Können wir uns beim Klimawandel womöglich einfach auf die Selbstheilungskräfte der Erde verlassen? Satellitenaufnahmen zeigen nämlich: Es wird grüner auf unserem Planeten. Insgesamt wachsen auf der Welt – zum Beispiel in Europa, den Tropen und weiten Teilen Amerikas – immer mehr Pflanzen und Bäume. Und weil deren Blätter Kohlendioxid aus der Luft binden, ist das die beste Medizin gegen den Treibhauseffekt. Es kommt sogar noch besser: Das Kohlendioxid, das zu einem Gutteil aus Kraftwerken, Auspuffen und von der Waldrodung stammt, ist die Hauptursache dafür, dass immer mehr Grün auf der Erde wächst, quasi als Dünger aus der Luft. Diese Kernbotschaft war im April einer Studie in der Fachzeitschrift „Nature Climate Change“ zu entnehmen. Also alles halb so schlimm mit der Erderwärmung, wenn all das neue Grün die Aufheizung des Planeten bremst? Leider nur auf den ersten Blick.
Auf einer Fläche, doppelt so groß wie die USA ist die Erde seit 1982 grüner geworden
Die Studie wirkte erstmal beeindruckend: 32 Wissenschaftler von 25 Instituten aus neun Ländern haben drei Datensätze von verschiedenen Satelliten mit zehn Computermodellen ausgewertet. Und einer der Hauptautoren, der Umweltforscher Ranga Myneni von der Universität Boston, lässt in seinen Äußerungen auch nichts an Deutlichkeit vermissen: Von 1982 bis 2009 sei die Erde auf einer Fläche, die doppelt so groß ist wie die USA (ohne Alaska und Hawaii), grüner geworden. Mynenis Fazit: „Zu 70 Prozent geht das auf den steigenden Kohlendioxidgehalt in der Atmosphäre zurück.“
In der Tat ist der Düngeeffekt von Kohlendioxid lange bekannt. Bauern nutzen ihn in Gewächshäusern, indem sie die Luft mit dem Gas anreichern, damit Gemüse und Obst schneller reifen. Und dass es auf unserem Planeten grüner wird, haben etliche Forschergruppen unabhängig voneinander beschrieben und gilt mittlerweile als unstrittig. Nur: Wie geht das damit zusammen, dass sich viele Wüsten ausbreiten, und vor allem mit den massiven Rodungen in den Tropen und Subtropen? Myneni selbst gibt die Antwort. Nachdem gerodet wurde, „wächst wieder etwas Grünes“. Zum Beispiel eine Palmölplantage.
Die Satelliten können nämlich nicht unterscheiden zwischen Wald und Plantage, zwischen Mais und Wiese. Alles, was sprießt und nicht verdorrt ist, sieht für sie grün aus. Die Instrumente an Bord der Satelliten erfassen alle Flächen, die aus einigen hundert Kilometern Entfernung grün erscheinen, und ermitteln deren Intensität an Grün. „Nadelwald ist ja intensiver grün als Laubwald und führt deshalb auch zu einem Mehr an Grün“, gibt Matthias Forkel, Geowissenschaftler an der TU Wien, ein Beispiel. Wird also ein Mischwald hierzulande durch eine forstwirtschaftlich genutzte Fichtenmonokultur ersetzt, so führt dies zu einem Ergrünen.
Der Zuwachs reicht aber beileibe nicht aus, um die Erderwärmung aufzuhalten
Dass es grüner wird, hat also nicht automatisch einen positiven Effekt. Ein unberührter Wald beherbergt mehr Pflanzen- und Tierarten, bindet weitaus mehr Kohlendioxid und Nährstoffe und ist somit ökologisch fraglos wertvoller als eine Palmölplantage.
Hinzu kommt, dass Pflanzen und Bäume zwar ein Viertel des ausgestoßenen Kohlendioxids aus der Luft aufnehmen. Aber trotz Blätterboom nehmen sie kaum mehr Kohlendioxid als zuvor auf. Von 25 Prozent steigt der Wert lediglich auf 26 Prozent, stellt Matthias Forkel klar. Ein Zuwachs von einem Prozent reicht jedoch beileibe nicht aus, um die Erderwärmung aufzuhalten. Er fällt nicht einmal ins Gewicht. Also, kein Argument für Klimawandelskeptiker, auch wenn diese es gerne ins Feld führen.
Noch eine weitere Schwäche kann man der Studie ankreiden. Regional ist mitunter gar nicht das Kohlendioxid für das Mehr an Grün verantwortlich, sondern ein Faktor, der in der Studie als „Klima“ subsumiert wird. Dabei geht es längst nicht nur um die Erderwärmung, die die Tundra ergrünen lässt. Der wichtigste Klimafaktor ist die höhere Bodenfeuchte, erklärt Forkel: „Dabei könnte man an Regen als Ursache denken. Aber es sind vornehmlich moderne Anbaumethoden, allen voran bessere Bewässerungsmethoden und auch eine intensivere Düngung in den letzten Jahrzehnten, die in vielen Industrie- und Schwellenländern das Plus an Pflanzen erklären.“ Den Autoren der Studie muss man also zusätzlich entgegenhalten: Es wird auch grüner, weil der Mensch kräftig düngt und gießt.
Foto: Riitta Ikonen and Anja Schaffner, aus der Serie: Bird and Leaf 2007