Jan Schebaum hat in Berlin mehrere Notunterkünfte für Flüchtlinge aufgebaut und geleitet. Aktuell steht er den beiden Wohnheimen des Rupert-Neudeck-Hauses im Berliner Bezirk Pankow vor. Wenn einer weiß, worauf es in den ersten Tagen nach der Ankunft von Flüchtlingen in Deutschland ankommt, dann ist es er. Wir wollten wissen, wie wichtig das Ziel „Integration“ ganz am Anfang in der Flüchtlingshilfe schon ist.

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Sprache als Fundament: Um in Deutschland nicht verloren zu gehen, kann man besser von Anfang an sagen, wie man heißt und wo man wohnt (Foto: Djamila Grossman/Redux/laif)

Sprache als Fundament: Um in Deutschland nicht verloren zu gehen, kann man besser von Anfang an sagen, wie man heißt und wo man wohnt

(Foto: Djamila Grossman/Redux/laif)

fluter.de: Sie hatten in der Flüchtlingshilfe schon mehrere Noteinsätze und mussten innerhalb von Tagen Turnhallen und Bürogebäude in Unterkünfte für Hunderte Menschen umrüsten. Kann man sich in so einer Phase überhaupt schon um Integration kümmern?

Jan Schebaum: Im September 2015 hatten wir einmal sogar nur wenige Stunden Zeit. Da habe ich um 15 Uhr einen Anruf bekommen, wo es hieß: Ab 18 Uhr wird das ehemalige Vattenfall-Gebäude an der Storkower Straße beschlagnahmt. Die Flüchtlinge haben Sie ab 20 Uhr zu erwarten. Erst mal gibt es dann ganz akute Probleme: Die Leute haben keine Registrierung, es fehlt an Geld und medizinischer Versorgung. Aber wir haben großartige Unterstützung bekommen durch den lokalen Unterstützerkreis „Pankow hilft“ und konnten innerhalb von drei Tagen Deutschkurse anbieten. Denn: Sprache ist auch ein akutes Problem. Die Leute müssen zumindest schon mal sagen können, wie sie heißen und wo sie wohnen, um nicht verloren zu gehen. Integration ist deshalb von Anfang an das Ziel, und Spracherwerb ist dabei das A und O.

Ihr Schirmherr und Namensgeber Rupert Neudeck, der Gründer der Flüchtlingshilfsorganisation „Cap Anamur“, betonte neulich in einem Radiointerview, dass die Aufnahmegesellschaft Flüchtlingen gegenüber klarer machen müsse, was sie von ihnen fordert – auch als Gegenleistung für die Hilfe. Wie setzen Sie das um?

Zum Beispiel verteilen wir Zettel, auf denen steht: „Hausordnung – oder Wie wir miteinander leben“. Da geht es um allgemeine Verhaltensregeln, die über eine normale Hausordnung weit hinausgehen. Neben den Schließzeiten der Küche steht darin also auch, dass wir der Intoleranz gegenüber intolerant sind. Jedwede Diskriminierung wird nicht akzeptiert und führt letztendlich zum Heimverweis.

„Da geht es um allgemeine Verhaltensregeln, die über eine Hausordnung weit hinaus gehen.“

Verpflichten Sie die Hausbewohner, Arbeiten im Haus zu erledigen?

Die Leute können sich nur auf freiwilliger Basis einbringen. Es gibt ganz klare Vorschriften, wie eine Gemeinschaftsunterkunft organisiert sein muss: Flüchtlingssache ist nur das eigene Zimmer, für alles andere ist der Betreiber zuständig. Das ist unter realen Bedingungen aber nicht praktikabel. Selbst wenn hier am Vormittag ein Reinigungsdienst Klarschiff macht, ist die Ordnung am späten Nachmittag, wenn alle Kinder aus der Schule zurück sind, wieder dahin. Deshalb beschäftige ich die Leute, die bereits eine Aufenthaltsgenehmigung haben, über Ein-Euro-Jobs. Die kriegen also auch ein bisschen was dafür, das finde ich nur recht und billig. Wer dafür in Frage kommt, zeigt sich sehr schnell. Es gibt einfach diese Menschen, die eine dreckige Küche nicht sehen können und einfach aufräumen müssen. Die bekommen bei uns Arbeit, und dieses Beispiel macht dann Schule.

Was passiert, wenn man sich als Betreiber einer solchen Unterkunft nicht von Anfang an um Integration bemüht?

Dann wird es später umso schwieriger. Wir haben hier schon Leute aus anderen Einrichtungen übernommen, denen man sofort angemerkt hat, dass die zu lange sich selbst überlassen waren. Das führt leicht zu Konflikten und sogar Gewalt. Ich werde oft gefragt, warum es bei uns im Haus so friedlich ist. Die Antwort ist einfach: Weil die Leute uns nicht egal sind. Es muss sich einer um sie kümmern.

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Die schönsten Konzepte für Integration helfen nichts, wenn man sich nicht auch persönlich um die Menschen kümmert. Dafür setzt sich im Rupert-Neudeck-Haus der unermüdliche Jan Schebaum ein (Foto: Simone Pappler)

Die schönsten Konzepte für Integration helfen nichts, wenn man sich nicht auch persönlich um die Menschen kümmert. Dafür setzt sich im Rupert-Neudeck-Haus der unermüdliche Jan Schebaum ein

(Foto: Simone Pappler)

Ist so eine Sammelunterkunft nicht das Gegenteil von Integration? Die Zuwanderer bleiben unter sich, statt direkt in die Gesellschaft aufgenommen zu werden.

Nein, hier kann Integration besonders gut eingeübt werden. Denn hier bekommen wir schnell mit, wenn jemand diskriminiert wird. Das geht mit Kleinigkeiten los, wo der eine dem anderen verbieten will, zu einer bestimmten Zeit die Dusche zu benutzen. Bei so was schreiten wir sofort ein. Außerdem haben die Menschen hier Zeit, erst einmal die normalen Erfordernisse des Alltags in Deutschland kennenzulernen. An wen wende ich mich mit welchem Problem? Was tun, wenn das Warmwasser nicht funktioniert? Solche Sachen. Nur: Damit dieses Wissen bei denen ankommt, muss so ein Haus sehr bewusst geführt werden.

Gibt es Missverständnisse von Asylsuchenden in Bezug auf das Leben in Deutschland, denen Sie entgegenwirken müssen?

Ein Problem sind die Erwartungshaltungen. Besonders die Erwartungen vieler Menschen aus dem arabischen Raum sind recht hoch, weil dort von Schlepperbanden eine Menge Unsinn darüber verbreitet wird, was man hier in Deutschland alles bekommt. Hinzu kommt: Die Leute haben sehr viel Geld für ihre Flucht bezahlt, und viele hatten im Herkunftsland einen hohen sozialen Status. Dann kommen die hier in so eine Massenunterkunft. Man muss also Erwartungen enttäuschen. Und wenn es um Menschen aus ländlichen oder rückständigen Regionen wie etwa den Bergregionen in Afghanistan geht, muss man oft auch grundsätzlich erklären, wie die Dinge hier in Deutschland laufen. Etwa was das Geschlechterverhältnis betrifft. Aber da sind diese Zettel nur ein Hilfsmittel, das meiste regelt sich schon im täglichen Umgang.

„Zusammen basteln und mal ins Kino gehen ist ja nett und schön, aber da handelt es sich tatsächlich nur um Puderzucker.“

Und welche falschen Vorstellungen haben die Anwohner von den Flüchtlingen in den Heimen?

Es gibt viel Schwarz-Weiß-Denken: Entweder sind es alles Asylschmarotzer, oder die sind alle supertoll. In Wirklichkeit hat man in so einem Flüchtlingsheim alle Schattierungen. Wie überall im Leben. Wichtig ist aus meiner Sicht auch, dass man Geflüchtete, so viel Leid sie erlebt haben mögen, möglichst normal behandelt. Und dass man nicht aus Mitleid Vorzugsbehandlungen gewährt: Wir als hauptamtliche Helfer wissen, dass aus einer Dankbarkeitshaltung schnell eine Forderungshaltung werden kann. Und dann hat man das Gegenteil bewirkt. Denn irgendwann muss man diese Vorzüge wieder entziehen. Besser, man sagt gleich klipp und klar: Wenn ihr die Absicht habt, euer Leben hier zu gestalten, dann müsst ihr dafür auch etwas tun.

Sind den Leuten zu viele Angebote gemacht worden? Wer solche Strapazen hinter sich hat, will von Bastelnachmittagen und Gartenprojekten womöglich erst mal gar nichts wissen.

Zusammen basteln und mal ins Kino gehen ist ja nett und schön, aber da handelt es sich tatsächlich nur um Puderzucker. Andere Angebote sind aber extrem wichtig, und davon kann es gar nicht zu viele geben. Beispielsweise Sport. Oft haben die Leute aufgrund ihrer Erlebnisse Schlafstörungen und kommen nicht zur Ruhe. Da kann Sport wirklich gut helfen. Extrem wichtig sind außerdem Angebote wie unser Theaterprojekt, wo sich die Leute auch mal auf einer abstrakteren Ebene über Ethik, Werte und Moral unterhalten. Da wird wirklich Integrationsarbeit geleistet. Leider reicht für solche Angebote die staatliche Förderung oft nicht aus.

Jan Schebaum hat in der Migrations- und Flüchtlingsarbeit als Praktikant begonnen, in stellvertretenden Leitungspositionen von Flüchtlingsheimen Erfahrungen gesammelt und im September 2014 in einer Turnhalle in Berlin-Reinickendorf eine erste Notunterkunft in leitender Verantwortung eingerichtet. Die hat er bis April 2015 geleitet und dann in einem ehemaligen Verwaltungsgebäude im Bezirk Pankow das Rupert-Neudeck-Haus aufgebaut.