Vor gut zwei Jahren postete Franziska Böhler ein Bild von sich in Dienstkleidung bei Instagram. Darunter ließ die Krankenschwester ihren Frust über den stressigen Klinikalltag, zu wenige Kolleg*innen und viele Überstunden raus. Franziska bekam daraufhin so viele Nachrichten und Kommentare, dass sie weiter über ihren Berufsalltag schrieb. Heute hat die 33-Jährige 195.000 Follower.
Weil sie sich von den Verantwortlichen immer noch nicht gehört fühlt, hat sie das Buch „I’m a Nurse. Warum ich meinen Beruf als Krankenschwester liebe – trotz allem“ herausgebracht. Darin beschreibt sie in persönlichen Fallgeschichten, wie profitorientierte Klinikstrukturen zu „abgestumpften Pflegemaschinen“ führen.
fluter.de: Viele verbinden Pflegeberufe mit Nachtschichten, Überstunden und schlechter Bezahlung. Warum bist du Krankenschwester geworden?
Franziska Böhler: Schon als Kind habe ich mich auf jede blutende Wunde gestürzt, die es in unserer Familie zu versorgen gab. Mit vier wünschte ich mir einen Arztkoffer zu Weihnachten. Mit zehn habe ich meinen Opa im Krankenhaus besucht. Sein Bettnachbar war schwer krank und hing an gefühlt tausend Kabeln. Da kam eine Krankenschwester ins Zimmer, sortierte mit geübten Handgriffen alle Schläuche und drückte nebenbei das Piepsen weg. Das hat mich so fasziniert, dass ich das auch können wollte.
Wann hast du gemerkt, dass deine Erwartungen nicht der Realität entsprechen?
Als ich 2004 mit der Ausbildung anfing, hatte mein Jahrgang eine super Anleitung und konnte es kaum erwarten, endlich loszulegen. Aber mit der Zeit fühlten sich viele frustriert und überfordert. Oft blieb keine Zeit, uns so um die Patienten zu kümmern, wie es uns beigebracht worden war. Als eine Kollegin, die schon seit 40 Jahren im Dienst war, eines Tages mitten auf dem Stationsflur heulend zusammenbrach, wusste ich, dass etwas schiefläuft.
„Du hast bloß Zeit für das Nötigste, das Menschliche bleibt auf der Strecke. Das frustriert so sehr, dass du irgendwann abstumpfst oder zynisch wirst“
Du schreibst, dass die Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern aus motiviertem Pflegepersonal „abgestumpfte Pflegemaschinen“ machen.
Wenn du morgens auf Station kommst, wo ein Haufen Patienten auf dich wartet, für die du aber nur begrenzt Zeit hast, du dann vielleicht noch in Unterbesetzung arbeitest oder ein Notfall reinkommt, dann wirst du zur Maschine. Du funktionierst nur noch, hast bloß Zeit für das Nötigste, während das Menschliche auf der Strecke bleibt. Das frustriert innerlich so sehr, dass du irgendwann abstumpfst oder zynisch wirst.
Wie äußert sich das?
Ich sehe mich noch nicht als „abgestumpfte Pflegemaschine“, aber auch ich werde mal ungeduldig oder etwas lauter, wenn ein dementer Patient ständig über sein Bettgitter klettert, während der Patient im Nachbarzimmer dringend für seine OP vorbereitet werden muss und ein anderer seit Stunden darauf wartet, gelagert zu werden, damit er sich nicht wund liegt. Wenn man immer unter Druck steht, hat man sich nervlich nicht mehr gut im Griff. Im schlimmsten Fall macht man Fehler.
Welche strukturellen Probleme stecken dahinter?
Ein großes Problem ist der Personalmangel. Bei uns fing es schleichend an: Kollegen sind in Rente gegangen, deren Stellen wurden nicht nachbesetzt. Andere sind krank geworden, haben ihre Schichten reduziert oder den Beruf gewechselt, weil ihnen die Arbeit zu viel wurde. Für die übrigen wurde die Arbeitsbelastung immer größer. Wir arbeiten oft unterbesetzt. Gleichzeitig fehlt der Nachwuchs, weil kaum noch jemand in der Pflege arbeiten will.
Denkst du, dass die Aufmerksamkeit, die Pflegeberufe durch die Corona-Pandemie bekommen haben, politisch einen Effekt haben wird?
Die deutschen Krankenhäuser befinden sich seit Jahren in einer Ausnahmesituation, nicht erst durch Corona. Die Pandemie hat nur unseren Beruf und die sogenannte Systemrelevanz in den Fokus gerückt. Für ein paar Wochen haben alle auf die Krankenhäuser geguckt. Ich hatte gehofft, dass die gesellschaftliche Wertschätzung politische Entscheidungen bewirkt, doch leider ist das nicht passiert.
„Viele glauben, ich als Krankenschwester mache nichts anderes als Popos abwischen und Händchen halten“
Wie erklärst du dir das fehlende Interesse?
Erst hatten alle Angst vor Corona, jetzt haben viele den Eindruck, dass die Situation doch nicht so schlimm ist. Niemand beschäftigt sich gerne mit Krankheiten oder dem eigenen Tod, dabei betrifft das Gesundheitswesen alle: 98 Prozent der Kinder werden im Krankenhaus geboren, jeder zweite Mensch stirbt in einer Klinik. Dazwischen können jederzeit Unfälle oder schwere Krankheiten passieren.
Was muss sich ändern, um den Beruf für junge Menschen wieder attraktiv zu machen?
Wir brauchen mehr Geld. Der Verdienst sollte natürlich nicht der Grund sein, in die Pflege zu gehen – aber er sollte auch keinen davon abhalten. Außerdem brauchen wir Öffentlichkeitsarbeit, beispielsweise Menschen, die an Schulen über unseren Beruf aufklären. Viele glauben, wir machen nichts anderes als Popos abwischen und Händchen halten. Dabei dosieren wir auch Medikamente, überwachen körperliche Beschwerden und sorgen dafür, dass sich unsere Patienten aufgehoben und würdevoll behandelt fühlen. Das kann nicht jeder, dafür braucht man eine qualifizierte Ausbildung und ein gewisses Einfühlungsvermögen. Man muss auf Zack sein, Zusammenhänge erkennen und empathisch sein. Ich bin stolz darauf, Krankenschwester zu sein, und wünsche mir, dass diese Verantwortung künftig mehr anerkannt wird.
Franziska Böhler arbeitet seit 2007 als Krankenschwester auf einer anästhesiologischen Intensivstation in der Nähe von Frankfurt am Main und seit 2018 zusätzlich in der Anästhesie. Als @thefabulousfranzi nimmt sie ihre 150.000 Instagram-Follower regelmäßig mit auf Station. (Foto: Michael Eichelsbacher)