Lange Strände, bewaldete Berge, das tiefblaue Wasser des Südchinesischen Meeres. Im vietnamesischen Côn-Đảo-Archipel turnen Affen auf Kokospalmen von Ast zu Ast, es gibt Zuckerrohr, Mangos, Bananen und Orangen. Die Tropen zum Reinbeißen. Auf der Hauptinsel Côn Sơn, wo gerade einmal 5.000 Menschen leben, erinnern die Uferpromenade und die französische Kolonialarchitektur an die Côte d’Azur der 1950er-Jahre.

Kein Wunder, dass die vietnamesische Regierung hier ehrgeizige Ziele verfolgt: Die Insel soll für den Luxustourismus erschlossen werden, teure Hotels und Golfplätze entstehen. „Unsere Gäste kommen aus Saigon und Hanoi, aus Singapur, Hongkong, Großbritannien, Deutschland, Frankreich und Spanien. Wir sind in der Hochsaison ausgebucht“, sagt die Marketingchefin des bereits fertiggestellten Hotels „Six Senses“.

Vom Pier 914 fahren jeden Tag Tauch- und Schnorcheltouristen zu den vorgelagerten Korallenriffen. Woher der Name des Piers kommt, weiß allerdings kaum einer von ihnen. 914 Häftlinge waren es, die beim Bau der Anlegestelle ums Leben kamen und die von der dunklen Vergangenheit von Côn Sơn zeugen. Denn noch vor 40 Jahren war die Insel alles andere als ein Urlaubertraum. Für die politischen Gefangenen war das abgelegene und gut kontrollierbare Eiland als Sträflingskolonie ein Albtraum. Mehr als ein Jahrhundert lang. Zunächst unter den französischen Kolonialherren, anschließend unter den südvietnamesischen Diktatoren, die von den USA unterstützt wurden.

Die Schreckensgeschichte begann vor 150 Jahren

Der ehemalige Palast des französischen Gouverneurs in Côn Sơn ist heute Museum. Die einstige Pracht des heruntergekommenen Kolonialbaus lässt sich nur noch erahnen. Die vier kahlen Zimmer im Erdgeschoss dokumentieren den Schrecken der sogenannten „Teufelsinsel“. Folterwerkzeuge an den Wänden, Schwarz-Weiß-Fotografien von nackten, ausgemergelten Körpern auf kahlem Stein, massenhaft eingeschlossen in engen Zellen oder isoliert in dunklen Verliesen. Namenlose Unbekannte.

Auf den Fotos sind die Namen und Dienstbezeichnungen der verantwortlichen Beamten und Offiziere vermerkt. Bis 1955 sind es französische Namen, dann geht es nahtlos weiter mit südvietnamesischen Lagerkommandanten, die die Sträflingskolonie der Kolonialmacht übernahmen und ähnlich brutal weiterführten, mit Unterstützung und Know-how der USA. Hier wurden dann vor allem die Gefangenen der Guerilla-Organisation „Nationale Front für die Befreiung Südvietnams“, besser bekannt als Vietcong, gequält.

Die Schreckensgeschichte von Côn Sơn reicht über 150 Jahre zurück: 1858 beginnt die französische Kolonialherrschaft über Vietnam. Die Kolonialherren errichten eine effiziente Verwaltung und Verkehrsinfrastruktur, um Rohstoffe wie Reis, Kautschuk und Kohle besser auszubeuten. Drei Jahre später werden für den Bau des ersten Gefängnisses für politische Gefangene die auf Côn Sơn ansässigen Bauern vertrieben oder gezwungen, sich in den Dienst des kolonialen Strafvollzuges zu stellen.

In einem Gefängnis: Kaisertreue, Kommunisten und Buddhisten

Um ihre Macht zu festigen, bauen die Franzosen ein brutales Unterdrückungs- und Strafsystem auf. Nach 1940 sitzen auf Côn Sơn Kaisertreue, Kommunisten und Bürgerliche ein, auch missliebige Buddhisten, Studenten, Journalisten und Gewerkschaftsführer – das gesamte Spektrum des antikolonialen Widerstands.

 

Dieser hatte sich schon um die Jahrhundertwende formiert, blieb anfangs aber unkoordiniert. Erst Ho Chi Minh, der Gründer und Führer der Kommunistischen Partei Indochinas, schafft mit der 1941 gegründeten Bewegung „Vietminh“ eine Basis für den organisierten Kampf gegen die Besatzer. Am 2. September 1945 proklamiert er in Hanoi die Unabhängigkeit der Demokratischen Republik Vietnam.

Doch die Franzosen versuchen, Vietnam erneut zu kolonialisieren: 1946 bricht der Indochina-Krieg aus. China unterstützt die militärisch schlecht ausgestatteten Vietnamesen, während die Franzosen von den USA Hilfe erhalten. 1954 gelingen den Vietminh schließlich die entscheidenden militärischen Erfolge. Vietnam wird entlang des 17. Breitengrades geteilt: Im Norden, in Hanoi, bleiben die Kommunisten Ho Chi Minhs an der Macht. In Saigon regiert nun der von den USA protegierte militante Katholik Ngo Dinh Diem die Republik Südvietnam.

Gefoltert mit heißem Muschelkalk

Hier beginnt ein Bürgerkrieg, in dem der Vietcong vom kommunistischen Norden unterstützt wird. Vor allem Vietcong-Anhänger landen nun auf Côn Sơn und werden hier inhaftiert und gefoltert: etwa in den sogenannten „Tiger Cages“, gerade einmal 2,70 mal 1,50 Meter großen Verschlägen, in denen bis zu fünf Gefangene gemeinsam ausharren mussten. Von oben wurden sie mit heißem Muschelkalk verbrüht oder von den patrouillierenden Wärtern mit langen, spitzen Stangen gequält. Bis zu 10.000 Menschen sollen gleichzeitig im Lager gefangen gewesen sein, ergeben spätere Untersuchungen.

1964 treten die USA direkt in den Konflikt ein. Im Kalten Krieg wollten sie eine Ausbreitung des Kommunismus unbedingt verhindern und sahen Vietnam als wichtigen „Dominostein“: Sollten hier die Vietcong siegen, könnten auch die übrigen Staaten Südostasiens kommunistisch werden. Der mit besonderer Brutalität geführte Vietnamkrieg beginnt. Aber trotz ihrer technologischen Übermacht können die US-Militärs den hartnäckigen Widerstand der Vietcong nicht brechen – die daraus resultierende Anti-Kriegsstimmung im eigenen Land sowie der Druck einer internationalen Protestbewegung führen 1973 zum Abzug aller US-Truppen.

Nach der Eroberung Saigons durch nordvietnamesische Einheiten kapituliert das auf sich allein gestellte Südvietnam 1975 und wird im Jahr darauf mit dem Norden zur „Sozialistischen Republik Vietnam“ vereint. Erst jetzt endet der Horror von Côn Sơn.
 Die Überreste der berüchtigten Gefängnisse finden sich heute verlassen und verfallen um den Hauptort von Côn Sơn. Sie können ausschließlich im Rahmen von Führungen besucht werden. Die kommunistische Einheitspartei Vietnams hat die Insel zum Ort der Erinnerung erklärt. Hinter verwitterten und geschwärzten Mauern sitzen oder liegen angekettete mannshohe Gipspuppen, um das Elend der Gefangenen zu verdeutlichen. Viele der Insassen überlebten die unmenschlichen Bedingungen nicht, mehr als 20.000 sollen hier begraben sein.

Auf dem Friedhof Hang Duong werden die Opfer von einst als Helden gefeiert: Ihr Sterben fürs Vaterland und Ho Chi Minh wird mit Fahnen, Blumen und Inschriften geehrt. „Vor allem Nordvietnamesen pilgern hierher“, sagt Pham Van Du, der in Leipzig studierte und heute eine eigene Reiseagentur in Saigon betreibt. „Aber auch südvietnamesische Familien, die Angehörige hier verloren haben.“ Nur 700 Gräber tragen Namen. Für die vielen namenlos verscharrten Toten der Teufelsinsel wurde ein Denkmal gebaut, das drei riesige Räucherstäbchen darstellt.

Von der tropischen Hölle zum luxuriösen Schnorchelparadies – der vietnamesische Entwicklungsplan geht in Côn Sơn pragmatisch und völlig unideologisch mit der Geschichte um. „Wir sind zufrieden, solange es vorwärtsgeht“, sagt Pham Van Du. „Die vietnamesische Tourismusindustrie soll zu einem wichtigen Wirtschaftszweig ausgebaut werden.“

Edith Kresta schreibt in der taz über Reise und Interkulturelles. Diese Reise nach Südvietnam 2011 war für sie ein gruseliger Einblick in die brutalen Schrecken des Vietnamkrieges, der in den 70er-Jahren auch hierzulande die linke Protestbeweung politisiert hatte.