Worum geht es?
1991, kurz nach Ende des Kalten Krieges: Die New Yorker Musikjournalistin Ruth Rothwax (gespielt von „Girls“-Erfinderin Lena Dunham) reist mit ihrem Vater Edek (gespielt von Comedian, Autor und Schauspieler Stephen Fry) in dessen Heimat Polen, um sich mit ihrer Familiengeschichte auseinanderzusetzen. Ruths Mutter ist ein Jahr zuvor gestorben, sie und Edek haben Auschwitz überlebt. Edek, der als Einziger in seiner Familie nicht von den Nationalsozialisten ermordet wurde, war seit 50 Jahren nicht mehr in seiner Heimat. Seine Tochter Ruth spricht im Gegensatz zu ihm kein Polnisch.
Edek wirkt zunächst unbekümmert, freundet sich überall an, während Ruth ständig genervt ist, weil ihr Vater ihre Reisepläne sabotiert. Obwohl sie Zugtickets gebucht hat, heuert er einen Fahrer an und lässt sich und Ruth von Stefan (Zbigniew Zamachowski) im Mercedes zum zerstörten Warschauer Ghetto und zum Chopin-Museum kutschieren statt zu den Orten, die Ruth sehen will: vor allem Edeks Elternhaus in Łódź, das der Familie 1940 weggenommen wurde.
Worum geht es eigentlich?
Um vererbte Traumata und die Sprachlosigkeit zwischen Holocaustüberlebenden und ihren Nachkommen. Ruth gehört zur zweiten Generation, sie sehnt sich nach einer Aufarbeitung und schleppt einen Koffer voller Bücher aus dem Nationalsozialismus mit sich herum. Ruths Trauma äußert sich durch eine Essstörung und dadurch, dass sie sich immer wieder eine Häftlingsnummer in die Haut ritzt. Ihrem Vater wirft sie vor, dass er, genau wie Ruths Mutter, nie über den Holocaust gesprochen hat. Erst nach und nach lässt Edek es zu, dass Erinnerungen hochkommen und er Worte für das findet, was er erlebt hat. „Treasure – Familie ist ein fremdes Land“ handelt von Erinnerungskultur und von einem „Vater-Tochter-Trip“, wie Edek die Reise nennt. Mit der Zeit nähern sich die beiden an. Sie entwickeln Verständnis füreinander – und vor allem Ruth auch für sich selbst.
Wer erzählt hier – und wie?
Die Regisseurin und Produzentin Julia von Heinz hat das Drehbuch gemeinsam mit ihrem Mann John Quester geschrieben. Nach dem Kinofilm „Und morgen die ganze Welt“ über eine junge Frau in der Antifa ist „Treasure“ ihr erstes internationales Filmprojekt. Es basiert auf dem autofiktionalen Roman „Zu viele Männer“ der australisch-amerikanischen Autorin Lily Brett, der 2002 auf Deutsch erschien.
Dass man humorvoll vom Holocaust erzählen kann, hat schon Roberto Benignis Tragikomödie „Das Leben ist schön“ gezeigt, die zum Teil in einem Konzentrationslager spielt. Von Heinz erzählt nun mit sanftem Humor, vor allem über Edek. Wie er im Hotel mit älteren Frauen flirtet und beim Karaoke „Life is life“ singt, sorgt für heitere Momente, ebenso seine trockenen Kommentare. Zum Beispiel, wenn er und Ruth in Auschwitz in einer Art Golfcart sitzen und vom Guide erfahren, dass Überlebende das Privileg haben, gefahren zu werden. Edeks Antwort: „Das ist doch schon mal was.“
„Treasure“ kommt ganz ohne Rückblenden aus. Dadurch bleibt der Film nah an der Beziehung zwischen Ruth und Edek. Die Annäherung der beiden im Laufe des Films ist zwar erwartbar, dennoch verfolgt man sie gebannt. Besonders berührende Szenen: als Edek in seinem Elternhaus die Couch und das Teeservice seiner Eltern entdeckt. Und als die beiden am Ende ihrer Reise die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau besichtigen, wo sie fast alle Familienmitglieder verloren haben und schließlich den titelgebenden Schatz finden.
Bestes Zitat:
„Das ist kein Museum, das ist ein Todeslager“, sagt Ruth immer wieder, unter anderem zum Guide in der Gedenkstätte.
Eindrücklichster Moment:
Die Drohnenaufnahmen des Lagers machen die gigantischen Ausmaße der Vernichtungsmaschinerie deutlich und wirken lange nach.
Gut zu wissen:
Mitte der 2000er-Jahre reiste Stephen Fry – wie Ruth in „Treasure“ – für die BBC-Reportage „Who Do You Think You Are?“ auf den Spuren seiner jüdischen Vorfahren durch Osteuropa. Für „Treasure“ war er zum ersten Mal in Auschwitz, wo Mitglieder seiner Familie ermordet worden sind. Im Presseheft zum Film erzählt der Produzent Fabian Gasmia, dass Zbigniew Zamachowski, der den Fahrer Stefan spielt, am Tag der Dreharbeiten erfuhr, dass sein Vater als Kind in Auschwitz gewesen sei. „Die Menschen, die die Gedenkstätte leiten, hatten das in ihrer Datenbank recherchiert. Das gab unserem Dreh unvermittelt eine zusätzliche Schwere“, so Gasmia.
„Treasure – Familie ist ein fremdes Land“ läuft ab dem 12. September im Kino.
Fotos: Alamode Film