Thema – Klimawandel

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„Das Zeitfenster wird kleiner“

In ihrem Buch „Ändert sich nichts, ändert sich alles“ schildert Katharina Rogenhofer eindrücklich die Folgen des Klimawandels – aber zeigt auch Lösungen auf

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fluter.de: Der aktuelle Bericht des Weltklimarats warnt vor einer Erderwärmung von 1,5 Grad bis 2030 und einer Zunahme von Extremwetterereignissen. Überraschen Sie diese Erkenntnisse?

Katharina Rogenhofer: Sie sind nicht neu, weder für Forschende noch für Politiker. Die Klimamodelle sind allerdings verlässlicher geworden. Auch die Eindringlichkeit der Ergebnisse hat zugenommen. Wenn wir jetzt nicht unsere Emissionen reduzieren, kann es schnell zu sogenannten Kipppunkten kommen – zum Beispiel dem Abtauen des Permafrostbodens in Sibirien. Dann wird sich die Klimakrise beschleunigen und ein Gegensteuern noch schwerer.

Warum eigentlich genau?

Wenn der Permafrostboden auftaut, wird Methan und CO2 frei. Dieses Gas heizt die Atmosphäre auf. So entsteht ein Teufelskreis. Von solchen gefährlichen Rückkopplungseffekten gibt es auf der Erde einige. Im Buch vergleiche ich die aktuelle Situation mit einem Boot, das mit schneller werdender Strömung auf einen Wasserfall zusteuert. Wir wissen nicht genau, wie tief es hinuntergeht und was uns unten erwartet. Den Fall sollten wir jedoch tunlichst vermeiden. Ich möchte mir jedenfalls keine Welt vorstellen, die drei oder vier Grad wärmer ist als die heutige.

Sie sind Wissenschaftlerin und Klimaaktivistin. War das eine Auslöser für das andere?

Forschende sind nicht nur Menschen, die Zahlen und Fakten im Blick haben, sondern auch aktiver Teil der Gesellschaft. Deshalb ist das Bild der Wissenschaft im Elfenbeinturm längst überholt. Klimaforschende treten auch als Mahner der Politik auf, engagieren sich in der Bildung oder unterstützen Umweltorganisationen.

„Extremwetterereignisse wie kürzlich die Hochwasser in Deutschland und Österreich werden zunehmen“

Im Wahlkampf hörten wir oft, dass Klimaschutz nicht auf Kosten der Menschen oder Wirtschaft gehen darf. Geht Klimaschutz, ohne Opfer zu bringen?

Wenn wir so weitermachen wie bisher, müssen wir in Zukunft auf fast alles verzichten, was wir jetzt als gegeben annehmen. Extremwetterereignisse wie kürzlich die Hochwasser in Deutschland und Österreich werden zunehmen, viele Menschen sterben, der Wiederaufbau wird Milliarden kosten. Einen größeren Verzicht als auf unsere Lebensgrundlage gibt es wohl nicht. Mutige Klimapolitik könnte für uns also am Ende sogar einen Gewinn an Lebensqualität bedeuten. Aber die Politik muss die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen und dabei soziale Aspekte berücksichtigen.

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Ändert sich nichts, ändert sich alles

„Ändert sich nichts, ändert sich alles – Warum wir jetzt für unseren Planeten kämpfen müssen“ (288 Seiten, 20 Euro) von Katharina Rogenhofer ist im Paul Zsolnay Verlag erschienen.

In Ihrem Buch fordern Sie dazu einen Green New Deal. Was verstehen Sie darunter?

Der Begriff leitet sich von dem „New Deal“ von US-Präsident Franklin D. Roosevelt ab. Das waren umfangreiche Sozial- und Wirtschaftsreformen als Antwort auf die Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre. Dieses Programm hat viel Positives bewirkt. Es wurde die Infrastruktur ausgebaut, elektrische Leitungen gelegt, Kanalsysteme und Straßen errichtet. Ein politisches Programm dieser Größenordnung brauchen wir heute auch. Die Menschen brauchen ein Dach über dem Kopf, eine soziale Perspektive, ein gutes Einkommen – und gleichzeitig dürfen wir die Grenzen des Planeten nicht weiter überschreiten.

Haben Sie ein paar konkrete Vorschläge, wie das gelingen kann?

Wir müssen erst mal damit aufhören, das Falsche zu tun: Wir sollten Straßenprojekte überdenken, alternative Mobilitätskonzepte für Pendler stärken, keine Öl- und Gasheizungen mehr verbauen, Subventionen für klimaschädliche Technologien einstellen. Und wir müssen anfangen, das Richtige zu tun. Also erneuerbare Energien stärker ausbauen, klimafreundliches Bauen und Sanieren fördern, den öffentlichen Nahverkehr in Stadt und Land neu denken oder Arbeitsmarktprogramme für grüne Berufe schaffen. Das ist eine riesige Aufgabe, da viele Reformen gleichzeitig stattfinden müssen, aber es lohnt sich.

„Technologie darf keine Ausrede sein, um heute nichts zu tun und nur auf ein besseres Morgen zu hoffen“

Welche Rolle spielen dabei neue Technologien?

Grüne Technologien sind wichtig, gerade wenn es um erneuerbare Energien oder klimafreundliche Produktionen geht. Aber Technologie darf keine Ausrede sein, um heute nichts zu tun und nur auf ein besseres Morgen zu hoffen. Studien besagen, dass 80 Prozent der zur Klimawende nötigen Technologien schon vorhanden sind, sie aber noch mehr verwendet werden müssen. Außerdem sollten wir über soziale Innovationen nachdenken. Wie können wir weniger konsumieren und mehr miteinander teilen? Die Städte so gestalten, dass viele Wege zu Fuß, per Rad oder mit öffentlichem Nahverkehr erledigt werden können? Antworten darauf sind mindestens genauso wichtig wie neue Technologien.

Wie zentral ist der Beitrag jedes Einzelnen in Sachen Klimaschutz?

Politische Veränderungen kommen vor allem dann, wenn sie von möglichst vielen Menschen gefordert werden. Deshalb ist der Beitrag jedes Einzelnen sehr wichtig. Wir müssen laut sein und Forderungen an die Politik stellen. Fridays for Future hat gezeigt, wie gut das funktioniert. Inzwischen macht die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Klimaneutralität zumindest verbal zur Chefsache. Das wäre vorher undenkbar gewesen.

Ich dachte eher daran, den eigenen Konsum zu reduzieren oder den Müll richtig zu trennen.

Natürlich gibt es einen Beitrag, den wir individuell leisten können. Aber dabei stoßen wir schnell an unsere Grenzen. Wenn ich Plastikmüll im Park aufhebe, ist das sicher richtig und wichtig. Ich löse damit aber nicht das Problem von Meeresplastik in der Tiefsee. Nur Bioprodukte zu kaufen können sich nicht alle Menschen leisten. Gleiches gilt für den Verkehr. Ich habe in Oxford studiert, bin meistens mit dem Zug von Wien nach England gefahren. Das dauert viel länger und ist viel teurer als ein Flug. Dadurch wird klimafreundliches Verhalten zu einem Privileg. Um das zu ändern, braucht es den Willen der Politik und der Wirtschaft. Und den beeinflussen wir am besten, indem wir uns zusammenschließen und Veränderungen einfordern.

„Eine alleinerziehende Mutter sollte sich nicht auch noch Sorgen um die richtige Verpackung oder die Herkunft von Lebensmitteln machen müssen“

Wie holt man all jene Mitbürger mit ins Boot, die gerne Fleisch essen, SUV fahren und nichts von Fridays for Future halten?

Viele dieser Menschen haben sicher selbst Kinder oder Enkel und wünschen sich für sie eine gute Zukunft. Das ist ein guter Ansatzpunkt für Argumente. Gesamtgesellschaftlich wäre es mir am liebsten, wenn wir sie gar nicht überzeugen müssten. Eine alleinerziehende Mutter von drei Kindern sollte sich nicht auch noch Sorgen um die richtige Verpackung oder die Herkunft von Lebensmitteln machen müssen. Idealerweise wäre das klimafreundliche Produkt oder Verhalten die bequemste Wahl und nicht mit umständlichen Recherchen oder großem Hintergrundwissen verbunden.

Wie blicken Sie in die Zukunft?

Der Blick in die Zukunft ist für mich eine Berg-und-Tal-Fahrt der Gefühle. Wir stehen vor einer kollektiven Herausforderung, die so groß ist wie keine zuvor. Aber wenn ich nicht optimistisch wäre, dass wir die Klimawende irgendwie schaffen, würde ich nicht meine Arbeit machen können, sondern mich nur noch unter einer Decke verkriechen. Und die Wissenschaft sagt ja, dass alles noch möglich ist. Das Zeitfenster wird nur kleiner und die nötigen Anstrengungen größer. Deshalb müssen wir jetzt alle aktiv werden.

Katharina Rogenhofer, geboren 1994 in Wien, studierte Zoologie an der Universität Wien und Nachhaltigkeits- und Umweltmanagement in Oxford. 2018 holte sie mit weiteren Aktivistinnen und Aktivisten die „Fridays for Future“-Bewegung nach Österreich, 2019 übernahm sie die Leitung des Klimavolksbegehrens und verfolgt damit das Ziel, politischen Druck für eine klimafreundliche Zukunft aufzubauen.

Titelbild: Bryan Denton/The New York Times/Redux/laif

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