Illustration einer Zielscheibe mit Weiblichkeitssymbol in der Messer stecken

„Am stärksten gefährdet sind Frauen durch aktuelle oder ehemalige Partner“

Fast jeden Tag wird in Deutschland eine Frau durch einen Mann ermordet, weil sie eine Frau ist. Wie kann es sein, dass frauenfeindliche Gewalt so verbreitet ist? Und was muss passieren, damit sich das ändert? Das haben wir die Soziologin Laura Wiesböck gefragt

Interview: Sophia Hubel
5. März 2025

Laut Global Peace Index 2024 gehört Österreich zu einem der friedlichsten Länder der Welt. Gleichzeitig werden auch dort Menschen ermordet – und zwar seit Jahren systematisch mehr Frauen als Männer. Im Februar 2024 gab es fünf Femizide an nur einem Tag in Wien. Es folgte eine öffentliche Debatte und längst die bittere Erkenntnis: Das Land ist relativ sicher, aber nicht für alle gleichermaßen.

Wie sicher Deutschland für Frauen ist, zeigte im November 2024 eine Erhebung des BundesinnenministeriumsFast jeden Tag kommt es in Deutschland zu einem Femizid – also kurz gesagt zu einem Mord an einer Frau, weil sie eine Frau ist. Zudem erlebt alle drei Minuten eine Frau oder ein Mädchen in Deutschland häusliche Gewalt. Jeden Tag werden mehr als 140 Frauen und Mädchen Opfer einer Sexualstraftat.

Laura Wiesböck ist Soziologin am Institut für Höhere Studien in Wien und forscht zur sozialen Ungleichheit von Frauen. Sie unterstützt die europäische Bürgerinitiative „My Voice, My Choice“ und positioniert sich öffentlich gegen Männergewalt.


fluter.de: Der Begriff Femizid hat sich in den vergangenen Jahren nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in Politik und Medien etabliert. Was genau versteht man darunter?

Laura Wiesböck: Femizide sind Hassverbrechen. Sie sind die extremste Form frauenfeindlicher Gewalt in patriarchalen Gesellschaften und basieren, ähnlich wie rassistisch motivierte Morde, auf der Abwertung einer gesamten Menschengruppe. Der Begriff Femizid geht auf die südafrikanische Soziologin Diana Russell zurück. Sie setzte sich schon in den 70er-Jahren dafür ein, die gezielte Tötung von Frauen aufgrund des Geschlechts sichtbar zu machen und zu politisieren. Ein allgemeiner Begriff wie „Mord“ verschleiert, dass diese Verbrechen durch strukturellen Frauenhass motiviert sind und meist dann begangen werden, wenn Frauen gegen patriarchale Rollenvorstellungen und männliche Besitzansprüche „verstoßen.

Was ist damit gemeint?

Obwohl es in vielen Ländern längst keine rechtliche Verfügungsgewalt von Männern über Frauen mehr gibt, bleiben die traditionellen Geschlechterbilder tief verankert. Dazu zählt ein fragiles Männlichkeitskonstrukt, das die Überragung von Frauen und Partnerinnen braucht, um halbwegs stabil zu sein – in Bereichen wie Körpergröße, Einkommen und Status bis hin zu Lebenserfahrung und Intelligenz. Frauen sollen nicht zu viel Platz einnehmen und ihre Bedürfnisse und Ambitionen zurückstellen, damit Männer sich halbwegs sicher fühlen. Das patriarchale System beruht auf dem Anspruch, positive Erfahrungen mit Frauen zu machen. Das betrifft auch den Anspruch auf weibliche Zuwendung, auf Flirten, auf Sexualität, auf grundsätzlich positive Erfahrung mit Frauen als eine Art Servicedienstleistung. Erfüllen Frauen diese Rolle nicht, bedeutet das eine Kränkung, mit der zahlreiche Männer nicht gewaltfrei umgehen können. Im Kleinen kennen viele Frauen die Situation, dass sie beschimpft werden, wenn sie den Flirtversuch eines Mannes ablehnen. 


Anders, als es oft dargestellt wird, ist für viele Frauen das eigene Wohnzimmer gefährlicher als der S-Bahnhof. Femizide ereignen sich am häufigsten in privaten Räumen. In welchen Situationen sind Frauen besonders gefährdet?

Am stärksten gefährdet sind Frauen durch aktuelle oder ehemalige Partner – vor allem, wenn Frauen sich trennen oder dies beabsichtigen. Doch auch andere familiäre Konstellationen, wie Söhne, die ihre Mütter töten, kommen vor. Besonders hoch ist das Risiko für Frauen, die sich in einer Gewaltbeziehung befinden.

Was weiß man über die Tätertypen?

Für Österreich weiß man, dass die meisten Täter zwischen 30 und 39 Jahre alt sind. Und es gibt außerdem eine Häufung von Tätern um die 70. Die meisten Täter haben eine jahrelange Gewaltgeschichte in der Beziehung mit der Frau, die sie schließlich ermorden. Es gibt den Typ, der generell misogyne Gewalt an Frauen in seinem Leben ausübt – auch gegen die Mutter oder Töchter zum Beispiel. Es gibt Täter, die generell gewalttätig sind, also auch gegenüber Dritten. Es gibt aber auch Täter, die keine Vorgeschichte haben mit Partnerschaftsgewalt, was sich insbesondere bei Partnerschaftsmorden im hohen Alter zeigt.

„Bei etlichen Taten gab es bereits im Vorfeld Kontakt mit der Polizei. Die Frauen wurden in ihrer Bedrohung jedoch nicht ausreichend ernst genug genommen – und letztlich getötet“

Frauenhass ist ein globales Problem, aber im europäischen Vergleich gibt es in Österreich besonders viele Femizide. Im Februar 2024 wurden in einer Woche sechs Frauen von Männern ermordet. Wieso?

Österreich ist stark von patriarchalen Vorstellungen geprägt. Frauenverachtung und sexistische Gewalt sind gesellschaftlich weitgehend normalisiert – auch auf höchsten Ebenen. Beispiele dafür sind Politiker, die Aktivistinnen als „widerwärtige Luder“ beschimpfen, oder der öffentliche Zuspruch für einen rechtskräftig wegen Vergewaltigung verurteilten Bürgermeister. Zudem zeigt sich in der Gesellschaft ein stark verankertes Victim-Blaming: Laut einer repräsentativen Umfrage aus dem Jahr 2016 stimmt fast jede vierte Person der Aussage zu, Gewalt an Frauen sei oft durch diese provoziert, während in Schweden nur jede elfte dieser Ansicht ist. Solche Einstellungen verweisen auf eine Normalisierung von Gewalt und eine Schuldverlagerung an Opfer, die sich auch in der Berichterstattung widerspiegelt.

Was genau meinen Sie damit?

Zum Beispiel, wenn Medien titeln: „Sie trennte sich, das war ihr Todesurteil. Damit wird vermittelt, dass die Beziehungstrennung zum Mord führte und nicht der Täter, der mit Ablehnung von Frauen nicht gewaltfrei umgehen kann. Solche Formulierungen zeigen, wie stark die Medienberichterstattungen oft in patriarchale Denkmuster eingebunden sind. Grundsätzlich werden Frauen in Österreich – wie in vielen anderen Ländern – nach wie vor unzureichend vor Gewalt geschützt. Es gibt zahlreiche Lücken im Hilfesystem. Bei etlichen Taten gab es bereits im Vorfeld Kontakt mit der Polizei. Die Frauen wurden in ihrer Bedrohung jedoch nicht ausreichend ernst genug genommen – und letztlich getötet.

Wie können Frauen besser geschützt werden?
                                                                                                                                           

Damit Frauen ihr Recht auf ein gewaltfreies Leben ermöglicht wird, braucht es nicht nur eine bessere Gesetzeslage und Rechtspraxis, sondern auch mehr Geld in der Jungen- und Männerarbeit und vor allem auch im Opferschutz: Frauenhäuser, Beratungsstellen und feministische Initiativen müssen in ihrer Arbeit finanziell stärker unterstützt werden. Auch die ökonomische Unabhängigkeit von Frauen spielt eine entscheidende Rolle, dazu zählt die Frage nach bezahlbarem Wohnraum. Aus wissenschaftlicher Perspektive fehlt es zudem an einer umfassenderen Datenlage. Männliche Gewalt wird oft nur sichtbar, wenn sie zur Anzeige gebracht wird – damit bleiben viele Fälle im Verborgenen. Für Prävention bräuchte es einen Kulturwandel im Bereich der Geschlechterrollen: eine Gesellschaft, in der männliche Identität nicht mit dem Anspruch auf Macht und Dominanz einhergeht, in der es Raum für Verletzlichkeit gibt und Kränkungen nicht in Form von Aggressionen und Gewalt ausgelebt werden. Und eine Gesellschaft, in der es keine Toleranz für die Bagatellisierung von Frauenfeindlichkeit gibt. 
 

Die rechte FPÖ steht nicht für einen solchen Kulturwandel – sie kürzt Initiativen, die Frauenrechte stärken sollen, die Gelder. Vor Jahren warnte eine FPÖ-Politikerin sogar davor, dass Frauenhäuser Ehen zerstören würden. Bei der Wahl im September vergangenen Jahres wurde die FPÖ stärkste Kraft. Was bedeutet das für den Kampf gegen Frauenhass und Femizide in Österreich?

Rechte Ideologien sind darauf ausgelegt, Frauen eine untergeordnete Rolle zuzuschreiben und sie in ihren Rechten und Freiheiten einzuschränken. Bereits die rechtskonservative Regierung von Sebastian Kurz (ÖVP) unter Beteiligung der FPÖ kürzte die Budgets für Gewaltschutzinitiativen drastisch. Beispielsweise wurden Polizeischulungen durch Mitarbeiterinnen von Frauenhäusern gestrichen, wie auch eine Million Euro in der Familienberatung. Man muss sich noch mal die Drastik vor Augen führen: Rund 320 ermordete Frauen in einem Jahrzehnt. Mehr als eine Verdopplung der Fälle von 2014 auf 2018. Aber die Skandalisierung in der österreichischen Politik hält sich in Grenzen. Die mangelhafte Priorisierung des Schutzes von Frauenleben ist deutlich erkennbar. Relevant wird das Thema für Politiker des rechten Spektrums erst, wenn sie es rassistisch instrumentalisieren können.

Du bist betroffen? 

☎️ Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ ist unter 116 016 rund um die Uhr erreichbar – kostenlos, anonym und in 18 Sprachen. Weitere Infos gibt es hier.

📱 Auch die App von „Gewaltfrei in die Zukunft e.V.“ bietet Betroffenen schnellen Zugang zu Hilfe.

Portrait von Laura Wiesböck

Laura Wiesböck arbeitet als Soziologin in Wien. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf sozialer Ungleichheit mit Fokus auf Arbeit, Armut, Geschlecht und Digitalisierung

Foto: Marija Šabanović

Auf TikTok und X hat misogyner Hass, unter anderem seit der Wiederwahl Donald Trumps, zugenommen. Junge weiße Männer posten Slogans wie „Your body my choice“. Was kann man tun, um solchen Entwicklungen etwas entgegenzusetzen?

Viele Männer, die ihren Selbstwert und ihr Männlichkeitsgefühl durch die Unterdrückung anderer beziehen, fühlen sich aktuell bestärkt. Gleichzeitig formieren sich online feministische Gegenbewegungen wie etwa das 4B-Movement, das ursprünglich aus Südkorea kommt. Aus meiner Perspektive sind klare Positionierungen und Handlungen im täglichen Leben entscheidend. Studien zeigen, dass bereits sexistische Witze gedankliche Mechanismen fördern können, die Gewalt gegen Frauen rechtfertigen. Gerade Männer, deren Anerkennung eine Schlüsselrolle in patriarchalen Männlichkeitsnormen spielt, sind gefragt, sich aktiv zu engagieren: „Hast du das wirklich nötig, so über Frauen zu sprechen? Das ist ziemlich schwach.“

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.

Illustration: Alexander Glandien