Die Rebellen kamen 2011 in ihr Dorf und vergewaltigten sie. Sie gehörten der FDLR an, der berüchtigten ruandischen Hutu-Miliz. M’Rubanbura Cidoro war im siebten Monat schwanger und 40 Jahre alt. Die Rebellen verprügelten zunächst ihren Ehemann, schlugen ihm die Beine kaputt. M’Rubanbura Cidoro versuchte zu fliehen, aber sie holten sie ein und schlugen auch sie. „Warum bist du geflohen“, fragten sie. „Magst du uns nicht?“ Dann fielen sie zu dritt über sie her. Einer benutzte einen Stock. Als sie fort waren und sie wieder aufstand, war das ungeborene Kind in ihrem Bauch tot und aus ihrem Körper lief Urin.
Cidoro, die im Ostkongo in der Provinz Südkivu lebt, ist eine von geschätzten 2 Millionen Frauen weltweit, die unter einer vesikovaginalen oder rektovaginalen Fistel leiden, eine Gewebezerstörung, die die Trennwände zwischen Vagina und Darm oder Vagina und Blase so sehr schädigt, dass Urin und Stuhl direkt in die Scheide laufen. Meist entstehen diese Fisteln durch Geburtskomplikationen. Betroffen sind vor allem Frauen in Subsahara-Afrika und in Asien – und dort solche, die in ländlichen Gebieten ohne Zugang zu Gesundheitsstationen und Krankenhäusern leben. Trotz einer deutlichen Verbesserung von Müttergesundheit weltweit treten in jedem Jahr 50.000 bis 100.000 neue Fistel-Fälle auf.
Im Ostkongo aber entstehen viele Fisteln durch Vergewaltigung. In einer Gegend, in der begehrte Rohstoffe seit Jahrzehnten Kriege und Konflikte hervorbringen und Vergewaltigung eine Waffe darstellt, um Angst und Schrecken zu verbreiten, gehören Fisteln zu den schlimmsten Folgen für die vergewaltigten Frauen. Schon die Vergewaltigung stigmatisiert sie und ist für die meisten Ehemänner ein Grund, sie zu verstoßen. Damit sind diese Frauen noch lange nicht am Ende ihres Leidensweges: Oft entzündet sich das zerstörte Gewebe im Inneren, der ständig herauslaufende Urin weicht die Vulva und das Fleisch der Oberschenkel auf, den Frauen entströmt ein fauliger Geruch, der sie zu Aussätzigen macht, ähnlich jenen, die es in Europa zu Zeiten der Lepra gab. Allein in Hütten in Wäldern, versuchen sie zu überleben, manchmal jahrelang.
Cidoros Mann ist bei ihr geblieben. Dreimal wurde sie operiert, dann gelang es den Ärzten, die Fistel zu vernähen. Doch seither ist ihr Bauch nach unten und vorne gewachsen, wie der Kopf eines Walfisches, und Cidoro ahnt, dass es ein gewaltiger Tumor ist und ihre Tage gezählt sind.
Der Mann, der Cidoros Fistel nähte, läuft eine Stunde Autofahrt von ihrem Dorf entfernt im Garten der von ihm gegründeten Panzi-Klinik von Bukavu umher und begrüßt Patienten, die auf den Bänken sitzen. Rund 40.000 Fisteln haben Dr. Denis Mukwege und sein Team in den vergangenen 20 Jahren vernäht. Er wurde für seine Arbeit vielfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Menschenrechtspreis der EU, dem Sacharow-Preis, er hat vor zahlreichen Gremien und Ausschüssen gesprochen und das Leid seiner Patientinnen geschildert (inzwischen hat Mukwege auch den Friedensnobelpreis erhalten – Anmerkung der Redaktion vom 6. Oktober 2018) Doch genützt, klagt er, habe es wenig. „Die Täter bleiben straffrei, die zivilisierte Welt kümmert sich nicht um den Kongo“, sagt er – und es klingt bitter.
Das Jahr 2017 könnte für die Demokratische Republik Kongo ein entscheidendes sein. Denn in diesem Jahr soll bestimmt werden, ob es vorangeht und die seit zwei Jahrzehnten existierende Gewaltspirale sich künftig langsamer drehen wird. Am 19. Dezember 2016 hatte die zweite Amtszeit von Präsident Joseph Kabila offiziell geendet, am Neujahrsabend einigten sich Regierung und Opposition darauf, bis Ende 2017 Wahlen abzuhalten. Aber nicht alle Beteiligten unterschrieben die Übereinkunft: Sowohl Präsident Kabila als auch der inzwischen verstorbene Oppositionsführer Étienne Tshisekedi enthielten sich. Manche Beobachter bezweifeln, dass Kabila sein Amt widerstandslos aufgeben wird. Tatsache ist allerdings, wie die Wahlkommission im Juli verkündete, dass in diesem Jahr nun doch keine Neuwahlen mehr stattfinden werden.
Vor allem im Osten des Landes, mehr als 2000 Kilometer von der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa entfernt – in einer Gegend, in der verschiedene bewaffnete Gruppen um Land, Einfluss und Rohstoffe kämpfen –, hoffen viele Menschen auf eine neue Regierung. Sie soll sich um die dringendsten Probleme kümmern und unter anderem endlich das Gesetz zur Verfolgung von Vergewaltigern umsetzen. Dieses existiert zwar auf dem Papier und tatsächlich gibt es inzwischen Verhaftungen und manchmal sogar Gerichtsverhandlungen – doch nur wenige Täter landen wirklich im Gefängnis.
Dabei ist die Gewalt gegen Frauen nur ein Teil des Gewaltproblems im Ostkongo. Auch Männer werden vergewaltigt, die hierarchischen Strukturen innerhalb der militärischen Formationen, sowohl der staatlichen Armee als auch der Rebellengruppen, werden von Gewalt getragen. 20 Jahre Konflikt haben eine ganze Generation traumatisiert und die Grundlagen der Zivilgesellschaft zerstört. Selbst Kinder sind vor den Milizen nicht sicher, sie werden aus den Dörfern entführt, missbraucht und zum Sterben liegen gelassen. Wenn sie überleben, dann oft mit großen Fisteln, die kaum zu heilen sind.
Als die Journalistin Andrea Jeska auf einer Veranstaltung in Berlin die Gründerin von „Heal Africa“ kennenlernte – eine auf Fisteloperationen spezialisierte Klinik in der kongolesischen Großstadt Goma –, beschloss sie, die Geschichte der betroffenen Frauen aufzuschreiben. Zusammen mit dem Fotografen Fabian Weiss und mit einem Stipendium des European Journalism Centres und der Bill & Melinda Gates Foundation in der Tasche reiste Jeska nach Goma und traf dort und in umliegenden Dörfern Frauen, die vergewaltigt wurden und nun unter Fisteln leiden. Entstanden sind die Fotos Anfang dieses Jahres.
Siehe auch: der „Hintergrund aktuell“ der bpb zum Thema „Gewalt gegen Frauen“