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Im Würgegriff des Regimes

„Die Saat des heiligen Feigenbaums“ erzählt von zwei iranischen Schwestern, die in die „Frau, Leben, Freiheit“-Demonstrationen geraten. Der Film wurde heimlich gedreht und geht 2025 für Deutschland ins Oscarrennen

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Mahsa Rostami, Soheila Golestani und Setareh Maleki in DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS

Worum geht es?

„Die Saat des heiligen Feigenbaums“ spielt 2022 in Teheran. Die Schwestern Rezvan (Mahsa Rostami) und Sana (Setareh Maleki) verfolgen auf ihren Handys die „Frau, Leben, Freiheit“-Proteste, die sich, nachdem die kurdischstämmige Iranerin Jina Mahsa Amini in Polizeigewahrsam gestorben ist, auf das ganze Land ausbreiten. Die Schwestern sehnen sich nach einem Leben in Freiheit, das ihnen als Frauen verwehrt bleibt. Ihre Eltern, Iman (Misagh Zareh) und Najmeh (Soheila Golestani), sind strenggläubig und regimetreu. Iman ist gerade zum Untersuchungsrichter am Revolutionsgericht befördert worden, jeden Tag muss er nun Urteile, auch Todesurteile, gegen Regierungskritiker:innen unterschreiben, weil seine Vorgesetzten das von ihm verlangen. Dass er das ohne Prüfung tun soll, damit hadert auch er als Regimeunterstützer. Von seinen Töchtern verlangt er trotzdem Gehorsam, damit sein Job und die Aussicht auf eine größere Wohnung nicht gefährdet werden: Ohne Hijab dürfen die Schwestern die Wohnung nicht mehr verlassen, in den sozialen Medien keine Fotos von sich posten, von „revolutionären“ Freund:innen sollen sie sich fernhalten. Als Imans Dienstwaffe verschwindet, verdächtigt er seine Töchter und Ehefrau. Er fährt mit ihnen in sein abgelegenes Heimatdorf, wo die Situation eskaliert.

Worum geht’s wirklich?

Um den Riss, der sich durch Rezvans und Sanas Familie zieht, genau wie durch die iranische Gesellschaft – und um die Gewalt, mit der Staats- und Familienoberhäupter ihre Macht durchsetzen. „Das derzeitige Regime im Iran kann sich nur durch Gewalt gegen das eigene Volk an der Macht halten“, sagt der Drehbuchautor und Regisseur Mohammad Rasoulof. Die Schusswaffe im Film sei eine Metapher für Macht.

Wie nah ist das an der Realität?

Die „Frau, Leben, Freiheit“-Proteste gelten als die größten landesweiten Demonstrationen für Frauenrechte in der Geschichte des Irans. Im Film werden immer wieder reale, teilweise sehr brutale Aufnahmen eingeblendet. Auf Demonstrant:innen wurde unter anderem mit Schrotkugeln geschossen, Protestierende wurden hingerichtet.

Soheila Golestani und Misagh Zareh in DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS
Najmeh (Soheila Golestani) und Iman (Misagh Zareh) sind strenggläubig und regimetreu. Aber auch sie bringen die Proteste in eine Ausnahmesituation

Wer erzählt hier – und wie?

Der Drehbuchautor und Regisseur Mohammad Rasoulof kritisierte in der Vergangenheit immer wieder das Regime im Iran und hat mit seinen früheren Filmen bereits gegen Zensurvorgaben verstoßen. Von Sommer 2022 bis Frühjahr 2023 war er im Teheraner Evin-Gefängnis inhaftiert, das als besonders brutal gilt. Auf die Idee zum Film brachte ihn dort ein leitender Angestellter, der ihm von Gewissensbissen und Suizidgedanken erzählte. Nach seiner Freilassung drehte Rasoulof „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ heimlich, mit einem kleinen Team und minimaler technischer Ausstattung. Dennoch hatten sie während der Dreharbeiten ständig Angst, verhaftet zu werden, und mussten die Dreharbeiten immer wieder unterbrechen. Aufgrund der Umstände spielt der Film überwiegend in Innenräumen. Es ist ein leiser Film geworden, über größere Strecken hinweg wird kein Wort gesprochen, gleichzeitig ist man immer ganz nah an den beiden Schwestern und ihrem Erleben dran. Auch dadurch entwickelt die Geschichte – trotz der Länge von fast drei Stunden – einen starken Sog, der sich zum Schluss in einer spannenden Verfolgungsjagd auflöst.

Wie ging es nach den Dreharbeiten weiter?

Weil Rasoulof erneut verurteilt wurde, dieses Mal zu einer achtjährigen Haftstrafe, floh er im Frühjahr 2024 aus dem Iran. Rasoulofs Reisepass war schon seit 2017 beschlagnahmt worden, die Grenze überquerte er deshalb zu Fuß. Insgesamt war er 28 Tage unterwegs, bis er in Deutschland ankam, wo er Asyl beantragte. Einige Mitwirkende flohen ebenfalls, andere werden im Iran von den Behörden bedroht. Das Filmmaterial von „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ musste zuvor auch aus dem Land geschmuggelt werden, die Postproduktion fand in Deutschland statt. Der Film ist eine deutsch-französische Koproduktion und wurde größtenteils von Rasoulofs Hamburger Firma Run Way Pictures produziert. Im Sommer wurde bekannt, dass „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ 2025 Deutschlands Oscarbeitrag in der Kategorie „Bester internationaler Film“ sein wird, mittlerweile hat er es bis auf die Shortlist geschafft. Außerdem ist die Produktion in der Kategorie „Bester nicht englischsprachiger Film“ bei den Golden Globes nominiert.

Gut zu wissen

Am Anfang des Films wird eingeblendet, was es mit der Feigenbaum-Referenz auf sich hat: Rasoulof ließ sich demnach für den Film von einer Feigenart inspirieren. Deren ungewöhnliche Fortpflanzung könnte man als sinnbildlich für das theokratische Regime im Iran, einem selbst ernannten Gottesstaat, interpretieren: Die Samen des Baums sind laut den Filmemacher:innen in Vogelkot enthalten, fallen auf andere Bäume und bilden Luftwurzeln, die bis zum Boden wachsen. Die Äste des Feigenbaums wickeln sich schließlich um den Wirtsbaum und erdrosseln ihn – so wie das iranische Regime seine Macht erhält, indem es sein Volk unterdrückt und lieber tötet, als ihm Freiheit zu gewähren.

„Die Saat des heiligen Feigenbaums“ läuft ab dem 26. Dezember im Kino. 

Fotos: Films Boutique / Alamode Film

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.