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Feminismus von der Stange

Das Berlin Strippers Collective versucht Vorurteile über Stripperinnen aus dem Weg zu räumen. Dabei eckt es auch bei Feministinnen an

pole dance

„Eines der verbreitetsten Vorurteile gegenüber Stripper*innen ist, dass wir die ganze Zeit Lust auf Sex haben und leicht ins Bett zu kriegen sind“, sagt Edie Montana. „Bei mir zumindest ist es das komplette Gegenteil. Nachdem ich acht Stunden an der Stange war, habe ich überhaupt keine Lust mehr auf Sex.“ Edie steht auf einer kleinen Bühne in einer Bar in Berlin-Wedding. Sie trägt knallrote Reizwäsche und einen hellen Fellmantel. Am Rand der Bühne ist eine Poledance-Stange zu sehen, dahinter wallt ein roter Samtvorhang.

Edie Montana ist 28 und seit sechs Jahren Stripperin. Gemeinsam mit ihren Kolleg*innen steht sie an diesem Abend auf der Bühne und erzählt Alltagsgeschichten aus dem Leben einer Stripper*in. Auf jede Geschichte folgt ein Striptease. Alle Performer*innen sind Teil des Berlin Strippers Collective. Das aus 16 Mitgliedern bestehende Kollektiv setzt sich gegen die Stigmatisierung und die ausbeuterischen Strukturen ihres Berufs ein. 


Edie Montana
Edie Montana erzählt Anekdoten aus dem Stripperinnen-Leben. Nicht alle sind zum Lachen

Die Bar im Wedding erinnert an ein Kabarett aus den 1920er-Jahren, es riecht nach kaltem Zigarettenrauch, und auf den überall im Raum verteilten Holztischchen brennen Kerzen. „Einmal hab ich einem Kunden einen Lapdance gegeben, währenddessen hat er mich gefragt: ‚Willst du später mit zu mir kommen? Ich mach dir morgen auch einen Avocadotoast zum Frühstück‘“ erzählt Edie und legt eine Kunstpause ein. Ihr Blick schweift ernst durch den Raum. „Als ob ich wegen eines Avocadotoasts zu jemandem mit nach Hause gehen würde! Ich kann mir mein Frühstück selbst machen.“ Das Publikum lacht laut.

Irgendwann möchte das Kollektiv einen eigenen Stripclub eröffnen

Die Stripper Stories sollen den Tänzer*innen wie Edie alternative Einnahmequellen bieten außerhalb der üblichen, ihren Schilderungen nach nicht immer ganz humanen Strukturen der Stripclubs: Sie erzählen von willkürlichen Kündigungen und Machtmissbrauch. Derzeit veranstaltet das Kollektiv zwei solcher Events pro Monat. Als einzige Einnahmequelle reicht das aber nicht. Die Veranstaltungen außerhalb der regulären Stripclubs sehen sie eher als eine Investition in ihre Zukunft: um Kontakte zu knüpfen, um dann irgendwann einen eigenen Stripclub aufmachen zu können.

Nach Edies Geschichte krachen Gitarrensounds der Rockband Rage Against the Machine aus den Lautsprechern. Edie springt an der Poledance-Stange hoch, klemmt einen Fuß hinter die Stange, hält sich mit ihrem rechten Arm am oberen Ende fest und dreht sich elegant im Kreis, bevor ihre High Heels mit einem lauten Knall wieder auf dem Boden landen. Unter lautem Jubel und Pfeifen verlässt Edie ein paar Minuten später und um einige Kleidungsstücke ärmer die Bühne.

Berlin Strippers Collective
Zweimal im Monat organisiert das Kollektiv Events, bei denen sich die Mitglieder nicht nur austauschen sondern auch ausziehen. Dieses Mal ist auch Mia dabei

Wirft man einen Blick auf das Instagram-Profil des Kollektivs, dann reihen sich knallige Bilder aus Berliner Clubs neben künstlerisch anmutenden Fotos und Videos. Die Beiträge haben meist um die tausend Likes. Dort ist auch ein Foto der Stripperin Katja Hippopotamus zu sehen: Sie räkelt sich in Unterwäsche auf einem Bett, zwischen den ins Gesicht gefallenen Haaren blickt sie lasziv in die Kamera. In der Caption: ein Ausschnitt eines offenen Briefs, der mit „Dear SWERF“ beginnt. „SWERF“, das ist eine Abkürzung für „Sex Work Exclusionary Radical Feminist“. Es ist eine Bezeichnung für radikale Feminist*innen, die Sexarbeit (dazu zählt auch Strippen) und Feminismus als Widerspruch sehen. Der Brief greift „SWERFs“ direkt an: „Du musst dein Leben nicht damit verbringen, Frauen zu belästigen, die nur versuchen, über die Runden zu kommen.“

Feminismus und Sexarbeit – ein Widerspruch? 

Sexarbeit ist unter Feminist*innen umstritten. Manche als traditionell oder konservativ geltende Feminist*innen wie etwa Alice Schwarzer oder Mitglieder des Vereins Terre de Femmes sprechen sich dafür aus, sie zu verbieten. „Solange das eine Geschlecht den Körper und die Seele des anderen Geschlechts kaufen kann, so lange sind wir Frauen alle das ‚käufliche Geschlecht‘“, schreibt Alice Schwarzer in einem Beitrag ihres Magazins „Emma“. In Deutschland wird Prostitution seit 2002 als Beruf anerkannt. Es gibt verschiedene Gesetze, die regeln, wie und unter welchen Voraussetzungen Sexkauf erlaubt ist. Das Prostituiertenschutzgesetz verpflichtet seit 2017 beispielsweise Sexarbeiter*innen dazu, sich anzumelden und sich beraten zu lassen, und verankert eine Kondompflicht, die bei Nichteinhaltung Strafen für Kunden vorsieht. Das deutsche Regelwerk, das in Europa zu den vergleichsweise liberalen zählt, ist jedoch umstritten: Manche sehen den Schutz der Sexarbeiter*innen nicht als gewährleistet, andere befürchten eine ineffiziente Überregulierung.

Nach Edie kommt Mia auf die Bühne. Die 20-Jährige hat einen platinblonden Kurzhaarschnitt, trägt einen beigen Trenchcoat und lederne Dessous. Erst wirkt sie etwas nervös, bis sie anfängt, von ihrem Boss zu erzählen: „So sieht der aus“, sagt sie und breitet ihre Arme aus. Dann schaut sie schräg ins Publikum und zieht mit der Nase eine imaginäre Line Koks. Sie spiele im Club immer ein Art Escape Game, da ihr Chef ständig etwas an ihr auszusetzen habe. Meistens kritisiere er ihre Haare, manchmal auch ihren Gesichtsausdruck. Nach jeder Anekdote hält Mia das Mikrofon weit von ihrem Mund weg, sonst würde es überpegeln– so laut muss sie selbst darüber lachen.

Berlin Strippers Collective
Das Berlin Strippers Collective glaubt: Sexarbeit zu kriminalisieren befeuert nur die Stigmatisierung

Das Strippers Collective hält es für falsch, Sexarbeit zu kriminalisieren, auf welche Weise auch immer. Daher lehnen sie auch das sogenannte „Nordische Modell“ ab, das zum Beispiel in Schweden gilt und von einigen Vertreter*innen des prostitutionskritischen Feminismus gefordert wird: Dabei werden nicht die bestraft, die Sexarbeit anbieten, sondern die, die sie in Anspruch nehmen. Das langfristige Ziel des Modells ist die Abschaffung von Prostitution. Über soziale Programme soll Sexarbeitenden der Ausstieg aus der Branche erleichtert werden. Edi hält davon nichts: „Auf die eine oder andere Weise verkaufen in einer kapitalistischen Gesellschaft doch alle ihre Körper, eine Kellnerin genauso wie eine Sexarbeiterin.“ Sie findet es gar antifeministisch zu glauben, dass die Abschaffung von Sexarbeit die patriarchalen Strukturen dahinter abschaffen würde. Mit solchen Einstellungen trage man lediglich zur Stigmatisierung von Sexarbeiter*innen bei.

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.