Kurz erst mal Augen zu und Kopfkino an: Wir stehen auf einer Lichtung mitten im Wald. Wo heute noch ungestört Vögel zwitschern, soll morgen früh Hochbetrieb sein. Eine Szene für einen „Tatort“ wird gedreht, ein Leichenfund. Damit die zwei Minuten im Film später gut aussehen, muss hier eine Kleinstadt entstehen. Benötigt werden Licht, Wasser, Heizung, Umkleiden, Catering, Aufenthaltsräume, Toiletten und so einiges mehr. Das ist mit Kosten verbunden – auch für Klima und Umwelt.
Birgit Heidsiek, Politikwissenschaftlerin und Herausgeberin der Onlineplattform Green Film Shooting, gibt an, dass für den Dreh so eines „Tatorts“ 80 bis 140 Tonnen CO2 freigesetzt werden, bei einem Hollywood-Blockbuster könnten es sogar 3.000 Tonnen oder mehr sein. Das ist 375-mal mehr, als ein Mensch pro Jahr in Deutschland an CO2-Emissionen verursacht. Für Heidsiek sind beim Film vor allem drei Bereiche problematisch: Energie, Mobilität und Abfall. Oft fliegen Filmteams von Drehort zu Drehort, die Filmtechnik wird per Lkw transportiert, Einwegbecher ersparen den Abwasch, und der Strom kommt aus Dieselgeneratoren. Alles nicht besonders umweltfreundlich.
„Versuchen Sie, auf Wohnmobile zu verzichten“, heißt es im Best-Practice-Guide
Filme sollen grüner werden. Das steht sogar im Filmförderungsgesetz, das vorsieht, ab Januar 2022 Filmprojekte nur dann mit Geld vom Staat zu unterstützen, wenn sie „wirksame Maßnahmen zur Förderung der ökologischen Nachhaltigkeit“ ergreifen. Wie genau das gehen soll, darüber diskutieren Initiativen wie der Arbeitskreis Green Shooting oder die Green Film Initiative sowie Filmverbände und Förderanstalten schon seit einigen Jahren. Grüne Siegel, Selbstverpflichtungen, CO2-Rechner, Preisverleihungen und Nachhaltigkeitsexpert*innen sollen dabei helfen, Emissionen einzusparen.
Die Filmförderung der Region Hamburg und Schleswig-Holstein hat das Thema schon seit zehn Jahren auf der Agenda und gibt in einem „Best-Practice-Guide“ zahlreiche Tipps. „Versuchen Sie, auf Wohnmobile zu verzichten und lokale Unterkünfte zu nutzen“, heißt es da oder dass kein Tropenholz verwendet werden soll, „auch nicht bei Sperrholzplatten“. Seit 2012 vergibt die Förderanstalt den „Grünen Drehpass“ (seit 2020 „Grüner Filmpass“), einen Nachhaltigkeitsnachweis für deutsche Film- und Fernsehproduktionen. Bekommen haben ihn unter anderem die Literaturverfilmung „Der Goldene Handschuh“, die Kriminalkomödie „Sauerkrautkoma“ und die Serie „Der Tatortreiniger“.
Seitdem es dieses Angebot gibt, beschäftigt sich auch die Produzentin Frauke Kolbmüller mit dem Thema. Das grüne Siegel hat sie unter anderem für den Film „Systemsprenger“, der 2019 in die Kinos kam, erhalten. Außerdem hat ihre Firma Oma Inge Film die „Freiwillige Selbstverpflichtung zur nachhaltigen Filmproduktion“ unterzeichnet, die sich der Dachverband der deutschen Filmproduktionsfirmen 2019 auferlegt hat. Ein Punkt darin: Fliegen sollten Teammitglieder und Schauspieler*innen möglichst nur dann, wenn die Reisezeit mit dem Zug mehr als sechs Stunden beträgt. Ben von Dobeneck, Executive Producer bei der Produktionsfirma Komplizen Film, hat das Papier damals mitentwickelt und gerade auf diesen Aspekt seitdem viel Wert gelegt, auch bei dem aktuellen Film „A E I O U – Das schnelle Alphabet der Liebe“, der 2022 im Wettbewerb der Berlinale Premiere hat. Von Dobeneck und Kolbmüller sind sich einig: Die existierenden Konzepte weisen in die richtige Richtung, ihre Umsetzung stößt aber noch an Grenzen.
Die Liste der noch ungelösten Probleme ist lang. Viele technische Dienstleister haben etwa noch gar keine nachhaltigen Produkte im Angebot. E-Lkws, batteriebetriebene Stromgeneratoren, energiesparende Scheinwerfer – einige Hersteller entwickeln aktuell nachhaltige Lösungen, richtig verbreitet sind sie jedoch noch nicht. Im Bereich von LED-Technik für Filmbeleuchtung hat sich laut von Dobeneck schon einiges getan, noch seien die Lampen im Technikverleih aber teurer als die konventionellen Alternativen. Dabei geht es neben dem Budget eines Films auch um die Ressource Zeit. Oft haben die einzelnen Filmgewerke nur ein paar Wochen zur Vorbereitung. „Alle Departements, die ja wirklich viel in einem kurzen Zeitraum stemmen, müssen sich jetzt zusätzlich noch intensiv mit diesem Thema auseinandersetzen, zum Beispiel, wo man nachhaltige Mode herbekommen kann“, meint auch Kolbmüller. „Da spielt natürlich auch wieder das Budget eine Rolle.“ Gerade kleine Filmprojekte mit wenig Geld müssten dann priorisieren, welche Aspekte der nachhaltigen Checkliste realisierbar seien.
„Was will man mit einer riesigen Holzkonstruktion, in die schon überall gebohrt wurde?“
Um nachhaltig zu drehen, ist es gut, möglichst viel zu leihen, secondhand zu kaufen und das Gekaufte danach weiterzugeben. „Für den Film ‚A E I O U‘ haben wir fast alles auf dem Flohmarkt erstanden und danach weiterverkauft oder verschenkt“, erzählt von Dobeneck, „wenn man aber zum Beispiel ein ganzes Pariser Appartement aus Holz und Styropor nachbauen muss, kommt die Wiederverwertung an ihre Grenzen. Was will man mit einer riesigen Holzkonstruktion, in die schon überall gebohrt wurde?“ Gerade beim Kulissenbau ist es schwierig, nachhaltig zu produzieren, denn eine anschließende Aufbewahrung ist schlicht zu teuer. Die Pariser Wohnung hat tatsächlich überlebt, das ist allerdings eine ziemliche Ausnahme.
Auch Kolbmüller ist es gewohnt, Kompromisse zu machen: „Wenn man zum Beispiel keinen Ökostrom nutzen kann, dann muss man einfach schauen, an welcher Stelle man sonst arbeiten kann. Zum Beispiel bei Leihrequisiten. Es muss sich irgendwie ausgleichen, dann ist es machbar.“ Vordergründig geht es sowohl bei der Selbstverpflichtung des Produzentenverbandes wie auch bei den grünen Siegeln der Filmförderungen darum, eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit nachhaltigen Alternativen anzustoßen. Während die freiwillige Maßnahme der Brancheninitiative rechtlich nicht bindend ist und auf Evaluation statt Sanktion setzt, sind Förderentscheidungen an feste Kriterien gebunden. Die abschließenden Kontrollen durch die Filmförderanstalten sind laut Heidsiek und Kolbmüller jedoch bisher noch nicht besonders streng.
Als öffentliche Geldgeber können die Förderanstalten also eine Hilfe sein, sie sind aber auch Teil des Problems. Ob eine Filmidee im Harz oder am Bodensee entsteht – für nahezu jede Region in Deutschland gibt es eine eigene Filmförderung. Gedacht sind diese regionalen Anlaufstellen als Standortförderungen. Der Deal ist: Das Geld, das in Bayern genehmigt wurde, muss auch in Bayern ausgegeben werden. Dabei ist auch eine gewisse Anzahl an Drehtagen vorgesehen. Da meist eine Fördersumme allein nicht ausreicht, um einen Film zu realisieren, reist ein Filmteam quer durch Deutschland, oft nur für wenige Tage. Das verursacht wiederum erhebliche Emissionen.
Bis Filme also nicht nur grüne Siegel tragen, sondern wirklich grün hergestellt werden, ist es noch ein weiter Weg. Für Birgit Heidsiek fehlt vor allem ein Bewusstsein für die Lieferketten eines Produktes. Ein vegetarisches Catering etwa reiche nicht, wenn die Zutaten dafür vom anderen Ende der Welt kommen. Daher sei es wichtig, Fördergelder an feste Auflagen zu knüpfen und diese dann auch wirklich zu überprüfen. Möglicherweise schafft das geänderte Filmförderungsgesetz, dessen Umsetzung ja gerade erst losgeht, hier mehr Verbindlichkeit. Trotzdem bildet die Auseinandersetzung mit der Thematik aus Heidsieks Sicht die Basis, um ein Umdenken anzustoßen und neue kreative Wege zu eröffnen, wie Filme in Zukunft produziert werden. Und das könne auch vor der Kamera weitergehen, schlägt Kolbmüller vor: „Wichtig ist doch auch, wie erzählen wir Nachhaltigkeit im Film? Kann die Figur in meiner Geschichte nicht auch Fahrrad fahren? Auch so können wir ein Bild schaffen, das nachhaltiger ist.“
Illustration: Frank Höhne