Da steht er also, der 3-D-Drucker, und für ein Gerät, das angeblich die Welt verändern wird, das gesellschaftliche Umwälzungen hervorrufen soll, größer als das Automobil und das Internet zusammen, sieht er eigentlich ziemlich unspektakulär aus. Eher wie das verunglückte Experiment eines verrückten Heimwerkers – eine Mischung aus Bandsäge, Gardinenstangen und, nun ja, eben einem Drucker. Noch ein paar Schläuche winden sich andeutungsreich um das Gerät. Die Zukunft, so viel sei gesagt, riecht nach verschmortem Plastik. Denn Plastik oder, genauer, Acrylnitril-Butadien-Styrol-Copolymerisat, ist der Stoff, mit dem der Drucker gefüttert werden will. Es ist das gleiche Material, aus dem auch Lego-Bausteine gepresst werden. Der Drucker schmilzt den Kunststoff bei knapp 250 °C und überträgt das bis dahin nur virtuell existierende Objekt Schicht für Schicht auf die Plastikplatte. „Atoms are the new bits“, so lautet die Parole.

Die Einsatzmöglichkeiten der Technologie sind prinzipiell endlos. Denn genau wie ein Papierdrucker etwa mit Tintenkartuschen oder Tonerpulver befüllt wird, sind seine 3-D-Brüder nicht auf Plastik beschränkt. Wenn die entsprechenden Mittel zur Verfügung stehen, sind Material und Druckauflösung beinahe beliebig wandelbar. So gut wie alles ist druckbar, auch Metall, Porzellan oder Zucker. Und so wird in den Labors des Wake Forest Institute for Regenerative Medicine in North Carolina bereits mit den Druckmustern menschlicher Nieren experimentiert. Einer 83-jährigen Belgierin wurde im Juni 2011 ein künstlicher Unterkiefer aus Titanpulver ausgedruckt – einzelne Zähne sind schon längst kein Problem mehr –, und der italienische Ingenieur Enrico Dini lädt Sand und Bindemittel in seine zimmergroße Druckerversion, woraus dann ein Häuschen entsteht, das ein bisschen an die Sagrada Familia, die Kathedrale in Barcelona, erinnert.

Doch leider gibt es auch in den Reihen der klugen Köpfe Idioten: Eine wachsende Gemeinde in den USA freut sich schon, dass sie mittels 3-D-Druck die wohl bald verschärften Waffengesetze umgehen kann. Ein Sturmgewehrteil und ein 30 Schuss fassendes Magazin wurden schon erfolgreich gedruckt. In der eigenen Werkstatt ist man jedoch zunächst auf Plastik beschränkt. Waren die ersten Maschinen, die sich der Heimanwender leisten konnte, noch hässliche Klötze, die aus Sperrholz-Sets selbst zusammengebaut werden mussten, hat die zweite und dritte Generation mittlerweile eine gewisse Nutzerfreundlichkeit. Auf Websites wie Thingiverse.com oder Shapeways.com kann man sich durch Tausende 3-D-Modelle klicken, genauso wie man es auch bei Amazon oder Ebay tun würde, nur sind die Vorlagen für viele Produkte umsonst. Hat man einen Entwurf ausgewählt, lädt man ihn auf eine Speicherkarte, wie sie auch in Digitalkameras benutzt wird, steckt sie in den Drucker, und die Maschine legt los. Es gibt Spielzeug, Schmuck, Küchenutensilien und Geschirr, Nützliches und Tand.

Für Kleinteile rennen wir doch nicht mehr in den Baumarkt – die drucken wir

Die Druckdauer richtet sich nach der Größe und der Form des Objekts – für eine zigarettenschachtelgroße Vase benötigt das Testgerät eine knappe Stunde. Man kann natürlich – je nach Bedarf – auch eigene Dinge entwerfen. Ist man früher fluchend in den Baumarkt gerannt, lässt sich heutzutage ein Ring für den Duschvorhang oder ein Deckel für die Batterieabdeckung der Fernbedienung mit kostenloser Design-Software selbst entwerfen. Die 3-D-Drucker-Gemeinde hat, so viel wird schnell klar, ein großes Sendungsbewusstsein. Hier geht es nicht nur um ein bisschen buntes Plastik. Sondern um einen Weg zur Selbstermächtigung des Konsumenten. Sicher ist, dass der 3-D-Druck unseren Umgang mit der Produktwelt verändern wird. Zieht man den Vergleich mit der IT-Welt, befindet sich die Technologie gerade mal auf dem Niveau der ersten Heimcomputer, die in den späten 1970er-Jahren entwickelt wurden. Genau wie nach den Umwälzungen durch das Internet werden auch durch die Erschließung der dritten Dimension neue Gesetze und Richtlinien erlassen werden, die die Technologie regulieren; Industrien werden sterben oder sich neu erfinden müssen. Und auch der Streit um Urheberrechte wird uns weiter begleiten. Schmuck kann zum Beispiel jetzt so leicht raubkopiert werden wie eine CD.

Die digitale und analoge Welt – bislang zwei streng voneinander getrennte Sphären – werden schon bald fließend ineinander übergehen. Ein großer Antreiber dieser Entwicklung ist die in der Dienstleistungsgesellschaft vermeintlich so veraltete fertigende Industrie aus Deutschland, die durch die IT-Technologie revolutioniert wird. Diese Veränderungen geschehen nicht in den Garagen und Werkstätten der 3-D-Druck-Gemeinde, sondern in den Fabrikhallen. Das relativ ungelenke Schlagwort Industrie 4.0 oder auch Smart Factory bezeichnet ein Konzept, das das Beste aus beiden Welten zusammenbringen soll. Die Fabrik der Zukunft ist vollständig vernetzt, ja beinahe intelligent. Jedes einzelne Produkt trägt einen Mini-Funkchip in sich und wird so zu einem winzigen Informationsknoten im „Internet der Dinge“, in dem nicht mehr nur Personen miteinander kommunizieren, sondern eben Objekte. Die rollen nicht mehr stupide vom Fließband, sondern werden bis zuletzt auf jeden Kundenwunsch zugeschnitten.

Das Industrial Internet macht aus den mächtigen, aber auch schwerfälligen Maschinenparks der analogen Welt eine eigene, dezentral gesteuerte Intelligenz. Die Massenfertigung war bislang die letztgültige Antwort der Großindustrie, um halbwegs kosteneffizient zu produzieren. Schon bald sollen nach dem Wunsch der Industrie-4.0-Vorreiter wie Siemens oder Bosch die unfertigen Werkstücke mit den Maschinen kommunizieren: Plastikwürfel sagen den CNC-Fräsen selbstständig, ob aus ihnen ein Schlüsselanhänger oder eine Handyhülle werden soll, und Karosserieteile weisen die Roboter an, ob sie möglichst schnell oder möglichst energiesparend bearbeitet werden sollen, je nach Kapazität oder Nachfrage. Bauteile werden in Zukunft in kleinen Stückzahlen und in Echtzeit produziert. Das spart Rohstoffe und Energie, die Roboter fertigen nicht für die Halde, sondern werden erst zum Leben erweckt, wenn irgendwo eine Bestellung aufgegeben wird. So sinken die Kosten, die Herstellung billiger Massenware müsste bald nicht mehr in die Weltfabrik China ausgelagert werden, sondern könnte wieder in Europa stattfinden, was wiederum Transportkosten spart.

Experten sind sich sicher, dass man durch die intelligente Industrie Milliardenbeträge einsparen kann. Klar, dass dabei auch so mancher Arbeitsplatz auf der Strecke bleiben wird. Und will man das? Bevor das Netz in die echte Welt vordringen kann, müssen also noch einige Fragen beantwortet werden. Sicher ist nur: Die Wertschöpfungsketten, die unsere Waren von der Fabrik bis ins Supermarktregal durchlaufen, werden neu gestaltet, wenn das intelligente Produkt seine Herkunft ebenso kennt wie seinen Zielort und seinen Zweck. Ob es sich dabei um eine Jeans, Motorenteile oder Tiefkühlkost handelt, ist dann eigentlich egal.