Worum geht’s?
- In Brasilien hat der umstrittende Rechtspopulist Jair Bolsonaro die Präsidentschaftswahlen gewonnen.
- Er verherrlicht die Militärdiktatur und äußert sich oft rassistisch, frauenfeindlich und homophob.
- Bolsonaros Unterstützern gefallen seine konservativen Positionen. Sie hoffen, dass er mit der weitverbreiteten Korruption aufräumt und Recht und Ordnung wiederherstellt.
- Seine Kritiker zeigen auf, dass Bolsonaro gar kein richtiges politisches Programm hat.
- Viele Brasilianer befürchten, dass Hass und Gewalt jetzt legitimiert werden.
Die #elenao-Demo war der größte Protest gegen einen Präsidentschaftskandidaten in der Geschichte Brasiliens. Sie markierte auch einen Bruch in der Gesellschaft
Am Sonntag um kurz nach 19 Uhr, als die Wahlergebnisse bekannt wurden, jubelten Tausende Anhänger Bolsonaros am Strand vor dessen Haus in Rio. Sie feierten mit Feuerwerken, Autokorsos und lauter Musik den Sieg des Rechtspopulisten. Bolsonaros Kritiker bangen vor dem, was nun folgen könnte.
Rund 55 Prozent der Wählerinnen und Wähler hatten für Jair Bolsonaro gestimmt, der für die Sozial-Liberale Partei (PSL) ins Rennen ging. Knappe 45 Prozent stimmten für seinen Kontrahenten Fernando Haddad von der linksgerichteten Arbeiterpartei. Vier Jahre ist Bolsonaro nun regulär Präsident, und damit ist er in Brasilien nicht nur Staatsoberhaupt, sondern auch Regierungschef.
Der ehemalige Militär und langjährige Abgeordnete für wechselnde Parteien ist in Brasilien und international hoch umstritten. Er drohte der Opposition mit Verfolgung, verherrlichte die brasilianische Militärdiktatur und äußerte sich wiederholt demokratieverachtend, rassistisch, frauenfeindlich und homophob.
Bolsonaro hatte in seinem Wahlkampf – den er mit illegal beschafften Kontaktdaten hauptsächlich über WhatsApp geführt hat, wo er jede Menge Falschmeldungen verbreitete – auf konservative Themen wie Sicherheit und Familie gesetzt. Themen, die offenbar bei vielen Brasilianern gut angekommen sind. Vor allem aber verkörpert er für sie eine Abkehr von linken Parteien, deren Köpfe – wie Ex-Präsident Lula da Silva und seine Nachfolgerin Dilma Rousseff – in Korruptionsskandale verstrickt waren. „Unser Land braucht den Wandel“, sagt die 41-jährige Barbara Heller aus Rio, die in einer Bar mit Freunden feiert. Brasilien, findet sie, hat jetzt den Mann gefunden, der in dem Land endlich aufräumen wird.
Er warnte zum Beispiel davor, dass Kinder in der Schule zu Homosexuellen erzogen würden. Teilen der religiösen und konservativen Wählerschaft gefielen Bolsonaros Meinungen, etwa seine Position, die Ehe solle heterosexuellen Paaren vorbehalten sein. „Die traditionelle Familie muss wieder wertgeschätzt werden“, findet auch Barbara Heller. „Wir brauchen wieder mehr Respekt – es kann nicht sein, dass zwei Männer sich in der Öffentlichkeit küssen.“ So denkt auch Jaqueline da Silva, die mit ihrer Familie in der Favela Rocinha lebt, der größten Favela von Rio de Janeiro. Sie ist auf dem Nachhauseweg, zusammen mit ihrer Tochter und einem ihrer Freunde. Dass dieser schwul ist, kommentiert da Silva schulterzuckend mit einem „Der ist halt kein richtiger Mann“.
„Bolsonaro hat kein Ideal der Menschlichkeit, er führt einen Hassdiskurs gegen Minderheiten wie mich“
Homosexuelle wie Rafael Jaques Sorge befürchten, dass Hass und Gewalt gegen sie unter Bolsonaro legitimiert werden: „Bolsonaro hat kein Ideal der Menschlichkeit, er führt einen Hassdiskurs gegen Minderheiten wie mich.“ Der 28-jährige Audio-Produzent findet: „Brasilien ist jetzt schon ein Land voller Vorurteile. Es ist erschreckend, weil ich nicht weiß, was jetzt noch alles passieren wird.“ Schon während des Wahlkampfs gab es vermehrt Angriffe auf Homosexuelle und andere Minderheiten, aber auch auf Journalisten und Aktivisten.
Bolsonaro wird durchgreifen, wieder Recht und Ordnung herstellen, glaubt Jaqueline da Silva. Nach der Wirtschaftskrise, der Fußball-WM und den Olympischen Spielen hat sich Brasiliens Krise verstärkt, die Kriminalität in den Städten ist angestiegen – besonders in den Favelas. Allein in der 6,5-Millionen-Stadt Rio de Janeiro lebt jeder Fünfte in einem der Armenviertel. Die Bewohner leiden besonders unter der Gewalt, die Drogen- und Waffengeschäfte mit sich bringen. Drogenbanden, Milizen und Polizei bekämpfen sich unerbittlich. Gerade Bewohner der Armenviertel waren daher empfänglich für die markanten Sprüche des Rechtsaußen-Politikers.
Dabei hegte Bolsonaro bisher keine wirklichen Sympathien für die Armen. Als Abgeordneter etwa stimmte er gegen ein Gesetz, das Hausangestellten (die zu großen Teilen aus den Favelas stammen) mehr Rechte sichern sollte. Doch all das scheint vergessen, wenn sich Bolsonaro als bodenständiger Saubermann darstellt, als der Hauptmann der Reserve, der Familienvater.
Bolsonaros Anhänger reden nicht gern über die noch fehlenden Programme ihres neuen Präsidenten. Diskriminierung? Sei übertrieben. Homosexuelle? Die würden ihre falsche Haltung doch selbst erkennen. Gewalt? Mit der eigenen Waffe könne man sich besser selbst verteidigen. Rassismus und Faschismus? Der größte Faschist, Lula, Brasiliens ehemaliger linker Präsident, sitze doch im Knast.
„Bolsonaro ist sehr radikal. Ich habe Angst vor dem, was kommt. Noch schlimmer als seine Reden finde ich die Menschen, mit denen er sich umgibt“
Andere hingegen fürchten sich vor der Zukunft unter dem neuen Präsidenten: „Bolsonaro ist sehr radikal. Ich habe Angst vor dem, was kommt“, sagt die 31-jährige Vitoria aus Porto Alegre. „Noch schlimmer als seine Reden finde ich die Menschen, mit denen er sich umgibt.“ Einen Teil seines Kabinetts hat Bolsonaro bereits aufgestellt: Sein Vizepräsident Hamilton Mourão ist ein General der Reserve, der nicht weniger extreme Parolen schmettert. Er ist wie Bolsonaro ein Fan der Militärdiktatur, spricht von einem möglichen Putsch nach der Wahl und davon, dass Brasilien die Faulheit der indigenen Bevölkerung und die Gerissenheit von den unmöglichen Afrikanern geerbt habe. Bolsonaro kündigte an, die Hälfte seines Kabinetts mit Militärs besetzen zu wollen, der ehemalige General Augusto Heleno etwa soll Verteidigungsminister werden. Er will Scharfschützen gegen Kriminelle einsetzen.
Zusammen mit anderen rechtskonservativen Politikern will Bolsonaro eine globale rechte Allianz bilden. Nach seinem Wahlsieg erreichten internationale Glückwünsche den künftigen Präsidenten – von Matteo Salvini aus Italien, Mauricio Macri aus Argentinien und Donald Trump aus den USA.
Seinen Wählern hat Bolsonaro wirtschaftlichen Aufschwung versprochen – bisher hat er aber keinen konkreten Plan präsentiert. Die Grundlinien sind jedoch klar: mehr Privatisierung, weniger Staat, Abholzung im Amazonas, weniger – seiner Meinung nach lästiger – Umweltschutz.
Bolsonaro hat eine „Säuberung“ angekündigt, wie sie Brasilien noch nicht gesehen hat
Bereits kurz nach der Wahl wurde in São Paulo gegen Bolsonaro protestiert, weitere Proteste sind geplant. Ob sie stattfinden dürfen, ist unklar. Antifaschistische Aktionen in Universitäten wurden vor dem Wahltag mithilfe der Polizei untersagt, Banderolen verboten. Kurz vor der Wahl hatte Bolsonaro angekündigt, „rote Banditen“ aus Brasilien zu vertreiben. „Es wird eine Säuberung werden, wie sie Brasilien in seiner Geschichte noch nicht gesehen hat“, sagte Bolsonaro.
Offiziell war es der Polizei während des Wahlkampfs verboten, für Bolsonaro zu werben, dennoch scheinen Brasiliens Militär und Polizei zu großen Teilen hinter ihm zu stehen: Als es nach der Wahl in Rio zwischen linken und rechten Anhängern zu Auseinandersetzungen und Flaschenwürfen kam, kritisierte die Polizei nur Personen der linken Gruppe: „Die können ihre Niederlage nicht akzeptieren.“ Am Wahlabend schließlich führte ein Wagen der Bundespolizei einen hupenden Autokorso an, mit blinkenden Scheinwerfern entlang der Copacabana.
Titelbild: Fabio Vieira/FotoRua/NurPhoto via Getty Images