Eine israelische Freundin von mir liebt deutsche Zahnpasta und deutsche Schokolade. Als ich letztes Jahr nach Berlin fuhr, bat sie mich, ihr welche mitzubringen. Mein Rückflug sollte an einem Montagmorgen starten, und ich hatte vor, diese Besorgungen am Sonntag noch zu erledigen – fest davon ausgehend, dass Drogerien und Supermärkte an Sonntagen geöffnet haben würden. Gilt Berlin nicht als die säkulare Hauptstadt Europas?

„Auch in vielen europäischen Städten gibt es eine Art Schabbat, nur wird er dort an Sonntagen begangen“

„Drogerien und Supermärkte haben an Sonntagen geschlossen“, erklärte mir ein deutscher Freund zu meiner Überraschung. Ich musste mit leeren Händen nach Israel zurückkehren.

Ich stellte also fest, dass der Schabbat, als ein biblisch begründeter Tag der Ruhe und der Erholung, nicht nur vom israelischen Staat gesetzlich durchgesetzt wird (wo er übrigens am Samstag zelebriert wird – dem siebten Tag, an dem Gott nach der Erschaffung der Welt einen Tag ruhte). Auch in vielen europäischen Städten gibt es eine Art Schabbat, nur wird er dort an Sonntagen begangen. Geschäfte bleiben – von Ausnahmen abgesehen – auch hier geschlossen.

Wie in Tel Aviv haben dann hauptsächlich Cafés, Restaurants und ein paar Minimärkte geöffnet. Zumindest fahren in Deutschland an Sonntagen noch die öffentlichen Verkehrsmittel. In Israel ist man in vielen Städten von freitagabends bis samstagabends sogar auf seine eigenen Beine angewiesen, weil der öffentliche Nahverkehr zum Erliegen kommt.

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Orit Araf vor einem Späti

Kaufland Deutschland: Orit ist in Los Angeles aufgewachsen, wo man Sonntags gerne in den Supermarkt geht. In Berlin kann sie an dann nur „Spätis“ das Nötigste besorgen

Ich muss schon sagen: Ich war ziemlich enttäuscht, feststellen zu müssen, dass mir in Deutschland gar nichts anderes übrig bleibt, als den Sonntag zu einem Tag der Freizeit und des Müßiggangs zu machen – anstatt shoppen zu gehen und Besorgungen zu machen.

Von Berlin war für mich auch deshalb eine Anziehungskraft ausgegangen, weil ich hier eine stärkere Trennung von Staat und Religion erwartet hatte. Wenngleich mir natürlich bewusst war, dass der Schabbat auch in Europa eine kulturelle Tradition ausgebildet hat.

„Die Straßen sind ruhig, die Menschen reden mal nicht über die Arbeit“

Obwohl es auch in Israel und besonders im säkularen Tel Aviv hitzige Debatten über die Schabbat-Gesetze gibt, wissen nicht wenige Israelis – säkulare und praktizierende Juden gleichermaßen – den erzwungenen Schabbat zu schätzen. Die Straßen sind ruhig, die Menschen reden mal nicht über die Arbeit. Alles, was die Menschen wirklich tun können, ist: in die Synagoge gehen – wenn das ihr Ding ist – , Zeit mit ihrer Familie verbringen, essen, lesen, Fernsehen gucken oder am Strand liegen (und vielleicht etwas Arbeit mit dorthin schmuggeln).

In der Tat ist ein jüdischer Tag der Ruhe eine hervorragende Gelegenheit, um Frieden zu fördern. An Samstagen sind die Restaurants und Läden in den arabischen Städten Israels, etwa Nazareth und Tira, voll mit Juden. Aus der Tradition heraus, dass in jüdischen Haushalten bis Freitagabend alle Hausarbeiten erledigt sein müssen, aber auch aus Respekt vor der muslimisch-arabischen Bevölkerung beginnt Israels zweitägiges Wochenende am Freitag. Für die Moslems ist der Freitag der Schabbat, hier können sie ihren Tag freinehmen.

„Ehrlich gesagt funktioniert das ganz gut“, sagte mein arabischer Freund Nabil aus Jerusalem. „Viele Juden, gerade in Israel, halten den Schabbat ein. Die Araber übernehmen solange die notwendigen Tätigkeiten und werden dafür gut bezahlt. Es gibt regelmäßig ein Gerangel der Araber darum, wer die Schabbat-Schichten übernehmen darf.“

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Orit Araf trinkt Bier in der Tram

In Israel kommen am Schabbat sogar die öffentlichen Verkehrsmittel zum Stehen. Immerhin die fahren in Deutschland an Sonntagen weiter – und in Berlin gönnt man sich in Bus und Bahn auch gerne mal ein Bier

Der Schabbat ist zentral für die jüdische Tradition, eine Erinnerung daran, dass wir Juden nicht länger als Sklaven in Ägypten leben. In den modernen Zeiten tut uns allen ein Tag „unplugged“ ganz gut, speziell seitdem wir Sklaven unserer Smartphones geworden sind. Egal an welchem Tag es zelebriert wird, erinnert uns dieses erste Wochenende der Welt daran, dass wir arbeiten, um zu leben. Was aber passiert, wenn dieser Tag der Ruhe rechtlich durchgesetzt wird mit Strafzahlungen im Falle von Verstößen? Wird er selbst dann eine Form der Sklaverei? 

„In den modernen Zeiten tut uns allen ein Tag unplugged ganz gut, speziell seitdem wir Sklaven unserer Smartphones geworden sind“

Manche Leute argumentieren, dass ein nationaler Tag der Erholung gesund ist für die Gesellschaft. Er fördert ein gutes Familienleben, nationalen Zusammenhalt und spirituelle Einkehr und bewahrt uns so davor, zu einem 24/7-Workaholic zu werden. 

Und doch ziehe ich immer noch das amerikanische Modell vor, bei dem nur die Büros an Sonntagen geschlossen bleiben. In Los Angeles bestimme ich selbst über meine Zeitgestaltung, und es steht mir an jedem Tag frei, ob ich arbeite, einkaufe oder spiele. Mein Trost ist nur, dass ich kein orthodoxer Jude bin, der in Berlin lebt. Dann könnte ich Schokolade und Zahnpasta gerade mal an fünf Tagen einkaufen: von montags bis freitags.

Fotos: Hahn&Hartung