„Ziehen Sie sich erst mal an, ich erzähle Ihnen dann alles.“ Schon in der Umkleide-Ecke bei der Gynäkologin wusste ich, dass etwas nicht stimmte. „Also. Ich kann den kleinen Embryo zwar sehen, aber er hat sich nicht weiterentwickelt, und es ist kein Herzschlag erkennbar. Das wird leider eine Fehlgeburt. Tut mir sehr leid.“ Ich war beruflich für ein paar Monate in Köln. Kurz zuvor hatte eine Gynäkologin dort meine Schwangerschaft festgestellt, um die Seifenblase in diesem Moment wieder platzen zu lassen.
Nur eine Woche vorher hatte mich mein Partner besucht, wir freundeten uns mit der Vorstellung an, eine Familie zu werden, träumten leise. Jetzt musste ich ihm am Telefon erzählen, was mir die Frauenärztin gesagt hatte.
Jede sechste Schwangerschaft endet in einer Fehlgeburt – warum reden wir nicht darüber?
Was ich erlebte, erleben viele Frauen. Es redet nur kaum jemand darüber. Eine Fehlgeburt – ich möchte sie hier lieber kleine Geburt nennen – ereignet sich häufig innerhalb der ersten drei Monate einer Schwangerschaft. Auch ich kannte die Empfehlung, erst nach Ende des dritten Monats dem Umfeld von der Schwangerschaft zu erzählen. Wenn einigermaßen „sicher“ ist, dass nichts mehr passiert. Aber warum eigentlich? Warum wird dieses Thema so totgeschwiegen? Statistisch gesehen endet mindestens jede sechste Schwangerschaft in den ersten zwölf Wochen in einer kleinen Geburt.
Meine kleine Geburt war physisch und emotional schmerzhaft. Ich hatte mich gegen einen medikamentösen Abbruch entschieden, und eine Ausschabung – eine Operation, bei der die Reste des Embryos und des Mutterkuchens aus der Gebärmutterhöhle entfernt werden – kam nicht infrage. Allein das Wort fand ich fürchterlich. Also fuhr ich zurück nach Berlin und wartete. Laut Infoblatt der Kölner Gynäkologin nennt man das „die konservative Haltung“. Ich stellte mir vor, dass da gerade etwas in meinem Körper stirbt und es noch nicht loslassen will. Das fand ich grausam.
Eine Fehlgeburt (auch „Abort“) ist die vorzeitige Beendigung einer Schwangerschaft. Nicht zu verwechseln mit dem sog. Schwangerschaftsabbruch (auch „Abtreibung“). Da der Begriff „Fehlgeburt“ bei vielen Betroffenen auf Unmut stößt, folgt die Autorin dem Vorschlag einer Hebamme, sie „kleine Geburt“ zu nennen. Eine häufige Ursache ist eine fehlerhafte Anzahl von Chromosomen im Erbgut des Embryos. Aber es gibt viele mögliche Gründe, zum Beispiel körperliche oder seelische Erkrankungen der Eltern oder nicht entwicklungsfähige Fehlbildungen des Fötus.
Nach 14 Tagen begann endlich meine Blutung. Sie dauerte etwa sechs Wochen. In der ersten Woche hatte ich wehenartige Krämpfe und so starke Blutschübe, dass ich stündlich die vollgesogenen Binden wechseln musste. Ab Woche zwei wurde es etwas weniger. Ich dachte sogar, ich könnte wieder aufstehen und weitermachen. Weitermachen mit dem Leben.
Doch jedes Mal, wenn ich davon überzeugt war, wieder auf Alltagsmodus umstellen zu können, kam ein neuer fetter Blutschub mit Klumpen und Schleimhautresten als Erinnerung an die vergangene Schwangerschaft und rieb mir meine Voreiligkeit ins Gesicht. Das zeigte mir, wie sehr ich mich vor den Emotionen drückte, die in dieser ganzen Zeit auf mich einprasselten.
In meinem Kopf war alles schwer. Am liebsten wäre ich einfach im Boden versunken. Da war viel Trauer, Enttäuschung, Hilflosigkeit. Zwei Frauen erzählten mir von ihren Erlebnissen mit der kleinen Geburt. Sie wollten mir vielleicht Mut machen. Doch was bei mir ankam, war: „Da musst du durch. Überleg dir das doch noch mal mit der Ausschabung. Dann ist alles sicher raus.“ Aber mein Inneres schrie: NEIN! Ich wollte meinem Körper und mir die Zeit geben, die wir eben brauchten. Und ich bin unendlich dankbar, dass ich das Privileg hatte, sie mir nehmen zu können. Ich war für den Rest meines Köln-Projekts krankgeschrieben und mehrere Monate zu Hause, um klarzukommen. Diese Zeit brauchte ich, um alles zu verstehen, um Abschied zu nehmen.
Nach ausklingender Blutung hatte ich das Bedürfnis, einen symbolischen Abschluss und damit sanften Neubeginn zu schaffen. Am Telefon erzählte ich meiner Freundin Lisa von der kleinen Geburt und dem Wunsch, meine Haare abzuschneiden. Sie kam vorbei und fotografierte mich dabei. Mir selbst die Haare abzuschneiden und damit wirkliche Schwere zu verlieren war befreiend. Die Bilder symbolisieren für mich, was solch einschneidende Erlebnisse häufig mit sich bringen: dass jedem Ende auch ein Anfang innewohnt.
Das gesamte Projekt mit allen Fotos erschien am 9. März im Divers-Magazin.