Als ich Teenie war, gab es keine wie sie in der Popmusik: nicht dünn, derber Wortschatz, Baggyklamotten und düstere Ästhetik, trotzdem ein Weltstar. Meinem Teenie-Ich – nicht dünn und als Tomboy ständig vom Gefühl geplagt, gängige Weiblichkeitsvorgaben nicht zu erfüllen – hätte eine Billie Eilish einen Batzen Selbstzweifel erspart. Meine ersten Fansymptome deutete ich als eine Art verspätete Identifikation.
Zunächst fand ich ihre Musik besonders. Engelsgleiche Stimme, aber düstere Themen, Popmusik und trotzdem nischig: Billie hatte einen Sound, den ich so noch nie gehört hatte. Dann stellte ich fest, dass ich mich mit all dem auf wundersame Art identifizieren kann. Was sie sagt, wie sie sich gibt, I get it. Es wurde mehr daraus, viel mehr: Im Handumdrehen war ich unter den Top-0,5-Prozent ihrer Hörer auf Spotify, hängte Porträts von ihr an meine Wand und konnte nicht mehr aufhören, ständig über Billie zu sprechen. Es hatte mich erwischt.
Mit Sherlock Holmes fing alles an
Fandoms gibt es, seit es Populärkultur gibt – also schon lange bevor die Beatles reihenweise Teenager in Ohnmacht fallen ließen, bevor es sexy Fanfiction über Frodo Beutlin und seinen Kumpel Sam gab oder sich jemand zum ersten Mal als Stormtrooper verkleidete. Alles soll 1887 begonnen haben, als sich Sir Arthur Conan Doyle einen Londoner Detektiv ausdachte – und die Leute nicht genug bekommen konnten von Sherlock Holmes. Sie schrieben ihre eigenen Geschichten (bevor es Fanfiction hieß) und gingen sogar auf die Straße, als Doyle seinen Protagonisten 1893 zwischenzeitlich umbrachte.
Heute gibt es unzählige solcher Fanzusammenschlüsse. Sie heißen Swifties, Bronies, BeyHives, Whovians oder Cumberbitches, sie rotten sich on- wie offline zusammen und setzen unglaubliche Kräfte frei, um ihrer geteilten Schwärmerei Ausdruck zu verleihen. Das beeindruckendste Beispiel ist derzeit wohl die „A.R.M.Y.“ – das Fandom rund um die K-Pop-Band BTS. Der Name ist kein Zufall, die Fans stehen wie eine durchorganisierte Armee hinter der Band aus Südkorea. 2017 bescherten sie BTS mit 300 Millionen Votes den Preis für den „Top Social Artist“ der Billboard Music Awards, sie sammeln Spenden für wohltätige Zwecke und mischen sich auch politisch ein. Nach dem rassistisch motivierten Mord an George Floyd kaperte die A.R.M.Y. 2020 den Hashtag #whitelivesmatter und flutete ihn mit K-Pop-Fancontent, um ihn für Rechtsextreme unbrauchbar zu machen. Im selben Jahr meldeten sich Tausende Mitglieder für eine Wahlkampfveranstaltung von Donald Trump an – um dann nicht hinzugehen. Statt einer Million erwarteter Menschen kamen 6.200.
Übertreiben es Fans mit ihrer Obsession, werden sie „Stans“. Im Song „Stan“ rappte Eminem 2000 über einen gleichnamigen Fan, dessen Leidenschaft für Eminem lebensbedrohliche Ausmaße annimmt. Stan schreibt Briefe an sein Idol, die klingen, als würden die beiden sich gut kennen. Er erlebt eine extreme Version dessen, was alle Stans eint: eine parasoziale Beziehung zu seinem Star, ein Gefühl von Nähe, das überwältigend ist, aber eben auch einseitig.
Billies Gesicht ist mir vertraut wie das einer besten Freundin. Manchmal sehe ich ein Outfit und denke: „Das würde ihr gefallen.“ Ihre Insta-Storys erscheinen bei mir immer ganz vorne, umringt von meinen echten Freundinnen. Wenn ich an Billie denke, kickt die parasoziale Beziehung auch bei mir. Das Gefühl kennt sie übrigens selbst: Als Billie Teenager war, litt sie am „Bieber Fever“. Sie war derart besessen von Justin Bieber, dass sich ihre Mutter ernsthaft sorgte.
Studien zeigen, dass Fandom Identität stiftet und das Selbstbewusstsein stärkt
Nicht unberechtigt: Das Fansein kann gefährlich werden, wenn man vergisst, dass die eigenen Gefühle nicht von der Gegenseite geteilt werden. Als sich 1996 Take That trennten, mussten beispielsweise Sorgentelefone eingerichtet werden, weil einige Fans davon sprachen, dass mit dem Ende der Boyband auch ihr Leben vorbei sei. Viele andere stalken ihre Idole. Und von den Ausmaßen, die Fankultur bei manchen Sportarten annimmt, fange ich hier gar nicht erst an.
Dabei ist das Fansein eigentlich gesund. Studien zeigen, dass Fandoms Identität stiften, das Selbstbewusstsein stärken und so Depressionen vorbeugen können (was man besonders in der Pubertät gut gebrauchen kann). Wer Musik hört, die er kennt und liebt, setzt Dopamin frei. Fansein macht also glücklich – solange man sich der Tatsache bewusst ist, dass die eigene Liebe eine Projektion ist und eine kleine Idiotie: Ich schwärme für einen Menschen, von dem ich kaum etwas weiß, dem ich in der Regel nie begegnen werde, von dem ich nur eine Marketingversion kenne.
Überhaupt, Marketing: Meine Beziehung zu Billie unterscheidet sich auch insofern von meinen zwischenmenschlichen, als dass sie sehr viel teurer ist. Vergangenes Jahr habe ich für ein Konzert knapp 100 Euro lockergemacht. Natürlich war es jeden Cent wert. Ich dachte trotzdem wehmütig an die vor allem jungen Fans, denen das Geld für diese Erfahrung fehlt.
Dieser Text ist im fluter Nr. 89 „Liebe“ erschienen
Uns Billie-Fans fehlt es auch sonst nicht an Investitionsmöglichkeiten: ständig neues Merch, Meet & Greets, exklusives Vinyl, drei verschiedene Düfte, Sneaker aus einer Nike-Kooperation und so weiter. Ich bin da nicht immun. Ein paar Mal konnte ich mich noch besinnen, bevor ich dann doch das Shirt für 20 Euro Versand aus den USA bestellte, das mir zu gut gefiel.
Ist das eine Ausbeutung von Gefühlen? Vor allem den erfolgreichsten Künstlerinnen und Künstlern wird mitunter zu wenig Einsatz für ein möglichst barrierearmes Fandom vorgeworfen. Billie, Harry, Taylor und Co. haben die Regeln im Popbusiness zwar nicht gemacht, aber Einfluss auf sie.
Dabei muss ich nicht viel Geld ausgeben, um mir an einem schlechten Tag einen Lieblingssong anzuhören und den Tag so effektiv besser zu machen, mich beim Gedanken an ein neues Album zu fühlen, als wäre ich wieder acht und es wäre bald Weihnachten. Dosiert man es richtig, ist das Fansein ein Lifehack: eine kleine, nie versiegende Dopaminquelle. Danke dafür, Billie!