Das Heft – Nr. 82

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Facebook weiß, wie es den Menschen schadet, tut aber lieber mal nichts dagegen: die Erkenntnisse der Whistleblowerin Frances Haugen

Es sei nicht ihr Plan gewesen, Whistleblowerin zu werden, aber Menschenleben stünden auf dem Spiel – so äußerte sich Frances Haugen im vergangenen Jahr, nachdem sie Tausende Seiten geheimer Facebook-Dokumente geleakt hatte. Die Informatikerin und Dateningenieurin stieß 2019 zum Facebook-Konzern, der mittlerweile Meta heißt, und war dort in der Abteilung für Falschinformation für den Kampf gegen Verschwörungstheorien und Fake News zuständig. Wie sie berichtet, hatte sie selbst eine Freundschaft aufgrund von Onlineverschwörungen verloren.

Was Haugen während ihrer Zeit bei Meta jedoch erlebte, erklärte sie bei ihrem ersten öffentlichen Fernsehauftritt im Oktober 2021 so: Es habe Inte­ressenkonflikte zwischen dem, was gut für die Öffentlichkeit war, und dem, was gut für Facebook war, gegeben. Facebook habe wieder und wieder gezeigt, dass es eigene Interessen über andere stellt.

Sie verließ den Konzern im Mai 2021. Im Gepäck Tausende von abfotografierten internen Dokumenten, die sie dem „Wall Street Journal“ sowie den US-Behörden übermittelte und die als „Facebook Papers“ und „The Facebook Files“ bekannt werden sollten. 

Meta tut alles dafür, Userinnen und User so lange wie möglich auf seinen Plattformen zu halten

Um die Erkenntnisse aus den Facebook Papers zu begreifen, muss man verstehen, wie Meta zu seinen 118 Milliarden US-Dollar Umsatz in 2021 kommt. Die Plattformen Facebook und Instagram verdienen Geld mit Anzeigen. Je mehr Zeit User auf einer Plattform verbringen, desto mehr Werbung kann ihnen angezeigt werden und desto mehr Daten können über sie gesammelt werden, um die Werbung noch zielgerichteter zu schalten. Also tut Meta alles dafür, Userinnen und User so lange wie möglich auf seinen Plattformen zu halten. 

Der zentrale Zuarbeiter dafür ist der Algorithmus, der merkt, welche Inhalte die meiste Aufmerksamkeit bekommen, und diese dann vermehrt ausspielt. So finden extreme und polarisierende Posts und Videos auf Facebook eine deutlich schnellere Verbreitung und bringen weitere hervor. Lange ­hat Facebook zum Beispiel Posts, auf die mit Wut-Emojis reagiert wurde, fünfmal so hoch gerankt wie andere Reaktionen. Am Ende kann sich durch die stetige Polarisierung sogar die politische Landschaft verändern, wie eine in den „Facebook Papers“ enthaltene interne Studie zeigte: Politikerinnen und Politiker setzen vermehrt auf extreme Positionen, weil diese mehr Menschen erreichen.

Die wichtigste Erkenntnis aus den „Facebook Papers“: Meta weiß sehr genau, wie seine Plattformen der Öffentlichkeit schaden. Und: Meta kennt durchaus Strategien zur Erhöhung der Sicherheit, setzt sie jedoch nicht ein, um den Gewinn nicht zu schmälern.

Meta wusste von Seiten, auf denen Menschen wie Sklaven gehandelt wurden, ging aber zunächst nicht gegen sie vor

Die Papers liefern unzählige Beispiele dafür: Meta wusste um die Existenz von Facebook-Seiten, auf denen Menschen wie Sklaven gehandelt wurden, ging aber zunächst nicht gegen sie vor. Meta kennt laut eigener Studien auch die psychischen Folgen, die Instagram insbesondere bei Teenagern anrichten kann – hat diese Ergebnisse dennoch nie geteilt und die Risiken in der Öffentlichkeit heruntergespielt. Meta änderte den Facebook-Algorithmus während der US-Wahlen 2020, um politischen Missbrauch zu verhindern – machte die Änderungen danach aber wieder rückgängig. 

Der Konzern erreicht mit 2,8 Milliarden Menschen täglich rund 60 Prozent aller Internetnutzer weltweit. Was Frances Haugen große Sorgen bereitet, sind die fehlenden Sicherheitsstrategien in vielen nicht englischsprachigen Ländern. Für die Menschen dort stellen die Meta-Plattformen das gesamte Internet und die einzigen Kommunikationskanäle dar. Dies alles, so Haugen, sei erst der Anfang, wenn man jetzt nicht eingreife. Dabei hat sie die Hoffnung nicht aufgegeben, dass sich Facebook selbst zum Besseren ändern könnte. Mark Zuckerberg habe die Macht, es zu tun. Und es würde nicht nur das Leben von Milliarden Menschen glücklicher machen, sondern ihn vielleicht auch.

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