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„Die Bäcker gehen, die Türken kommen“

Über die Dörfer mit unserem Reporter Bartholomäus von Laffert. Teil 3: Trogen, Franken

  • 5 Min.

Sie heißt Aline, sitzt in der Regionalbahn auf dem Sitz gegenüber und weiß alles über Bäume. Wie bunt eingefärbte Rattenschwänze hängen ihr die Dreadlocks über die Schultern. Sie trägt Stricksocken, Cordhose und eine Jacke aus neongelbem Fleece. Sie erzählt, dass sie in einer Achter-WG in Niederbayern auf dem Dorf lebt, dass sie in Sommernächten in Hängematten schläft und dass sie morgen von Nürnberg aus nach Vilnius fliegen wird, um für ihre Bachelorarbeit in Landschaftsarchitektur über litauische Wälder zu forschen. Sie erzählt, dass artengeschützte Zauneidechsen im Kiesbett der Bahn leben und dass es die Deutsche Bahn jedes Jahr Millionen kostet, die Zauneidechsen umzusiedeln. Bald drückt sie mir ein Baumbuch in die Hand, mit dem ich im Vorbeifahren Arten bestimmen soll. Noch als ich abends auf der Suche nach Nahrung durch das oberfränkische Kaff Trogen laufe, muss ich an die „Bastard Schwarz Pappel“ denken.

Dicht an dicht quetschen sich die Menschen in den Dönerladen im Schatten der Kirche, an dem sich die Dorfgeister scheiden. Bevor sie alt und greis wurde, backte die Bäckerin hier viele Jahrzehnte lang Brot, seit zwei Wochen nun ist der Türke drin. Das sagen sie hier wirklich so: Türke drin, wie Wurm drin. Eine frustrierte Mittfünfzigerin schnaubt beim Vorbeilaufen: „Die Bäcker gehen, die Türken kommen, so geht’s mit Deutschland danieder.“ Abseits vom Dorf, am Endes des Feldwegs unter der pink untergehenden Sonne, steht eine kleine Holzhütte, in deren Fenster neonrot ein OPEN-Schild flackert. Stattliche Männer, die davon angezogen werden wie Mücken vom Licht. Kein Kreuz über der Tür, stattdessen ein Hausaltar, dekoriert mit Fußballschals und -wimpeln. Dort, wo in anderen Landkapellen Heiligenbilder hängen, ist ein Fernseher.

Davor stehen zwei Dutzend Männer, die zum Fußballspiel grölende Männergeräusche machen und den Fernseher beschimpfen, als würde das irgendwie helfen. Nach dem Spiel trotten mein neuer Freund Flo und ich nebeneinanderher über den Feldweg, beschienen vom vollen weißen Mond, zurück ins Dorf. Zum Abschied umarmen wir uns kurz. „Weißt du“, sagt Flo noch, bevor er in die Hofeinfahrt einbiegt, „das, was du machst, wäre bei uns nicht möglich. Einfach ausbrechen aus der festen Struktur und quer durchs Land ...“ Dann dreht er sich um und tritt aus dem Schein der Laterne, die aussieht, als stünde sie am Set von „Singin’ in the Rain“

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