„Jetzt buchen“ steht auf der Facebook-Seite, dazu Telefonnummern, Informationen über das Schiff und die Beschreibung der Route. Aus der türkischen Stadt Mersin geht es nach Sizilien oder nach Griechenland – nach Westeuropa und damit, so hoffen Tausende Flüchtlinge vor allem aus Syrien, in ein besseres Leben. Dazu muss man nur einen Button drücken – und viel Geld bezahlen. Um die 7.000 Euro kostet ein Ticket. Ein gutes Geschäft für die Schleuser.
In ihrem Buch „Bekenntnisse eines Menschenhändlers. Das Milliardengeschäft mit den Flüchtlingen“ bezeichnen der Kriminologe Andrea Di Nicola und der Journalist Giampaolo Musumeci Menschenschmuggel als das profitabelste Geschäft nach dem Drogenhandel. Menschenschmuggel ist eine Form der organisierten Kriminalität und kann mit mehreren Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden. Dennoch werben die Schleuser ganz offen in sozialen Medien, vor allem auf Facebook.
„Eine sichere Reise“ verspricht eine Seite sogar angesichts der Tatsache, dass so viele Flüchtlinge auf dem offenen Meer ertrunken sind. Omar Masri (Name geändert) ist einer, der es bis nach Berlin geschafft hat. Er selbst ist über den Landweg gekommen, aber von Freunden und Verwandten weiß er, wie die „Buchung“ funktioniert. Über Facebook sei es sehr einfach, mit den Schmugglern in Kontakt zu treten, sagt er. Einer habe sich „Schleusung garantiert“ genannt. Auf seinen Seiten seien Telefonnummern gelistet, an die man über den Internet-Telefondienst „Viber“ eine Nachricht schreibe. Danach sei man stets auf dem Laufenden darüber, wann welches Boot ablege und wie das Wetter auf der Reise sei. Dazu müsse man nicht einmal selbst ein Smartphone besitzen, sagt Masri. Entweder man nutzt das eines Bekannten oder geht in eines der zahlreichen Internetcafés, von denen an der türkischen Küste eins nach dem anderen eröffnet.
Eigentlich sind solche Seiten bei Facebook verboten. Im Frühjahr dieses Jahres aktualisierte das Portal seine Community-Standards, die es der Zentrale erlauben, Konten zu sperren, die „kriminelle Aktivitäten“ oder „gewalttätige Inhalte“ gutheißen oder verbreiten. Facebook fordert seine Nutzer auf, Seiten zu melden, die gegen die Standards verstoßen oder im Verdacht stehen dieses zu tun. Doch wer soll das bei den Schleuserseiten machen? Für die Schleuser selbst ist Facebook eine günstige und effektive Art, Flüchtlinge in ihre Boote zu locken. Und die Flüchtlinge erhalten darüber nicht nur Angebote, sondern auch wichtige Informationen, wie etwa den Preis einer Reise.
Aber warum werden die Seiten nicht von Behörden gemeldet, die Schleusern das Handwerk legen wollen? Das könnte daran liegen, dass sie fast alle in arabischer Sprache verfasst sind und oft nach kurzer Zeit verschwinden – um bald darauf unter einem anderen Namen wieder aufzutauchen. Auch der europäischen Agentur Frontex, deren Aufgabe es ist, die Zusammenarbeit der Staaten bei der Überwachung der Außengrenzen zu koordinieren, sind die Hände gebunden. „Wir haben Analysten, die Facebook und andere Kanäle nach solchen Anbietern durchsuchen“, sagt Frontex-Sprecherin Ewa Moncure. Davon gebe es immer mehr, eine logische Konsequenz der steigenden Zahl der Flüchtlinge und der immer stärkeren Verbreitung von Online-Diensten. „Aber außer diese Seiten den Kontrollbehörden der Mitgliedstaaten zu melden, können wir nichts tun. Wir haben nicht die Autorität, eine Facebook-Seite einfach abzuschalten.“
Eine Seite zu verbieten kann Monate dauern. Eine neue Seite zu erstellen ist hingegen in wenigen Minuten erledigt. Auch die einmal angegebenen Telefonnummern seien meist nicht lang aktiv, sagt Moncure. „Die Schmuggler besorgen sich nach kurzer Zeit einfach eine neue Prepaidkarte.“ Hinzu kommt die Größe des Marktes für illegale Fluchten. Allein in der Türkei halten sich derzeit rund zwei Millionen Flüchtlinge aus Syrien auf, und viele wollen weiter nach Westeuropa. Die zu kontrollieren ist nach Einschätzung von Frontex fast unmöglich.
In Mersin beginnt mit der Buchung bei Facebook eine Reise ins Ungewisse. Das Geld übergibt man in einem der zahlreichen „Versicherungsbüros“, die in den vergangenen Jahren an der türkischen Küste entstanden sind und offen als Vermittlungsstätte zwischen Flüchtlingen und Schleusern agieren. Dort erhält ein Flüchtling einen Code, den er zu nennen hat, sobald er in einem EU-Land ankommt. Und dann heißt es warten, meist wochenlang in den überfüllten Zimmern der Hotels, in denen die Schleuser ihre Passagiere für den nächsten Trip zusammenbringen. Für einige von ihnen wird es in ein neues Leben gehen. Für andere in den Tod.