Normalerweise bringt der Nürnberger Nightliner Partygäste nach Hause. Dann wird es auch mal lauter. An diesem Mittwochmorgen herrschen in der Linie N11 Stille – und Laxay Kapoor. Er sitzt am Steuer des Fahrschulbusses, weißer Hemdkragen, rot-schwarze Krawatte, gut getrimmter Bart, und lächelt sein Schwiegersohnlächeln. „Alles okay?“, fragt Laxay in Richtung seines Ausbilders. Alles okay. Per Knopfdruck schließt er die Türen und fährt los.
Laxay ist Auszubildender bei der VAG, dem Nürnberger Verkehrsverbund. Leute wie ihn gibt es immer weniger. Bundesweit würden 20.000 Busfahrer fehlen, sagt Burkhard Hüttl, Geschäftsführer des Bayerischen Landesverbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), Tendenz steigend. 2023 musste fast die Hälfte der bundesweiten Verkehrsbetriebe ihre Strecken zeitweilig einschränken, weil Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fehlten. Im wirtschaftlich erfolgreichen Bayern sei die Lage besonders prekär, sagt Hüttl. „Wir konkurrieren mit vielen Branchen. Die Leute gehen lieber in die Industrie, da verdienen sie besser.
In seiner Ausbildung lernt Laxay den gesamten Verkehrsbetrieb kennen, bis zur Finanzverwaltung
Auf dem Lenkrad des N11 prangt ein Löwe, der an die Logos von Sportwagen erinnert, aber Laxay fährt im Schritttempo zur nächsten Haltestelle vor. Alle aussteigen, bitte. Sein Ausbilder deutet mit dem Finger raus, auf die Gleise: Da fährt die Straßenbahn. Aber nur tagsüber, nachts dann der Nightliner.
„Einweisung in die Fahrlinien“ heißt dieser Teil der dreijährigen Ausbildung. Es gibt Theorie- und Praxisblöcke, am Ende sollen die Auszubildenden die rund 70 Buslinien im Großraum Nürnberg mit allen Eigenheiten auswendig kennen. Die Lehre beschränkt sich nicht auf den Bus. Die Fachkräfte im Fahrbetrieb, kurz FiFler, lernen auch die U- und S-Bahnen kennen, bekommen einen Einblick ins Kundencenter oder in die Finanzverwaltung. Laxay findet vor allem die Servicedienste spannend. Die helfen zum Beispiel als Erstbetreuer bei Unfällen. „Da fährt man im Funkwagen mit. Blaulicht, Action, hat schon was.“
Dieser Text ist im fluter Nr. 92 „Verkehr“ erschienen
Seine Route führt langsam raus aus Nürnberg. Laxay manövriert den Bus zwischen einem Bordstein und einer Baustelle hindurch, Millimeterarbeit. „Man muss mitdenken und lenken. Eine viel größere Herausforderung als auf Schienen“, sagt er.
Als Kind hat er diesem Moment entgegengefiebert. Laxays Kinderzimmer steht voller Modellbusse, er macht mit seinen Eltern Ausflüge zum Bahnhof, sie steigen spontan in Busse ein, die Laxay gefallen. Am liebsten ist ihm die Linie 36, mit der ihn seine Mutter zum Kindergarten bringt. Fotos zeigen einen aufgeregten Jungen beim Tag der offenen Tür der VAG, hinter dem Steuer. „Heute sitze ich genau da“, sagt Laxay. „Da bin ich schon ein bisschen stolz auf mich.“
In diesem September bleiben acht der 22 Ausbildungsstellen für FiFler unbesetzt, zum ersten Mal. „Früher haben die uns die Türen eingerannt“, sagt Pressereferentin Susanne Jerosch. Inzwischen sei es zunehmend ein Arbeitnehmermarkt geworden: Bewerber haben mehr Auswahl und dadurch eine bessere Verhandlungsposition.
Um gegenzusteuern, versucht die VAG, auf die Menschen zuzugehen. Beim Bewerbungsbus am Hauptbahnhof können sich die Leute direkt bewerben. Für Angestellte sind seit diesem Jahr Wunschurlaube möglich, und im Hauptgebäude gibt es einen Fitnessraum. Der VDV fordert die Zuwanderung von Arbeitskräften aus dem Ausland und mehr Teilzeitstellen, um gezielter auch Frauen anzuwerben, die aktuell nur 20 Prozent der Beschäftigten ausmachen.
E-Busse, schön und gut. Aber wenn Arbeitskräfte fehlen, ist keine Verkehrswende zu machen
Der wichtigste Anreiz dürfte aber das Gehalt sein, sagt Andreas Knie, Mobilitätsexperte am Berliner Wissenschaftszentrum für Sozialforschung. „Der Fachkräftemangel bei den Verkehrsverbünden ist hausgemacht“, sagt er. Die Fahrer würden schlichtweg zu schlecht bezahlt. Bei der VAG verdienen Fachkräfte im Fahrbetrieb nach der Ausbildung mittlerweile 3.200 Euro monatlich. Es habe zuletzt eine Lohnsteigerung von 15 Prozent gegeben, sagt Pressereferentin Jerosch.
Kurz vor zwölf, Zeit für die Mittagspause. Laxay fährt den Nightliner auf den Bus-Port. Dutzende E-Busse hängen hier an Ladesäulen. Bis 2030 sollen alle Busse der VAG elektrisch sein. Und, wie hat sich Laxay gemacht? Der Ausbilder nickt. „Man merkt ihm an, dass er richtig Lust aufs Fahren hat. Das ist nicht bei allen so.“
Ob Laxay immer hinter dem Steuer sitzen wird, weiß er noch nicht. Er holt parallel sein Abitur am Abendgymnasium nach, vielleicht will er noch studieren. Bei der VAG wechseln ambitionierte Auszubildende wie er später oft an den Schreibtisch.
„Laxay Kapoor, künftiger Chef der Verwaltung“, sagt einer seiner Azubi-Kumpel in der Kantine. Es riecht nach Currywurst und Pommes. Laxay schüttelt über seiner Schale mit Melonen-Feta-Salat den Kopf. „Ich glaube, ganz könnte ich nicht auf das Fahren verzichten. Es würde mir fehlen.“