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„Wir haben Ärger, weil wir viel richtig gemacht haben“

Erst förderte der türkische Staat den Film „Burning Days“. Dann forderte er das Geld zurück – weil dem Kulturministerium das Drehbuch nicht passt, sagt Regisseur Emin Alper. Die sinkende Meinungsfreiheit im Land macht Regisseuren wie ihm zu schaffen

Burning Days

fluter.de: Emin, 2022 war ein hektisches Jahr für dich. Dein Film „Burning Days“ war in der Türkei in aller Munde. Wie geht’s dir heute?

Emin Alper: O Mann, turbulente Zeiten! Es ist ruhiger geworden, zum Glück. Aber der Trubel hat sich gelohnt: „Burning Days“ wurde mehr gesehen als alle meine Filme zusammen. Wir haben Zehntausende Tickets mehr verkauft als üblich ist für unabhängige Filme in der Türkei. Unterm Strich ist also alles in Ordnung.

„Burning Days“ erzählt die Geschichte von Emre, einem jungen Staatsanwalt, der in eine anatolische Kleinstadt berufen wird, die von einer Wasserkrise betroffen ist. Es ist ein Film über Korruption, Machtgerangel und politische Skandale. Hätte er überall spielen können?

Die schreckliche autoritäre, konservative Atmosphäre hier in der Türkei war schon der Funken für diesen Film. Die Geschichte ist lokal angelegt, aber die Ängste, Hoffnungen, Schwächen und Erwartungen der Menschen findet man überall. Das wurde mir klar, als ich an der Geschichte gearbeitet habe. Dann habe ich Zeit und Raum unkenntlich gemacht, die Verbindungen zur aktuellen Politik reduziert.

Du hast den Film universeller gemacht.

Ja. Aber um ehrlich zu sein: Dass ein urbaner Intellektueller aufs Land geht und versucht, die Verhältnisse zu verbessern, ist eine verbreitete Geschichte im türkischen Kino und in der türkischen Literatur. Oft sind die Figuren in diesen Geschichten von Idealismus durchtränkt. Das sind Karikaturen, gut bis auf die Knochen. Dabei denken selbst Idealisten irgendwann an ihren Vorteil, sie lügen, betrügen, machen Fehler oder auch mal gar nichts. Ich bin auf dem Land aufgewachsen unter genau solchen Richtern, Staatsanwälten und Politikern wie in „Burning Days“. Ich wollte im Film Menschen zeigen, wie wir sie im wirklichen Leben treffen.

 
Burning Days
Szene aus „Burning Days": Emre (Selahattin Pasali) tritt seinen ersten Job als Staatsanwalt in einer Kleinstadt an, die unter Wasserknappheit leidet

Wie macht man das?

Bei mir funktionieren genaues Hinschauen und Distanz zum Drehbuch. Ich schreibe eine Fassung fertig und lasse sie für Monate liegen. Dann liest man den Text, als hätte ihn jemand anderes geschrieben. Meine Filme brauchen dadurch etwas länger. Aber die Beantragung von Fördermitteln und das Beschaffen von Geld für den Film dauern ja auch oft Jahre.

Deinen Fall hat gerade die Finanzierung bekannt gemacht.

Nach der Premiere bei den Filmfestspielen in Cannes und wenige Tage vor dem offiziellen Kinostart in der Türkei forderte das Kulturministerium die finanzielle Unterstützung für den Film zurück. Meine Filme hatten es bei der öffentlichen Förderung immer schwer, nur zwei wurden mit staatlichen Mitteln gedreht.

Wer entscheidet in der Türkei, welche Filme gefördert werden?

Die Mittel im Bereich Kunst und Kultur werden nicht wie in Deutschland oder anderen europäischen Ländern dezentral vergeben, sondern von einer Jury. Viele Mitglieder kommen aus der Filmindustrie. Aber das Ministerium für Kultur und Tourismus kann die Förderungsentscheidungen der Jury zurückrufen. Lange schien es, als würden Jury und Ministerium auf Augenhöhe agieren. Bis es 2019 eine Satzungsänderung gab.

Wenn ich es richtig verstanden habe, wurde damals beschlossen, dass das Ministerium ein Drehbuch, das eine Förderung bekommen hat, mit der Version des Drehbuchs abgleichen darf, nach der der Film tatsächlich gedreht wurde?

Genau. Änderungen am Drehbuch müssen nun noch mal zur Genehmigung vorgelegt werden. Dabei fördern Staaten überall auf der Welt einfach die Drehbücher und lassen Regisseur und Team dann in Ruhe arbeiten. Das ist ja auch sinnvoll: Ein Drehbuch ist wie eine Route. Die kann und muss man während der Dreharbeiten oder sogar noch in der Postproduktion immer wieder ändern.

„Die Regierung will Geschichten verhindern, die ihr Weltbild angreifen. Drogen, Homosexualität, Zweifel an der nationalen Identität, sowas will man in der Türkei nicht zeigen“

Was sollte mit dieser Änderung bezweckt werden?

Ich glaube, Regisseure sollen an Geschichten gehindert werden, die die Regierung und ihr Weltbild in irgendeiner Weise angreifen. Regierungskritisches, Drogen, Homosexualität, Zweifel an der nationalen Identität, sowas will man hier nicht zeigen. Die Regisseure und Produzenten müssen in offiziellen Berichten darlegen, warum sie Nebenstränge oder Charaktere im Drehbuch ändern wollen. Da drehen manche Filmemacher durch, es gibt einfach selten einen klaren Grund für eine Änderung. Das sind sehr intuitive Vorgänge. Ich glaube nicht, dass man ein objektives Urteil darüber fällen kann, ob Änderungen am Drehbuch eines anderen geeignet sind oder nicht.

Werden die Änderungen häufig abgewiesen?

Das weiß ich nicht. Ich bin aber der Erste, von dem sie die Fördermittel zurückfordern.

Was glaubst du, woran das liegt?

Das Ministerium erklärte, dass es die am Drehbuch vorgenommenen Änderungen nicht gutheiße. Für mich ist klar, warum: Die Änderungen haben denen politisch nicht gefallen. Zwischen dem Staatsanwalt und einem Journalisten entwickelt sich im Film eine Liebesbeziehung, die stand in der ersten Fassung des Films noch nicht drin.

Weil du wusstest, dass diese Änderung zu Problemen führen könnte?

Nein. Ich habe dem Ministerium die endgültige Fassung vorgelegt – mit der Beziehung zwischen den männlichen Charakteren – und dann keine Antwort mehr erhalten. Wir haben gedreht, wir haben den Film produziert, wir haben die Bänder dem Ministerium übergeben. Nie gab es Probleme. Bis der Film in Cannes lief und für eine Queer Palm nominiert wurde. Dann brach die Hölle los.

Regierungsnahe Medien haben berichtet, dass es sich bei dem Film um queere Propaganda handele …

… und dass wir das Ministerium betrogen hätten, weil wir ihr Geld nehmen, um einen ganz anderen Film zu drehen. Ich vermute, die Aufmerksamkeit hat das Ministerium unter Druck gesetzt. Denn in der Jury fanden alle Mitglieder, die das erste Drehbuch kannten, meine Änderungen richtig. Sie waren glücklich über die Nominierungen, die der Film in Cannes und auf dem Filmfest in Antalya erhalten hat. Aus Jurykreisen weiß ich, dass die Förderung auf Intervention des Ministeriums zurückgenommen wurde.

Der Film ist seinem Erfolg zum Opfer gefallen.

Ich glaube schon. Wenn der Film auf keinem Festival angenommen, nie für einen Preis nominiert worden wäre, wäre er in aller Stille gelaufen. Wir haben Ärger, weil wir viel richtig gemacht haben.

Burning Days
Im Lauf seiner Ermittlungen lernt Emre den Journalisten Murat (Ekin Koç) kennen. „Burning Days" soll noch diesen Sommer in die deutschen Kinos kommen

Die Fördergelder habt ihr bereits zurückgezahlt. In den vergangenen Jahren ist es in der Wirtschaftskrise in der Türkei schwieriger geworden, Filme zu machen. Gibt es Möglichkeiten, einen Film ohne die öffentliche Filmförderung zu finanzieren?

Du brauchst Co-Produzenten aus dem Ausland, die in ihrem Heimatland Fördermittel beantragen. Auch weil das Geld, das das Ministerium gibt, nicht ausreicht, um einen Film zu produzieren. Die Filmförderung wird seit Jahren gekürzt. Zuletzt wurde eine Unterstützung von eineinhalb Millionen Lira angekündigt. Für einen Indiefilm brauchst du das Fünffache.

Und ein Co-Produzent aus dem Ausland ist ein Rettungsanker für den Film?

Nicht unbedingt. Rechtlich ist es meistens so, dass das Geld, das du im Ausland bekommst, auch dort ausgegeben werden muss. Wenn du in Deutschland einen Topf mit 80.000 Euro kriegst, musst du also die Postproduktion in Deutschland machen, einen deutschen Kameramann oder Assistenten anstellen.

„Wenn du immer um die Zensur herumtänzelst, atmest du die Verbote ein. Vielleicht zensieren wir unsere eigenen Geschichten von Anfang an, unbewusst“

Wie würdest du die Filmförderung aufstellen?

Ich finde, zunächst sollte die Förderung verdoppelt oder verdreifacht werden. Dann bräuchte es einen unabhängigen Kunstausschuss, der festlegt, an wen die Gelder vergeben werden. Und neben dem Ministerium sollten auch Fernsehsender und Digitalplattformen Projekte entwickeln, die nach künstlerischen, nicht nach politischen Kriterien bewertet werden.

Das „Anti-Desinformations-Gesetz“ schränkt die Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei weiter ein. Mittlerweile werden selbst die internationalen Streamingdienste von türkischen Behörden blockiert. Du sagst: Als Filmemacher muss man sich in der Türkei jeden Tag zwischen Selbstzensur und Widerstand entscheiden.

Ich versuche, nicht einzuknicken. Ich versuche es wirklich! Aber vielleicht ist es schon zu spät. Wenn du deine ganze Karriere um die Zensur herumtänzelst, atmest du die Verbote und roten Linien ein, bis du sie kaum noch erkennst. Vielleicht zensieren wir unsere eigenen Geschichten von Anfang an, unbewusst. Ich weiß es nicht.

Eine deiner Co-Produzentinnen ist Çiğdem Mater. Sie soll 2013 die Proteste im Gezi-Park mitorganisiert haben und wurde zu 18 Jahren Haft verurteilt.

Für Çiğdems Fall habe ich keine Worte. Sie und ihre Freunde wurden völlig unrechtmäßig und ohne Beweise verhaftet. Osman Kavala (ein Mäzen und Menschenrechtsaktivist, der wegen Unterstützung der Gezi-Proteste zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, Anm. d. Red.) sitzt seit Jahren im Gefängnis. Ich denke, die Regierung hat erkannt, wie absurd es ist, Kavala allein festzuhalten. Sie haben Çiğdem und die anderen verhaftet, um Gezi als eine Organisation erscheinen zu lassen. Çiğdem lebte in Deutschland, sie ist extra für den Prozess wieder in die Türkei zurückgekommen.

Sie wurde auch wegen Fluchtverdachts verhaftet.

Jeder hier weiß, dass diese Leute unschuldig sind. Bis auf den einen Mann da oben, der dafür verantwortlich ist. Wir müssen die Rechtsstaatlichkeit zurück in die Türkei holen. Ich hoffe, die Wahlen beenden diesen Wahnsinn.

Bist du zuversichtlich?

Ja. Bei früheren Wahlen war ich es nicht. Die Opposition hat Fehler gemacht, aber die Fehler der Regierung sind viel größer. Wenn wir faire und freie Wahlen bekommen, glaube ich, dass die Wahl die Dinge im Land ändert.

Emin Alper ist einer der wichtigsten politischen Filmemacher der Türkei. Das Interview wurde auf Türkisch geführt und dann übersetzt. (Foto: Muhsin Akgün)

Fotos: The Match Factory

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.