Drei Tage wach wollen die Ingolstädter Ende April sein, und der eine oder andere vielleicht sogar: drei Tage voll. Eigens gebrautes Jubiläumsbier wird gereicht werden, ausgeschenkt in Jubiläumskrügen mit dem Schriftband „500 Jahre Reinheitsgebot Ingolstadt“. Mit dem „Fest zum Reinen Bier“ plant die oberbayerische Stadt ein Prosit auf den Gerstensaft selbst, ein wahres Trinkfestival zur Huldigung des Reinheitsgebots, das – so die Legende – vor 500 Jahren, am 23. April 1516, genau hier verkündet wurde.
„Ganz besonders wollen wir, daß forthin allenthalben in unseren Städten, Märkten und auf dem Lande zu keinem Bier mehr Stücke als allein Gersten, Hopfen und Wasser verwendet und gebraucht werden sollen“ – so steht es in der Verordnung, die unter Wilhelm IV., dem damaligen Herzog von Bayern, erlassen wurde. Und so gilt es mehr oder weniger immer noch, wenn heute Bier gebraut wird. Lediglich die Hefe wurde später noch hinzugemogelt und die Gerste aus dem Originaltext in „Gerstenmalz“ umgewandelt – das sei mit der Perfektionierung des Brauprozesses über die Jahre so entstanden, heißt es beim Bayerischen Brauerbund. Nicht ohne Stolz, denn das bayerische Reinheitsgebot von 1516 hat sich durchgesetzt gegen weitere Reinheitsgebote etwa aus Thüringen oder aus Franken, die zum Teil sogar noch früher verordnet wurden.
Seitdem gilt: Hopfen und Malz, Gott erhalt’s – und die Tatsache, dass dieser Satz meist lallend rezitiert wird, sagt viel aus über den Mythos des Reinheitsgebots: „Bayerisches Bier besteht aus vier natürlichen Zutaten, das ist eine Botschaft, die wir mit diesem Rezept einfach kommunizieren können“, sagt Lothar Ebbertz, der Chef des Bayerischen Brauerbunds.
Sein Verband setzt sich für bayerische Brauereien ein, die „reines“ Bier verkaufen. Unter denen sind große Player wie etwa Paulaner, Hacker-Pschorr oder Löwenbräu (Anheuser-Busch InBev). Für sie ist das Reinheitsgebot eine Art „Trademark“. Und Lothar Ebbertz so etwas wie der Intendant der anstehenden Bier-Festspiele. „500 Jahre Reinheitsgebot, das ist für die bayerische Brauwirtschaft etwas Großartiges“, sagt Ebbertz. „Das haben die Menschen verstanden, und sie feiern gerne mit uns!“
In der Brauerszene gärt es. Spätestens seitdem Craft-Biere auch deutsche Kneipentresen erobert haben, ist eine Art Glaubenskrieg ausgebrochen zwischen Brauern.
Doch nicht alle haben das vor. In der Brauerszene gärt es. Spätestens seitdem Craft-Biere, gebraut nach amerikanischem Vorbild, in ihrem Siegeszug auch deutsche Kneipentresen erobert haben, ist eine Art Glaubenskrieg ausgebrochen zwischen Brauern.
Die Konfliktlinie verläuft zumeist zwischen alteingesessenen Großbrauereien, die das Reinheitsgebot vor sich hertragen wie eine Monstranz, und denen, die experimentieren wollen: junge Brauer, die Biere herstellen mit Namen wie „India Pale Ale“, „Porter“ oder „Stout“. Die exotischer schmecken, nach Kräutern, Früchten oder Honig.
Ausgerechnet letzteres – der Honig – macht Christian Zwanzger Probleme. Er betreibt eine kleine Brauerei im fränkischen Uelfeld, und das bereits in der zwölften Generation. Vor einiger Zeit hat er Honig-Bier hergestellt, das er aber beinahe zynisch „mein Nicht-Honig-Bier“ nennt. Der Grund: Weil im Reinheitsgebot von Honig nichts steht, darf Christian Zwanzgers Honig-Bier nicht Bier heißen. „Rein rechtlich ist es ein Bier-Mischgetränk mit Honig, weil ich in ein fertiges Bier Honig reinmische.“
Viele Craft-Biere werden in Deutschland als Brauspezialität oder als „Biermischgetränk“ verkauft, und die meisten Brauer nehmen schulterzuckend in Kauf, dass sie das Label „Reinheitsgebot“ für ihr Gebräu eben nicht beanspruchen können. Das Problem: Immer wieder kommt es vor, dass solches Craft-Bier in Deutschland nicht einmal verkauft werden darf.
So wie das „Milk Stout“ der bayerischen Craft-Brauerei „Camba Bavaria“. Dort entschieden Lebensmittelkontrolleure, dass das nach traditionell britischem Stil gebraute Milk Stout kein Bier sei – da neben den üblichen Zutaten auch Milchzucker verwendet wird. Weil der Konsument zudem meinen könne, dass sich „Milch“ in diesem Getränk befindet, sei auch die Bezeichnung „Biermischgetränk“ irreführend. Jetzt darf es gar nicht in den Handel gehen.
In Deutschland regelt das „Vorläufige Biergesetz“, was Bier ist und was nicht. Das „Vorläufige Biergesetz“ ist das Paragraf gewordene Reinheitsgebot. Es stammt aus dem Jahr 1993, ist also weitaus jünger als das Schriftstück aus Ingolstadt, dessen runder Geburtstag jetzt gefeiert wird.
Das stört Lothar Ebbertz vom Brauerbund nicht, im Gegenteil: Er vergleicht die Rolle des Reinheitsgebots für das „Vorläufige Biergesetz“ gerne mit jener der Zehn Gebote aus der Bibel, die ja auch nicht wortwörtlich im Strafgesetzbuch stünden – symbolisch, aber essenziell. Natürlich sei das Label „Reinheitsgebot“ eine durchaus „plakative Darstellung“ dessen, was 1516 beschlossen wurde. Die verkauft sich aber gut, seit Jahren schon, und daran möchten die großen Brauereien nichts ändern. „Wenn ich schaue, was für Exporterfolge wir haben, das beste Absatzergebnis im vergangenen Jahr, dann sicherlich nicht, weil an reinem Bier so viel auszusetzen ist“, sagt Ebbertz. Craft-Bier sei eben nur ein Nischenprodukt. Bayerisches Bier nach Reinheitsgebot ist eine Marke. „Davon abzuweichen wäre ein Fehler“, sagt Ebbertz.
Er vergleicht die Rolle des Reinheitsgebots für das „Vorläufige Biergesetz“ gerne mit jener der Zehn Gebote aus der Bibel.
Dass die großen Brauereien also im Jubiläumsjahr neben den Krügen vor allem ihren Markenkern hochleben lassen, ist aus einem Grund nachvollziehbar: Der Bierabsatz geht hierzulande seit Jahren zurück – die Deutschen trinken einfach weniger. Der Export jedoch nimmt tendenziell zu, allerdings müssen deutsche Brauereien auf dem internationalen Markt gegen globale Massenbrauereien wie Miller oder Heineken antreten.
Craft-Bier hingegen ist auf dem Vormarsch und vor allem für kleine Brauereien wie die von Christian Zwanzger rentabel, die sonst nur kleine Mengen brauen. Zwanzger beteuert, dass sein Bier trotz Honig „rein“ sei: „Das Bier ist rein, und der Honig kommt von einem Imker aus der Gegend. Es ist reiner als manch anderes Getränk und sicherlich reiner als manch anderes Bier.“
Das hört man oft, wenn man mit kleinen Brauern spricht oder etwa dem Bier-Scout und -Blogger Norbert Krines. Er bringt unzählige Beispiele, die zeigen, dass reines Bier in der Regel sogar mit Filtrationshilfen, Stabilisatoren, manchmal sogar mit dem „Farbstoff“ Röstmalzbier behandelt wird: „Nach meinem Empfinden hat das mit Reinheit nichts zu tun“, sagt er. Das Reinheitsgebot schütze Großbrauereien und sei eigentlich nur ein Marketingtool. Norbert Krines nennt das „Reinheitsgebots-Romantik“. Lederhose, Schafkopf, Bier. Er fordert eine Reform.
Norbert Krines nennt das „Reinheitsgebots-Romantik“. Lederhose, Schafkopf, Bier. Er fordert eine Reform.
Auch Christian Zwanzger hätte gerne mehr Rechtssicherheit für seine Braukunst und hofft auf eine Debatte im Rahmen der Reinheitsgebots-Feierlichkeiten: „Ich muss es nicht als Bier bezeichnen, ich kann es auch unter einem anderen Namen vertreiben. Aber wir brauchen einen Namen dafür und nicht irgendein generelles Verbot.“
Während Christian Zwanzger sein Honig-Bier nur in kleinen Mengen auf Messen und auf Festivals verkauft, fährt bereits seit Monaten eine Sonderlok der Deutschen Bahn durch Bayern. Mit Reinheitsgebots-Aufdruck: Hopfendolden, Bayernfahne, Bier mit Schaum. Das „Bierticket“ ab München oder Nürnberg und retour nach Ingolstadt gibt es nämlich während des ganzen Jahres ermäßigt: zum Jubiläumsjahrpreis von 20,16 Euro. Bei so viel bierseliger Scherzlaune scheint die Frage nach der Notwendigkeit einer Reform an den Brauerbund fast überflüssig. „Wenn die Nachfrage enorm wäre, dann würde das Gesetz darüber nachdenken“, sagt Lothar Ebbertz. Das sei sie aber nicht. Er selbst freut sich auf einen Schluck klassisch gebrautes, „reines“ Bier bei der Eröffnung des Festjahres demnächst in Ingolstadt. Dem Reinheitsgebot zum Wohl.