„Frau, Leben, Freiheit“
Dieser Slogan kommt aus der kurdischen Arbeiterbewegung und wurde nun in Iran zum Motto der Proteste
Schon mit acht Jahren war ich ein Mensch zweiter Klasse. Man verbot mir, mit gleichaltrigen Jungen auf der Straße zu spielen, weil ich ein Mädchen war. In der Schule zwang man mich in eine Uniform mit Kopftuch – später dann in eine Vollverschleierung.
Ich komme aus einer sehr konservativ-religiösen Stadt, wo die Gesetze besonders eifrig befolgt werden. Doch auch hier gibt es Familien, die für ihre Töchter einen freieren Weg suchen, Familien wie meine. Ich habe als Mädchen Karate gemacht und Tennis gespielt, während vielen anderen jungen Frauen um mich herum verboten wurde, Sport zu treiben – weil Sport ihre Jungfräulichkeit beschädigen könnte.
„Frauen dürfen nicht öffentlich singen oder ohne die Erlaubnis ihres Mannes verreisen“
Mit 18 hatte ich einen Freund. Bei jedem Treffen hatten wir Angst, von der Sittenpolizei aufgegriffen zu werden. Denn tagtäglich drangsalieren die Sittenwächter iranische Frauen und Mädchen und verhören iranische Männer, während die Kinder von Regierungsbeamten in den sozialen Netzwerken ihr luxuriöses Leben außerhalb von Iran zur Schau stellen – finanziert durch Geld aus den Taschen der iranischen Bevölkerung.
Mein Mann ist im selben patriarchalen System aufgewachsen wie ich. Ein System, das Männern beibringt, Frauen ihre Rechte zu verwehren. Frauen dürfen nicht öffentlich singen, sie dürfen ohne die Erlaubnis ihres Mannes nicht verreisen, vor Gericht ist ihre Stimme nur halb so viel wert wie die eines Mannes. Als ich mich an der Universität bewarb, war mein Mann dagegen. Er hatte Angst, dass ich meine Verpflichtungen als Mutter und Ehefrau vernachlässige. Ich studierte dennoch und war plötzlich nicht mehr die isolierte Ehefrau und Mutter.
Die Ermordung von Oppositionellen, Korruption und Bestechlichkeit der politischen Klasse, die Plünderung der Ressourcen, die Förderung terroristischer Aktivitäten im Ausland: Die Bilanz des iranischen Regimes seit der islamischen Revolution von 1979 ist düster. Heute sehen sich viele Menschen in Iran mehr denn je an den Rand gedrängt, auch daher sind die Proteste so groß.
Sie entbrannten im September 2022, als die junge Kurdin Mahsa Amini von der Sittenpolizei verhaftet wurde, weil sie ihr Kopftuch nicht richtig getragen hatte, und in Polizeigewahrsam starb. Die staatlichen Medien behaupteten, sie habe einen Herzinfarkt gehabt, was niemand glaubt. Die Menschen informieren sich im Internet. Der schleichende Zerfall der Islamischen Republik hat auch mit dem Aufkommen der sozialen Medien zu tun.
„Menschen gehen auf die Straße. Sie schubsen den Mullahs ihre Turbane vom Kopf und verbrennen Porträts vom obersten geistlichen Führer des Landes“
Getragen vom Mut und Eifer der jungen Generation, die die aktuellen Proteste maßgeblich vorantreibt und über die sozialen Netzwerke organisiert, legen immer mehr Frauen ihre Kopftücher ab, um ihr Haar nicht länger zum politischen Werkzeug in den Händen des Regimes zu machen. Die Menschen verteilen Flugblätter, bieten Umarmungen auf der Straße an, um Liebe zu verbreiten und Solidarität zu erzeugen.
Die Polizei antwortet darauf mit zunehmender Gewalt. Doch jedes Mal, wenn Kinder und junge Menschen verschleppt oder getötet werden, wächst die öffentliche Wut, und mehr Menschen gehen auf die Straße. Sie schubsen den Mullahs ihre Turbane vom Kopf und verbrennen Porträts vom obersten geistlichen Führer des Landes, Ali Khamenei. Die Regierung hat Angst vor den Menschen. Ich kann es an den nervösen Blicken der Polizisten sehen. Bei den Demos trugen viele von ihnen Masken, um nicht erkannt zu werden, als hätten sie Sorge, eines Tages vor den Leuten, die sie durch die Straßen treiben, Rechenschaft ablegen zu müssen. Dieser Aufstand ist kein Protest mehr, es ist der Beginn einer wahren Revolution.
Es ist eine Flut, die von jugendlichem Mut inspiriert ist – und die nicht abebben wird, bis dieses System untergeht. Vor meinen Augen sehe ich die helle Zukunft Irans in der Zeit nach der Islamischen Republik. Ich sehe den Tag, an dem die Menschen ihr Schicksal in einer liberalen Demokratie und durch faire und freie Wahlen selbst bestimmen. Ich sehe ein Land, in dem Frauen und Kinder wie Menschen behandelt werden. Durch das Blut, das vergossen wird, durch die Aktivistinnen, die in den Gefängnissen für die Freiheit kämpfen, wird diese Revolution siegreich sein.
Titelbild: SalamPix/ABACA | abaca/picture alliance