Was Florenz für die Kunst der Renaissance ist, ist Berlin für Techno. Der Nabel der Welt. Dabei kommt die raue, krasse Maschinenmusik gar nicht aus Berlin. Sie wurde Mitte der 80er-Jahre in Detroit erfunden. Nur: Da tanzte kaum jemand dazu. In Berlin taten das dafür umso mehr. Als die Mauer fiel, kollabierte auch die Verwaltung in Ostberlin. Plötzlich standen eine Menge Gebäude leer. Viele von ihnen entlang des ehemaligen Mauerstreifens. Dort fand die neue Maschinenmusik ihre ideelle Heimat: In Hochbunkern, Flugzeughangars, Fabriketagen, U-Bahn-Klos – irgendwo wurde eigentlich immer getanzt. Manchmal nur für eine Nacht, bei illegalen Raves. Manchmal so lange, dass die Clubs weltweit bekannt wurden.

Zum Mythos wurde der Tresor. Gar nicht unbedingt, weil hier die besten Partys stattfanden, sondern weil es das extremste Gebäude war. Der Club befand sich in einer unterirdischen Stahlkammer mit meterdicken Betonwänden, Türen aus Gitterstäben und verrosteten Schließfächern. Vor dem Zweiten Weltkrieg war die Panzerkammer der Tresorraum der Gobus-Bank. Wenn nicht in dunklen Kellern getanzt wurde, dann auf der Straße.

Zum sinnstiftenden Erlebnis der Techno-Szene wurde die Loveparade auf dem Ku’damm, später auf der Straße des 17. Juni im Tiergarten. Durch solche Events wurde Techno für Berlin zum Markenzeichen. Den Ruf, dass die Stadt irgendwie freier und aufregender ist als andere, verdankt sie den wilden Jahren nach dem Mauerfall. Heute ist aus der Subkultur ist ein Stück Kreativwirtschaft geworden.

Top 10 Berlin-Techno von DJ Tanith, der sich 1991 den Kampfnamen Herr der fiesen Töne in Clubs wie dem Tresor redlich verdiente. Wenn er nicht auflegt, bloggt er hier.

1. Humanoid: „Stakker Humanoid“ (1988)

Wir hatten Acid fast durch, und dann kam DAS. Stakker Humanoid klang so futuristisch und cyberpunkig, dass es einen umblies, egal ob auf der Party oder auf dem Walkman. Das war schon Acid 2.0 oder halt Techno, wie wir später dazu sagten.

2. Jazz & The Brothers Grimm: „XTC“ (Street Party) (1988)

Einer von diesen B-Seiten-Tracks, die viel relevanter werden sollten als der eigentliche Titeltrack der Maxisingle. Wurde von so ziemlich jedem DJ seinerzeit gespielt, und ich möchte mal behaupten, wenn man sich den Titel anschaut, hat er eine nicht unwesentliche Inspiration dazu geliefert, was ein Jahr später Loveparade heißen sollte.

3. 3 Phase feat. Motte: „Der Klang der Familie“ (1992)

Das war quasi die erste Duftmarke, die Berlin international setzte. Berlin war für das Feiern bekannt, aber in Sachen eigener Produktionen hoffnungslos hintendran. Das änderte dieser Track, der sogar nach UK (Mute) und Detroit (Transmat) lizenziert und geremixt wurde.

4. X-101: „Sonic Destroyer“ (1991)

Kein Track ist so Tresor wie dieser. Er kam so ziemlich zur Eröffnung des Tresor 1991 heraus, passte perfekt in das Bunkerambiente des alten Wertheim-Schließfachkellers und war seitdem der wohl meistgespielte Track dort unten.

5. Techno Bert: „Neue Dimensionen“ (1990)

Es war in den Anfangstagen von Techno ja nicht nur laut und krachig. Auf den After-Hours in Locations wie dem Walfisch durfte es auch mal vergleichsweise lieblich und nett sein, und so kam es, dass dieser frühe Mash-up aus Human League’s „Being Boiled“ und Souxie and the Banshee’s „Happy House“ zur After-Hour-Hymne wurde.

6. Force Mass Motion: „Explosion“ (1992)

Die englische Breakbeat-Begeisterung kam hierzulande nicht ganz so an, diese Mischvariante tat es jedoch und motivierte in Folge ungezählt viele Jugendliche, mittels Trackerprogrammen ihrem C64-Computer Töne zu entlocken.

7. T99: „Anasthasia“ (1991)

Der Siegeszug des dramatischen Wagnertechno war nur von kurzer Dauer, dafür aber umso nachhaltiger, lässt dieses Stück doch schon das, was später unter Gabber bekannt wurde, halbwegs vorausahnen.

8. Underground Resistance: „Living for the night“ (Kevin Saunderson mix) (1991)

Nicht der Sound, den man von Underground Resistance erwarten würde, und nicht nur vom Tracktitel her ein Statement. Dieses Vocalstück steht für die Aufbruchsphase, als House und Techno noch recht nah beisammen waren.

9. Manuel Göttsching: E2-E4 (1984)

Dieser Track war eigentlich Vortechno, sollte aber als Sueno Latino vom gleichnamigen italienischen Act 1988 als Clubtrack seine Wiederauferstehung feiern und sogar in manchen offiziellen Charts auftauchen. Später auch ein ständiger Begleiter in den Ambientsets der heute vergessenen Chillout Rooms

10. 808 State: „Pacific State“ (1989)

Dieser Track verkörpert wie kein anderer das Berlin, in das man nach einer ausschweifenden Clubnacht trat und beim Verlassen des Dunkels im Hellen alles Vorherige hinter sich ließ.