WAP steht für Wet ass Pussy und ist der Titel eines der meistgestreamten Rapsongs des Jahres. Allein auf YouTube wurde WAP mittlerweile fast 300 Millionen Mal geklickt. Dort sieht man die Rapperinnen Cardi B und Megan Thee Stallion zusammen mit anderen Frauen in knappen Outfits tanzen und von ihrem sexuellen Verlangen rappen. Für manche war das der endgültige moralische Verfall, für andere die „Sommerhymne aller Feministinnen“. Nackte Frauen in Musikvideos — ist es nicht genau das, was der Feminismus ablehnt?
Annemarie: Wie die beiden im Video dargestellt werden, finde ich problematisch: sehr lasziv, die meiste Zeit in Reizwäsche, ganz klar sexualisiert. Es gibt diese Szene, wo beide auf einem Bett liegen und aneinander rumspielen. Sie schauen sich aber nicht an, sondern blicken die ganze Zeit in die Kamera – und bedienen somit die Blicke der männlichen Zuschauer. Ich kenne keine Videos, in denen Männer so sexualisiert dargestellt werden.
Miriam: In vielen Musikvideos stehen die Männer im Vordergrund und entscheiden, wie die Frauen tanzen und aussehen sollen. Aber in WAP dreht sich alles um Cardi B und Megan Thee Stallion. Sie stellen sich so dar, wie sie es wollen. Das sehe ich als etwas Gutes! Und das sage ich auch als Fan, der 20 Jahre Rap hört. Es passiert nicht oft, dass Frauen das tun.
„Dass Frauen so explizit über ihre Sexualität reden, ist nicht selbstverständlich“
fluter: Was sagt ihr dazu, dass WAP feministisch empowernd genannt wird?
Miriam: Ob es nun empowernd ist, lässt sich schwer beantworten, da nicht jede Frau dieselben Bedürfnisse oder Einstellungen hat. Ich glaube, es wird so positiv aufgefasst, weil sonst männliche Sexualität immer so omnipräsent ist. Für männliche Masturbation fallen mir direkt 20 komische Begriffe ein, für weibliche kein einziger. Oder dass Sex als beendet gilt, wenn der Mann gekommen ist. Dass Frauen so explizit über ihre Sexualität reden, ist nicht selbstverständlich. Allein deswegen ist es für mich feministisch.
Annemarie: Das stimmt, allerdings würde ich die Sexualität, über die sie sprechen, niemals als freie weibliche Sexualität bezeichnen. Auch die bedienen ja diese ganzen Klischees: Sie rappen nicht davon, wie sie einen Orgasmus haben, sondern sagen zum Beispiel, dass sie Deepthroaten wollen. Das ist eigentlich nichts anderes als der Mythos von der sexuell verfügbaren, immer geilen Frau.
Miriam: Wir werden alle unbewusst von patriarchalen Strukturen beeinflusst. Aber ich habe an keinem Punkt das Gefühl, dass die zwei nicht einfach genau das sagen, worauf sie Bock haben. Es geht in dem Song auch ganz viel um die orale Befriedigung der Frau. Ich weiß nicht, ob es das ist, was Männer unbedingt wollen.
Annemarie: Für mich ist es auf jeden Fall nicht feministisch. Ich sehe das wie bei sexistischer Werbung: Da könnte man ja theoretisch auch sagen, wenn sich Frauen dazu entscheiden, nackt auf einem Auto zu liegen, ist es halt deren freie Sexualität. Das hat aber immer auch eine gesellschaftliche Bedeutung und steht der Gleichstellung der Geschlechter im Weg, weil es die üblichen Rollen reproduziert.
„Das ist eine Strategie im Patriarchat, um Frauen weiszumachen, sie seien doch schon ach so frei und selbstbestimmt“
Sexyness und Feminismus: Ist das Empowerment oder reine Sexualisierung?
Miriam: Solange wir in einem patriarchalen System leben, welches geprägt ist von Vorstellungen von Frauen als fromme, zurückhaltende, liebe Mutterfigur, ist es rebellisch, sich dem entgegenzustellen.
Annemarie: Nein, dadurch haben wir dann Musikvideos, in denen Frauen in Unterwäsche tanzen und das als Empowerment bezeichnet wird. Ich glaube ehrlich gesagt, dass das eine Strategie im Patriarchat ist, um Frauen weiszumachen, sie seien doch schon ach so frei und selbstbestimmt. Meiner Meinung nach sollten wir uns fragen: Nützt die Sexualisierung von Frauen wirklich den Frauen? Ich denke sie hat eher zum Ziel, die Benachteiligung der Frau zu erhalten, statt sie zu bekämpfen. Warum denken viele Frauen, sie müssten sexy sein? Männer stellen sich selten lasziv blickend in Unterwäsche dar. Dies ist für mich ein Widerspruch, der die gesellschaftliche Reduzierung von Frauen auf ihren Körper verdeutlicht. Nur wenn sie von Männern als „sexy“ bewertet werden, seien sie etwas wert. Meiner Meinung nach kommen wir mit der Gleichberechtigung von Frauen und Männern nicht voran, wenn wir nicht auch die Selbstdarstellungen kritisch hinterfragen.
Miriam: Generell herrscht ein großes Missverständnis darüber, was „sexy“ und was Sexismus ist. „Sexy“ impliziert Freiwilligkeit und Konsens, Sexismus nicht. Dem wird immer entgegnet: Diese Frauen zeigen sich nur so, weil das die männliche Definition von sexy ist. Wer sind wir denn, dass wir uns herausnehmen, psychologische Analysen über fremde Frauen anzustellen? Frauen vorzuwerfen, sie würden sich nur ausziehen, um Männern zu gefallen, unterstellt ihnen Unmündigkeit und die fehlende Fähigkeit, sich des männlichen Blickes zu entziehen – was meiner Meinung nach unfeministisch ist und niemanden weiterbringt.
Annemarie Schoß ist Soziologin, arbeitet als Referentin für Frauen- und Familienpolitik bei einem Sozialverband und koordiniert die Berliner Städtegruppe von TERRE DES FEMMES.
Miriam Davoudvandi ist ehemalige splash!Mag Chefredakteurin und arbeitet jetzt als freie Journalistin zu den Themen Musik, Politik und Mental Health. Zu letzterem produziert sie den Podcast „Danke, gut“ bei COSMO.
Illustration: Renke Brandt