Eines vorweg: Angebote wie „Vier Wochen in einem Kinderheim in Peru – jetzt mitmachen“ sind ein No-go! Es mag verlockend sein, sich nicht bewerben zu müssen und Projekte einfach nach Lust und Laune auswählen zu können – es ist aber vollkommen unseriös. Was würde man selbst davon halten, stünde in der Kita der kleinen Schwester plötzlich ein unqualifizierter 18-jähriger Fremder, der „ein bisschen helfen“ will? Und in vier Wochen schon durch den nächsten Grünschnabel ersetzt wird? Eben.
Lektion 1: Geht es um Beziehungsarbeit, ist Kontinuität gefragt – Kurzzeitaufenthalte bringen nur selten was (Arbeit mit Bäumen und Schildkröten sind eine Ausnahme)
Wer ins Ausland gehen will, um dort wirklich etwas zu bewegen, für den gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten – allen voran die gesetzlich geregelten Dienste wie „weltwärts“, Europäischer Freiwilligendienst (EFD) und Internationaler Jugendfreiwilligendienst (IJFD). Ihr Vorteil: Sie werden mit öffentlichen Geldern gefördert. Ein Freiwilligendienst mit einer Dauer von einem Jahr verursacht laut dem Informationsnetzwerk „Eurodesk“ nämlich Kosten von rund 10.000 Euro – wer hat die nach dem Abi schon? Außerdem wird das Kindergeld unter bestimmten Voraussetzungen weitergezahlt. Ausschlaggebend ist aber vor allem eines: Die Organisationen bereiten ihre Freiwilligen gründlich vor und betreuen sie auch während und nach dem Dienst.
Lektion 2: Sich mit verschiedenen Programmen vertraut machen – und zwar rechtzeitig
Die Entscheidung für das geeignete Programm hängt einerseits von der Länderwahl, andererseits von der verbleibenden Zeit bis zum gewünschten Ausreisetermin ab: Wer unbedingt nach Japan will, braucht nicht in der „weltwärts“-Datenbank zu gucken; das Programm fördert Freiwilligendienste in „Entwicklungs- und Schwellenländern“, wie es seitens des Programms heißt. Und wer übernächsten Monat schon loslegen will, hat bei „kulturweit“ keine Chance; allein der Auswahlprozess dauert um die 16 Wochen.
„Wir raten Jugendlichen, sich ein Jahr vor dem gewünschten Reiseantritt zu kümmern“, sagt Robert Helm-Pleuger, Projektkoordinator von „Eurodesk“. Kümmern, das heißt, sich mit den einzelnen Programmen (siehe unten) vertraut zu machen, Datenbanken zu durchstöbern und sich bei Anbietern wie „weltweiser“ und „rausvonzuhaus“ zu informieren. Wer sich eine Entsendeorganisation aussucht, die in der eigenen Region liegt, kann sich auch noch mal persönlich beraten lassen.
Wer ganz spät dran ist, kann mit der Last-Minute-Datenbank von „rausvonzuhaus“ sein Glück versuchen.
Lektion 3: Recherche ist besser als blindes Vertrauen – auch in sich selbst
Was einem die Berater nicht abnehmen können: Kontakt zu Ehemaligen aufzubauen, um mehr über das Projekt und mögliche Probleme zu erfahren. Wenn das nicht möglich ist, sollte man hellhörig werden – gab es in der Vergangenheit womöglich viele unzufriedene Projektteilnehmer? Eine weitere Informationsquelle sind Blogs und Erfahrungsberichte, zum Beispiel auf https://www.youthreporter.eu/de/.
Bevor man sich entscheidet, rät Hanna Grohmann vom unabhängigen Bildungsberatungsdienst „weltweiser“ aber auch, die eigene Eignung und Motivation kritisch zu hinterfragen. „Man sollte ehrliches Interesse an der Kultur der Menschen im Gastland sowie an den Arbeitsbereichen im Projekt mitbringen“, sagt sie. Wer den Auslandsaufenthalt als Ausweg vor Problemen wie Beziehungsstress oder als Füllstoff für den Lebenslauf sieht, überlegt es sich besser noch einmal. Wer zudem nicht offen, anpassungsfähig und lernwillig sei, so Grohmann, solle lieber nach Alternativen zum Freiwilligendienst im Ausland suchen. Das gelte auch für diejenigen, die nicht auf ihren gewohnten Lebensstandard verzichten können oder sich nicht auf ungewohnte, häufig belastende Lebensbedingungen einlassen wollen.
Lektion 4: Die eigenen Erwartungen reflektieren – und einem Realitätscheck unterziehen
Der Vertrag ist unterschrieben, das Ticket gebucht – als Freiwilliger könnte man jetzt Bäume ausreißen. Das ist gut so, trotzdem sollte man „mit einem realistischen Selbstverständnis an die Freiwilligenarbeit herangehen“, sagt Hanna Grohmann. Letztlich gehe es um einen kleinen Beitrag zur täglichen Arbeit im Projekt und um die interkulturelle Begegnung mit den Menschen vor Ort. Damit rettet man zunächst mal nicht die Welt, lernt aber viel – auch über sich selbst.
Der Überblick – die Programme im Einzelnen:
weltwärts: für die Weltverbesserer
Die von dem populären Dienst organisierten Einsätze wurden in der „Süddeutschen Zeitung“ mal als „Egotrips ins Elend“ beschrieben. Der Autor hat den Dienst falsch verstanden, meint Robert Helm-Pleuger: „Es geht nicht darum, augenblicklich vor Ort Hilfe zu leisten. Es geht um Erfahrungen, die nach Ende des Dienstes in entwicklungspolitische Bildungsarbeit in Deutschland münden.“
Voraussetzungen: 18 bis 28 Jahre alt (Menschen mit Behinderung bis 30 Jahre), dauerhaftes Aufenthaltsrecht in Deutschland, Grundkenntnisse der Sprache des Gastlandes
Regionen: Entwicklungs- und Schwellenländer weltweit
Dauer: 6 bis 24 Monate
Plätze pro Jahr: mehr als 5.000
Website: weltwaerts.de
kulturweit: für die Diplomaten von morgen
Dass es sich hierbei um eine Art Eliteprogramm handelt, zeigt schon der Vorlauf von fast einem Jahr. Dafür können die Ausgewählten in kulturellen Einrichtungen rund um den Globus arbeiten (z.B. Goethe-Institut, Deutsche Welle Akademie, DAAD), Kontakte knüpfen und etwas für die Völkerverständigung tun. Macht sich natürlich auch gut im Lebenslauf.
Voraussetzungen: 18 bis 26 Jahre, Abitur oder Haupt- oder Realschulabschluss plus abgeschlossene Berufsausbildung, Lebensmittelpunkt in Deutschland, muttersprachliche oder sehr gute Deutschkenntnisse, gute Grundkenntnisse der englischen Sprache
Regionen: Länder des sogenannten „globalen Südens“, Osteuropa und GUS
Dauer: 6 oder 12 Monate
Plätze pro Jahr: rund 400
Website: kulturweit.de
EFD: für das europäische Projekt
Der Europäische Freiwilligendienst ist ein Individualdienst, der Freiwillige arbeitet also alleine in einer Organisation mit Einheimischen zusammen. Dadurch entsteht ein intensiver Kontakt zur lokalen Bevölkerung. Das Projekt, das Teil des Förderprogramms Erasmus+ ist, will mithelfen, ein europäisches Bewusstsein zu bilden.
Voraussetzungen: 17 bis 30 Jahre
Regionen: ganz Europa plus benachbarte Partnerländer wie Aserbaidschan, Marokko und Israel
Dauer: 2 bis 12 Monate
Plätze pro Jahr: 400 bis 800
Website: go4europe.de
IJFD: für alle anderen
Der klassische Sozialdienst ist wie ein Freiwilliges Soziales Jahr gepaart mit internationalen Beziehungen. Übrigens der einzige Dienst, der weltweit möglich ist.
Voraussetzungen: Erfüllung der Vollzeitschulpflicht, maximal 26 Jahre alt, Lebensmittelpunkt und Aufenthaltsrecht in Deutschland
Regionen: weltweit, sofern keine Reisewarnung des Auswärtigen Amts vorliegt
Dauer: 6 bis 18 Monate
Plätze pro Jahr: 3.000 bis 3.500
Website: ijfd-info.de
War das nicht noch was?
Für Frankophile gibt es den Deutsch-Französischen Freiwilligendienst. Der sogenannte Andere Dienst im Ausland (ADiA) und das Freiwillige Soziale/Ökologische Jahr im Ausland werden mittlerweile kaum noch angeboten, zählen aber auch zu den geregelten Diensten. Zudem entsteht gerade ein neuer Dienst: das Europäische Solidaritätskorps.
Was ist mit nicht geregelten Diensten?
Mit geregelten Diensten ist man auf der sicheren Seite: Sie bieten finanzielle und pädagogische Unterstützung, sind inhaltlich durchdacht und weitläufig anerkannt. Wer trotzdem lieber einen nicht geregelten Dienst machen möchte – beispielsweise weil es dort mehr Angebote für Minderjährige gibt oder auch kürzere Aufenthalte möglich sind –, sollte in puncto Betreuung durch die Entsendeorganisation dieselben Maßstäbe ansetzen wie bei geregelten Diensten. Außerdem lohnt es sich, nach gemeinnützigen Trägern Ausschau zu halten – bei denen fließt wirklich alles Geld in das Projekt.
Eine Option sind „Workcamps“, Kurzzeitfreiwilligeneinsätze von zwei bis vier Wochen Dauer. Dabei engagieren sich die Teilnehmer mit Menschen vor Ort für ein soziales, handwerkliches oder ökologisches Projekt. Workcamps werden oft auch staatlich gefördert.
Und wenn das alles nichts ist?
Manchmal ist die Ferne gar nicht das Richtige. „Muss es denn direkt Afrika sein?“, fragt Robert Helm-Pleuger von Eurodesk und meint damit: Wer noch nie der große Abenteurer, vielleicht noch nicht mal allein im Urlaub war, sollte möglicherweise besser eine Nummer kleiner anfangen und innerhalb Deutschlands oder in einem EU-Land helfen. Es gibt auch vor der eigenen Haustür viel zu tun.
Titelbild: Vilhelm Stokstad/Kontinent/laif