung nach?

Es gibt einen Interessenkonflikt bei diesen Zertifizierern, da sie von den Unternehmen, die zertifiziert werden, bezahlt werden. Die Verbraucher bezahlen mehr Geld, damit den Arbeitern ein höheres Gehalt gezahlt wird. Die Zertifikate sollen eigentlich sicherstellen, dass Mitarbeitende mitreden können. Trotzdem glaube ich, dass manche Unternehmen das zusätzliche Geld nutzen, um ungefragt ihre Infrastruktur zu verbessern. Ich glaube, dass die Supermarktketten und die Verbraucher so bewusst getäuscht werden.

Das heißt, wenn ich jetzt eine Banane aus Costa Rica mit dem Fairtrade-Siegel kaufe, dann sind die Arbeitsbedingungen für die Arbeiter auf dieser Plantage nicht notwendigerweise besser als auf anderen Plantagen?

Nein, zumindest nicht in Costa Rica. Ich kenne zertifizierte „Fairtrade“-Plantagen in Costa Rica, bei denen die Menschenrechte verletzt werden in Bezug auf Bezahlung, Gesundheit oder das Recht, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Kein Siegel kann garantieren, dass die Rechte der Arbeiter respektiert werden. Die einzige Lösung sind meiner Meinung nach Tarifverträge, die von unabhängigen Gewerkschaften mit den Unternehmen ausgehandelt werden.

Didier Leiton

Didier Leiton ist in Costa Rica geboren. Mit 15 Jahren begann er, auf einer Bananenplantage zu arbeiten, und setzte sich schon früh für die Rechte der Arbeiter ein. Seit über 20 Jahren arbeitet er für die costa-ricanische Gewerkschaft SITRAP, seit 2011 als ihr Generalsekretär.

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